Materialien 1999
Liebe KollegInnen
hier ein Bericht und eine erste Auswertung über den europäischen Aktionstag am 10. Dezember in München und einiges weitere, was ich letzte Woche, seit kurzem wieder „Berufs-Arbeitslose“, erlebt habe …
Dazu interessieren mich auch die Erfahrungen, Berichte und Meinungen aus anderen Städten! Bitte Berichte über gelaufene Aktionen am 10. Dezember auf die Mailing-Liste, an mich oder ans Pariser Euromarsch-Sekretariat (marches97@ras.eu.org)!
Die Vorbereitung der Aktion machte deutlich, dass die Euromarsch-Initiative München zur Zeit sowohl in organisatorischer als auch politischer Hinsicht sehr schwach ist. Ich will das hier nicht ausdehnen, denn diese Debatte müssen wir zuerst in München führen, will aber trotzdem einige Aspekte herausgreifen, die vielleicht für andere auch interessant sind. Dass wir wieder mal nicht die Revolution gemacht haben, sondern nur sehr wenige waren, ist nicht, was ich kritisiere, im Gegenteil, ich bin trotz aller Schwierigkeiten sehr froh, dass wir überhaupt etwas gemacht haben.
Unser Thema war nicht, wie im Appell vorgeschlagen, Billiglöhne und Arbeitszwang, sondern das Sparpaket. Dies war m.E. auch nicht anders machbar, denn das Sparpaket war, zumindest in den letzten Monaten in München, noch das einzige Thema, mit dem man BündnispartnerInnen für gemeinsame Aktionen gewinnen kann.
BündnispartnerInnen zu gewinnen ist uns dennoch kaum gelungen, eher zufällig beteiligte sich die Humanistische Partei, mit der wir ein gemeinsames Flugblatt herausgaben. Die Zusammenarbeit war gut, wir wollen uns auch künftig gegenseitig informieren und ggf. zu Themen, die uns gemeinsam interessieren, weiterarbeiten.
Wir machten keine „Aktion“ im engeren Sinne, sondern einen Infostand, mit der üblichen Resonanz, die Infostände im Winter am späten Nachmittag eben haben. Ein Kollege der Euromarsch-Ini hatte einen Reader mit Fakten und Grafiken zum Sparpaket angefertigt, die wir eigentlich auf einer Dialeinwand oder als Video zeigen wollten, was wg. diverser technischer Probleme nicht geklappt hat. Die Idee (und auch der Reader) ist allerdings gut, die wollen wir auch bei einer besseren Gelegenheit (z.B. Info-Markt am 1. Mai) umsetzen.
Als Blickfang gestalteten wir weihnachtlich verpackte Sparpakete mit Parolen aus unserem Reader.
Das eigentliche Anliegen, nämlich der europaweite Aktionstag, war so gut wie gar nicht sichtbar, ausser auf der Rückseite (!) des Flugblatts. Das Konzept, sich durch Aktionen in ganz Europa gegenseitig zu ermutigen, hat zumindest für München nicht geklappt. Erfreulicherweise ist es sicher anderswo anders, aber zu einer Bewegung gehören auch die, bei denen es gerade schlecht läuft.
Das wesentlichste Problem sehe ich aber darin, dass uns keine Bündnisarbeit gelungen ist, dass wir uns insbesondere von den Arbeitslosen weit entfernt haben. Wenn ich nicht selbst gerade wieder arbeitslos geworden wäre, hätten wir nicht mitgekriegt, dass der AK Arbeitslosigkeit in der IG Metall und IG Medien wieder Jagoda-Tage macht, und dann hätte auch kein/e andere/r Arbeitslose von unserem Aktionstag erfahren.
Besagter Jagoda-Tag war wenige Tage vorher am 7. Dezember, wie gewohnt um 10 Uhr vor dem Arbeitsamt. Der AK Arbeitslosigkeit hat auch keine besseren Möglichkeiten als Euromarsch (wenig Leute, kein Geld, und die Ideen müssen einem auch erstmal einfallen), und es haben wieder sehr wenige daran teilgenommen. Die Aktion bestand „nur“ darin, mit Nikolausmützen die Blicke der rein- und rauslaufenden Leute auf uns zu ziehen und die Arbeitslosenzahlen zu verkünden (und den Aktionstag am 10. Dezember), ausserdem gab es vorher in einer naheliegenden Kirche ein ökumenisches Gebet. Aber immerhin, uns haben ein paar Arbeitslose gesehen, und wir haben vor, uns im nächsten Jahr wieder zu steigern.
Die Folgerung, die ich aus dem ganzen ziehe: Ich werde, zumindest solange ich noch arbeitslos bin, meinen Schwerpunkt darauf legen, das fortzusetzen, was ich in den letzten Wochen begonnen habe: Nämlich mit den gewerkschaftlichen und christlichen Arbeitsloseninitiativen (so wenig und meinetwegen auch untätig sie zur Zeit auch sein mögen) Kontakt zu halten, etwas von ihnen zu erfahren, und ihnen vielleicht auch Lust auf europäische Aktionen zu machen, ohne dass sie gleich unter das „Dach“ Euromarsch drunter müssen. Ich hoffe, es geht dann auch irgendwann mal wieder was gemeinsam. Am wichtigsten scheint mir erstmal, sie nicht zu belabern, dass sie doch bitteschön zu Euromarsch kommen sollen, sondern umgekehrt zu ihnen hinzugehen und erstmal zuzuhören.
Noch ein letztes Erlebnis der letzten Woche: Wir Linken rümpfen gerne die Nase über die Arbeitslosenorganisationen, die „nur"“karitativ und nicht politisch tätig sind. Ich habe an einem solchen karitativen Arbeitslosenfrühstück in einer evangelischen Gemeinde teilgenommen und habe mich sehr wohl gefühlt. Dass sich ein/e Arbeitslose an einen gedeckten Tisch setzen darf, ohne erstmal erzählen zu müssen, wer er/sie ist, ob er/sie in der Kirche ist usw., hat viel mit Menschenwürde zu tun. Solange die Arbeitslosen die nicht wieder finden, werden sie auch nicht aktiv. Mir als politisch aktiver Arbeitsloser geht es genauso beschissen wie allen anderen auch, aber nach diesem Frühstück fühlte ich mich gestärkt für die nächsten Aktionen.
In diesem Sinne solidarische Grüße
Gitti Götz
http://home.link-m.de/ggoetz/
www.labournet.de/diskussion/arbeit/berichte/eurom-m.html.