Materialien 1999

Eine besondere Freundschaft

„Abschiebevorbereitungsmaßnahmen“

Am 22. und 23. März 1999 wurde in der Flüchtlingsunterkunft Schleißheimerstraße 430 im Mün-
chener Norden eine neue Strategie von „Abschiebevorbereitungsmaßnahmen“ erprobt. Eine Ver-
tretung der Botschaft von Togo hatte in den Räumen der Flüchtlingsunterkunft Quartier bezogen. Mit von der Partie war auch die Bundesgrenzschutzdirektion Koblenz, die für Sammelabschiebun-
gen zuständig ist. Nicht nur aus ganz Bayern, sondern auch aus Baden-Württemberg und Rhein-
land-Pfalz waren togoische Flüchtlinge vorgeladen worden, die im Asylverfahren abgelehnt wurden und momentan mit Duldung oder Ausreiseschein hier leben. Diesen Leuten sollten Passersatzpa-
piere ausgestellt werden, sogenannte „Laisser-passer“, um eine Abschiebung nach Togo zu ermög-
lichen. Arrangiert worden war dieses Rendez-vous mit Vertretern des Verfolgerstaates, vor dem die Flüchtlinge geflohen waren, von der bayerischen „Zentralstelle Rückführung“, Die lokalen Auslän-
derbehörden, z.B. das KVR München, hatten einzelnen Flüchtlingen die Gültigkeitsdauer ihrer Duldungen bzw. Ausreisescheine auf den Zeitraum bis zum Termin mit der togoischen Botschafts-
vertretung verkürzt. Einzelne Flüchtlinge erzählten, dass ihnen mit Zwangsvorführung und Geld-
buße gedroht worden war, falls sie nicht freiwillig hingingen. Die Exilorganisationen der togoi-
schen Opposition riefen dennoch dazu auf, den Termin zu boykottieren. Viele Flüchtlinge wurden jedoch von der Polizei vorgeführt. Sie mussten ihre Fingerabdrücke abgeben und bekamen Heim-
reisepapiere ausgefertigt. Den Anwälten und anwesenden Abgeordneten wurde von der Polizei jedoch der Zutritt verwehrt, da die Räume, in denen sich die Botschaftsvertretung aufhielt, als ex-
territoriales Gebiet ausgewiesen worden war.

Im Jargon der Durchführung

Die „Zentralstelle Rückführung“ besteht bei der Regierung von Oberbayern seit Mai 1998. Ihre Aufgabe liegt darin, sämtliche bayerische Ausländerbehörden bei der Beschaffung von Pässen bzw. Passersatzpapieren, die für eine Abschiebung abgelehnter Flüchtlinge erforderlich sind, zu unter-
stützen. Es handelt sich also um eine Vermittlungsinstanz zwischen Ausländerbehörden und den Botschaften der mutmaßlichen Herkunftsländer. Bisher wurden vor allem Papiere für Abschiebun-
gen nach Ex-Jugoslawien beschafft. Mit dem Generalkonsulat von Bosnien-Herzegovina wurden Verfahrensabsprachen bezüglich der „Rückübernahme“ von ca. 9.100 Flüchtlingen getroffen. Die „Zentralstelle Rückführung“ bemüht sich insbesondere um eine Koordinierung von Vorspracheter-
minen zur Passbeschaffung bei Botschaftsvertretungen. Nach § 70 des Ausländergesetzes können Flüchtlinge dazu verpflichtet werden. Im Klartext: sie sollen an ihrer eigenen Abschiebung mitwir-
ken, andernfalls können sie auch „zwangsvorgeführt“ werden.

Die Spezialität der Zentralstelle sind jedoch Sammeltermine mit Botschaftsvertretungen, bei denen Flüchtlinge zentral vorgeführt werden sollen, wie es im März dieses Jahres mit Flüchtlingen aus Togo geschah. Bereits im Oktober und November 1998 hatte es in München zwei Sammeltermine mit den Botschaften von Sudan und Nigeria gegeben. Zunächst hatten die sudanesischen Bot-
schaftsangehörigen festgestellt, dass 234 von insgesamt 239 vorgeführten Personen angeblich keine Sudanesinnen seien. Daraufhin waren von der nigerianischen Botschaft 152 Menschen als angebliche NigerianerInnen identifiziert und mit Passersatzpapieren versehen worden. Für die nächste Zeit sind Sammeltermine mit den Botschaften von Indien, Pakistan, Äthiopien und Sri Lanka in Planung. Eine Zentralisierung bzw. Koordinierung der Passbeschaffung läuft darüber-
hinaus mit den Botschaften von China, Liberia, Sierra Leone, den Staaten der ehemaligen Sowjet-
union, Algerien, Marokko und Tunesien.

