Materialien 1999
Mit Bubikopf und orangen Socken die Stadt abgezockt
Von Rathaus-CSU angezettelte Lesbenhatz
läuft der rechten Medienszene aus dem Ruder
(rlz) Sie würde einen „Bubikopf" haben und „orange Socken" tragen – die Oberlesbe der Münchner Lesbenberatungsstelle LesbenTraum (LeTra). Und die dubiose Beratungsstelle würde für Kurse in „lesbischem Bergsteigen" von der Stadt kräftig unterstützt werden. Mit diesen Verleumdungen aus der Antihomo-Kiste vergangener Zeiten folgte das rechte Nachrichtenmagazin Focus im Juli dem Aufruf der CSU-Stadträtin Oberloher, der Münchner Lesbenberatungsstelle doch kräftig ans Bein zu pinkeln. Dass dem Focus und einigen anderen publizistischen CSU-Helfern das Ganze dann völlig aus dem Ruder lief und beinahe „Stürmer"-Niveau annahm, zeigt wie dünn das liberale Eis in Bayerns Landeshauptstadt leider immer noch ist.
76.000,— DM wird die Lesbenberatungsstelle LeTra 1999 als einmalige Förderung zu ihren laufenden Mitteln bekommen, um den Umzug in neue, größere Räume zu finanzieren. So beschloss es die rot-grün-rosa Mehrheit im Rathaus. Eine Summe, die bei jeder anderen städtischen oder von der Stadt geförderten Einrichtung problemlos durch den Stadtrat gegangen wäre. Aber da es um eine „Homo-Einrichtung" ging, sah die CSU ihre Chance gekommen. Die Fraktion, die schon in den letzten Jahren immer gegen die städtische Förderung von Schwulen-, Lesben- und Frauen-Beratungsstellen Stimmung machte und dabei sogar die Paradoxie zustande brachte, dass die homosexuellen Mitglieder der eigenen Fraktion die entsprechenden Streichungsanträge in den Stadtrat einbringen mussten, machte sich nun wieder zur Sprecherin des gesunden Volksempfindens.
Während die Stadt angeblich kein Geld für die Sportjugend habe, so Oberloher, würde sie „lesbisches Bergwandern" (nach Oberlohers Behauptung ein Arbeitsschwerpunkt von LeTra) mit viel Geld unterstützen.
Focus: Diffamierungen, Diffamierungen, Diffamierungen
Dass dies bewusste und diffamierende Polemik war (LeTra hat noch nie „Bergwandern" organisiert, lediglich am schwarzen Brett hängt ein Plakat einer Wandergruppe, die mit den LeTra-Mitarbeiterinnen aber nichts zu tun hat), hält in der Folge einige rechte Münchner Medien nicht ab, noch eins draufzulegen. Der Focus, der sonst so stolz auf seine Objektivität ist („Fakten, Fakten, Fakten“), schließt sich in „Stürmer"-ähnlicher Manier dem Antihomofeldzug an und bezeichnet die durch Sozialpädagoginnen durchgeführten Beratungen als „Aufpäppeln" von Lesben, beschreibt eine Mitarbeiterin als „Soziologin mit Bubikopf und orangen Socken" und wirft auch dem Sub vor, es würde mit städtischen Geldern nur „schwule Spielegruppen" organisieren. Die Lokalstationen von SAT 1 und RTL hängen sich mit ähnlichen tendenziösen Sendungen dran und das „Münchner Wochenblatt" schließlich macht sich zum willfährigen Gehilfen der CSU-Demagogie und titelt ganz ohne Anführungszeichen „300.000 Mark für Lesben – kein Geld für Sportjugend". Der zuständige Redakteur hält es dabei nicht einmal für nötig, entsprechend journalistischem Mindestniveau auch bei LeTra eine Stellungnahme einzuholen.
Lesbisch-schwule Solidarität stoppt Kampagne
Dass die Kampagne ihren Machern schließlich doch irgendwie aus dem Ruder gelaufen ist, wird spätestens dann deutlich, als eine breite Solidaritätskampagne unter Münchens Lesben und Schwulen anrollt. Im Sub führt der ausgehängte Fokus-Artikel zu zahlreichen Leserbriefen und Anrufen bei der Redaktion. Das „Münchner Wochenblatt", ein Anzeigenblatt, dessen Redaktion von einem ehemaligen BILD-Redakteur geleitet wird, erhält Anrufe von AnzeigenkundInnen, die empört die Zusammenarbeit aufkündigen. Rosa Liste-Stadtrat Thomas Niederbühl schließlich fordert die homosexuellen Mitglieder der CSU-Fraktion in einem persönlichen Brief auf, mäßigend auf ihre wildgewordene Fraktionskollegin einzuwirken.
Das Szenemagazin „Our Munich" kritisiert unter der Überschrift „Lesbenhetze im Nachrichtenmagazin" seine KollegInnen vom Focus und der „Bund lesbischer und schwuler Journalisten“ will den Focusskandal vor den Deutschen Presserat bringen. LeTra schließlich erhält zahlreiche Solidaritätserklärungen, Focus-LeserInnen faxen Kopien ihrer Abo-Kündigung und zusammen mit der Beratungsstelle des Sub treten die Mitarbeiterinnen von LeTra in einer Pressekonferenz am 29.7. an die Öffentlichkeit, um sachlich über ihre Arbeit zu berichten.
Inzwischen bleibt der Focus-Redaktion nichts anderes übrig als mehrere Leserbriefe abzudrucken, die sich ausschließlich kritisch mit der eigenen Berichterstattung auseinander setzen, und das Münchner Wochenblatt schiebt in der ersten Augustausgabe einen sachlicheren zweiten Bericht über LeTra nach.
Zeitung rosa liste münchen. Nachrichten der schwul-lesbischen WählerInnen-Initiative München vom August/September 1999, 1 f.