Materialien 1999

Wenn die Gewerkschafts-Oma erzählt

Es war einmal eine Zeit, in den 70er und 80er Jahren, da versammelten sich am 8. März fortschrittliche Frauen in Sälen und sogar zu Demos und forderten bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, Recht auf Arbeit, Lohngleichheit, Bildungs- und Aufstiegschancen, Gleichberechtigung. Diesen Tag nannten sie den „Internationalen Frauentag“; aber Männer durften auch kommen und dann wurden Reden gehalten und uralte Lieder gesungen. Manchmal stellten sich besonders Eifrige auch vor Betriebe und schenkten den anderen Frauen rote Nelken. Da freuten sich die Ausländerinnen immer besonders. Die kannten das nämlich aus ihrer Heimat. Die deutschen Frauen wussten meist nicht so gut Bescheid, denn dieser Tag stand nicht im Kalender und lang auch nicht in der Zeitung. BILD hat ihn nie erwähnt. Und wer weiß schon, was 1910 auf irgendeiner Konferenz beschlossen wurde. Noch dazu in Kopenhagen und von Sozialistinnen ( Igitt)!

Eine Zeitlang machten die Emanzen viel Wirbel um die Gleichberechtigung. Und dann passierte auch eine Menge: Immer mehr Frauen wurden Bankdirektorinnen, Chefredakteurinnen oder Kriminalkommissarinnen. Wenn sie heirateten und ein Kind bekamen, teilten sie sich einfach den Job mit einer anderen Frau. Das war kein Problem, denn das wirklich gute Geld verdiente immer noch der Mann. Wenn die Karrierefrau nicht verheiratet war, kriegte sie ihr Leben mit Kind trotzdem ganz toll in den Griff, weil Frauen sind belastbar bis zum Umfallen.

Irgendwann kapierte Gewerkschafts-Oma, dass die ewige Jammerei, wie benachteiligt die armen Frauen sind und diese Forderungen nach noch mehr Rechten nur negative Schwingungen verbreiten und die Frauen vergrätzen. Also wurden am 8. März einfach Feste gefeiert. Mit Frauenbands und -chören, die die tollen Hits aus den 30ern drauf haben, sogar „Frl. Helen“.

Außerdem hatten sich die Zeiten geändert: Wenn frau heutzutage einen Job ergattern und halten will, braucht sie Designerklamotten und Spikes an den Ellenbogen, keine Sprüche aus der Gewerkschafts-Mottenkiste.

Klar sind viele Frauen arbeitslos. Aber das kann auch positiv sein; selbstfindungsmäßig! Yoga hilft da ganz gut. Andere kriegen bloß Billig-Jobs; für 620,- bei Penny an der Kasse. Für die hat sich kürzlich BILD echt rührend eingesetzt. Super-Rubbel-Bingo statt Sozialversicherung und Altersrente.

Einige politische Frauen gibt es auch noch. Die machen jetzt Aktionen gegen „Männergewalt“. Dabei übersehen sie total, dass die schlimmsten Gewalttaten an Frauen, Männern und Kindern von denen verübt werden, die alles besitzen: das Geld und die Macht! Und gegen die erreicht man nichts mit LOVE PARADES.

Aber vielleicht mit Demos – wie früher – am Internationalen Frauentag.

PS: Zu Redaktionsschluss lagen leider noch keine Informationen über die geplanten Aktivitäten zum Internationalen Frauentag vor, also bitte die aktuelle Tagespresse verfolgen!


Freidenkerinfo. DFV Ortsgruppe München vom Januar – April 1999, 4 f.

Überraschung

Jahr: 1999
Bereich: Frauen

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