Dem Jargon der deutschen Bürokratie ist mit der „ZentralsteIle Rückführung“ jedenfalls eine Glanzleistung ersten Ranges gelungen, erinnern doch sowohl ihr Name als auch ihr Aufgabenbe-
reich an die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“, die für Adolf Eichmann kurz nach dem „Anschluss“ in der Wiener Prinz-Eugen-Straße eingerichtet worden war. Natürlich ist es über-
trieben, eine direkte Genealogie zwischen diesen beiden „Zentralstellen“ herzustellen. Erstaunlich bleibt allemal, mit welch schlafwandlerischer Sicherheit man sich in einer verwaltungssprachlichen Tradition bewegt, deren Bedeutung für die Shoa Raul Hilberg anhand von Begriffen wie „Durch-
führung“, „Sondereinsatzkommando“ oder „Treuhand“ benannt hat.

Koloniale Traditionspflege

Togo hatte als ehemals deutsche Kolonie schon bald nach Erreichen seiner Unabhängigkeit die Aufmerksamkeit deutscher Unternehmer und Politiker auf sich gezogen. Zur Unabhängigkeitsfeier 1960 kam auch der ehemalige Gouverneur des „Togolandes“, der Herzog zu Mecklenburg, nach Lomé und wurde dort, wie es in dem 1984 von der Bayerisch-Togoischen Gesellschaft herausge-
gebenen Buch „Togo und Deutschland. Freundschaft mit Tradition“ heißt, stürmisch empfangen. Als reine Handels- und Plantagenkolonien waren Togo und Kamerun viele der leidvollen Erfah-
rungen der Siedlungskolonien in Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwest erspart geblieben. Darin mögen in der Tat pro-deutsche Strömungen in Togo begründet liegen, die auch gegen das Koloni-
alregime der Franzosen tauglich waren. Das koloniale Unternehmen der Deutschen als „Freund-
schaft“ hinzustellen, war auch 1984 schon ziemlich keck. Gemeint war wohl der eher einseitige Be-
zug auf gewisse Eliten, der auch heute noch die deutsche Politik gegenüber Togo bestimmt. Konse-
quenterweise wird in dem Buch jeder kolonialistische Schwachsinn den Afrikanern selbst in den Mund gelegt, während die Deutschen die reinsten Wohltäter sind. In Zeiten des Kosovo-Konflikts kommt einem diese Strategie bekannt vor.

Jedenfalls kam Togos erster Präsident Sylvanus Olympio schon 1962 zum Staatsbesuch nach München. Richtig los ging das postkoloniale Engagement der Deutschen aber erst, nachdem Putschgeneral Gnassingbé Eyadéma 1967 die Macht an sich gerissen hatte. 1971 gründete der Rosenheimer Fleischfabrikant, CSU-Schatzmeister und FJS- Spezi Josef März in Togo die „Bena Developement S.A.R.L.“, die auf 27.000 Hektar der Provinz Wawa eine Rinder- und Schweinefarm betreibt. 25 Prozent des Grundkapitals überließ das Unternehmen dem Staat Togo, d.h. dem Prä-
sidenten Eyadéma. Den Rest sollen sich März und Strauß geteilt haben. Später weitete März sein westafrikanisches Imperium auf Brauereien und Wirtshäuser wie das „Marox“ und das „Alt-Mün-
chen“ aus, beide in Lomé. Bald tummelten sich die CSU-Bonzen auf von März gesponsorten Jagd-Ausflügen in die nordtogoische Steppe. Strauß selbst wurde stets hochoffiziell empfangen. Wenn einer mit dem Diktator Eyadéma so zusammenarbeitet, muss er selbst ein großer Diktator sein, dachten damals viele in Togo. Das neo-koloniale Gehabe der Deutschen durfte aber von nieman-
dem so benannt werden, ohne sich der Gefahr einer Befragung durch die Sicherheitskräfte auszu-
setzen.

Eyadéma spielte nach außen hin den weisen Staatsmann, der in mehreren Konflikten zwischen anderen westafrikanischen Ländern vermittelte. Dieses Image kam in Europa sehr gut an. Die innenpolitische Seite der Medaille interessierte weniger. Alle wichtigen Positionen in Regierung und Militär besetzte Eyadéma mit Leuten des eigenen „Clans“. Als im Oktober 1990 die Demokra-
tiebewegung mit großer Macht losbrach, und es der Opposition in der Folge gelang, eine National-
konferenz einzuberufen, an der sehr viele gesellschaftliche Kräfte teilnahmen, und auf der ein Mehrparteien-System und eine neue Verfassung verabschiedet wurden, dachte Eyadéma gar nicht daran, die Macht abzugeben. Er versuchte, die Opposition zu spalten, ließ Hunderte terrorisieren, die Sicherheitskräfte besetzten Rundfunk und Fernsehen und zwangen die Journalisten, sich für Eyadéma auszusprechen. Im Januar 1993 kulminierte die Situation, als der Diktator eine friedliche Demonstration vor den Augen einer deutsch-französischen Delegation niederschießen ließ.

Seither stehen Folter und politische Morde auf der Tagesordnung. Oppositionsführer verschwan-
den spurlos, besonders rund um die Wahlen von 1994 und 1998. Der amnesty-Report „Togo. Rule of terror“ vom 5. Mai 1999 berichtet, dass es im Zusammenhang mit der Wahl vom Juni 1998, bei der die Stimmenauszählung abgebrochen wurde und Eyadéma sich vom Militär zum Sieger erklä-
ren ließ, zu Hunderten von Hinrichtungen gekommen sei. An den Stränden seien Leichen von Menschen gefunden worden, die vom Flugzeug aus ins Meer geworfen wurden. Die togoische Re-
gierung reagierte wütend auf die Anschuldigungen und ließ umgehend Menschenrechtsaktivisten wegen „Verbreitung falscher Nachrichten“ verhaften. Amnesty selbst wird wegen übler Nachrede verklagt, wobei mit Jacques Verges jener Anwalt die Klage vertritt, der auch schon Klaus Barbie vertreten hatte.

Direkt im Anschluß an die Ereignisse vom Januar 1993 schien sich auch in Deutschland die öffent-
liche Meinung gegenüber dem Regime in Lomé zu ändern. Für kurze Zeit hatten Asylanträge bes-
sere Chancen, anerkannt zu werden. Inzwischen ist alles beim alten. Der völkische Humanismus eines Günther Beckstein feiert fröhliche Urständ. Und die Abschiebungen in Folge der Ereignisse in der Schleißheimerstraße 430 haben längst begonnen. Auch sehr aktive togoische Exilpolitiker wie z.B. Julien Tété Adabunu, von 1991 – 1993 Funktionär der damals oppositionellen UTD, später Gründer und Generalsekretär der ersten oppositionellen Organisation TNAC in Bayern, Mitglied der Münchener Karawane-Gruppe, sind unmittelbar davon bedroht, der togoischen Regierung ausgeliefert zu werden. Der Verwaltungsgerichtshof sieht jedoch keine Verfolgungsgefahr, da die togoischen Sicherheitskräfte willkürlich handelten und somit keine Verfolgungsprognose abgege-
ben werden könne. So sieht’s aus. Dennoch konnten in einzelnen Fällen Abschiebungen verhindert werden. Ayaovi De Souza, der über Brüssel nach Lomé geflogen werden sollte, wurde von den bel-
gischen Behörden zurück nach München geschickt; die belgische Fluglinie Sabena weigert sich in-
zwischen, an gewaltsamen Abschiebungen mitzuwirken, und aus der Schweiz ist ein Fall bekannt geworden, wo Passagiere eine Abschiebung verhindert haben. Der Kampf gegen Abschiebungen ist deshalb zum zentralen politischen Thema der bundesweiten Karawane-Gruppen geworden.

hilfe mit Bachir Salifou und Hans-Georg Eberl

Literatur:
Jean Yaovi Degli. Togo: La tragédie africaine. Les espoirs déçus d’un peuple. Éditions Nouvelles du Sud. Ivry-sur-Seine, 1996.
amnesty international. Togo Rule of Terror. www.amnesty.org/ailib/aipub/1999/AFR/15700199.htm
Bayrisch-Togoische Gesellschaft, 1884 – 1984. Togo und Deutschland. Freundschaft mit Tradition, München 1984.
Andreas Dietl. München. Togo Bayerns Freundschaft zum Regime in Lomé, in: Jungle World. 25. März 1999.
Claudia Wessel, Einmal Brüssel – und zurück, in Süddeutsche Zeitung, 6 Mai 1999, 29.
Dominic Johnson, Wirbel um Wasserleichen. Togos Regierung will amnesty international wegen eines extrem harten Menschenrechtsberichtes verklagen, in: die tageszeitung, 22./2. Mai 1999, 8.
Wolfram Bickerich, Franz Josef Strauß. Die Biographie, Düsseldorf 1996.


sechste hilfe. Die unsichtbare Zeitschrift, Sommer/Herbst 1999, 54 ff.

Überraschung

Jahr: 1999
Bereich: Flüchtlinge

Referenzen