Materialien 1999

Agrarkonzerne, Gentechnik und „freier“ Weltmarkt

Indische Landarbeiterinnen in München

Am 16. Juni wurde dem Europäischen Patentamt, mit dessen fataler Rolle sich die HN in den vergangenen Jahren schon mehrmals befassten, eine Ehre zuteil, die es wohl kaum zu schätzen wusste: Zusammen mit Münchner AktivistInnen gegen die Patentierung von Leben und der ne-
palesischen Menschenrechtsorganisation INHURED
1 demonstrierten vor dem Gebäude Vertre-
terInnen der indischen BäuerInnen- und LandarbeiterInnenorganisation KRRS
2 - Menschen, deren Existenz von den hier lagernden Patenten von Firmen wie Hoechst und Monsanto für gen-
technisch veränderte Pflanzen und andere Organismen unmittelbar bedroht wird: nicht von un-
gefähr war ein bisheriger Höhepunkt der KRRS-Aktionen das Niederbrennen von Versuchsfel-
dern mit gentechnisch manipulierter Baumwolle des Monsantokonzerns (in Karnataka).

Die fünfunddreißig BesucherInnen aus Vorderasien waren vom 14. bis 17. Juni in München, als Teil der fünfhundertköpfigen „Interkontinentalen Karawane (ICC) für Solidarität und Wider-
stand“, die zwischen 25. Mai und 20. Juni verschiedene europäische Länder bereiste. Das Ziel der ICC war Protest gegen die maßgeblich Verantwortlichen für Armut und Verelendung im Trikont3 und Aufklärung der europäischen Öffentlichkeit. Darüberhinaus ging es ihr jedoch auch um Aus-
tausch und Vernetzung mit hiesigen Widerstandsbewegungen – da ihrer Einschätzung nach von den verheerenden Auswirkungen der „Liberalisierung“ des Welthandels und der immer stärkeren Ausrichtung staatlicher Politik an Unternehmensinteressen auch die Menschen in Europa in zu-
nehmendem Maß betroffen sind.

In diesem Sinne wurden die KRRS- und INHURED-SprecherInnen in München nicht nur vor dem Europäischen Patentamt vorstellig, sondern führten auch eine Veranstaltung in der Geschwister-Scholl-Universität durch, besuchten mehrere Schulklassen und gaben Interviews auf Lokalradio-
sendern.

Die indischen BäuerInnen erzählten von ihren Kämpfen gegen Agrarkonzerne wie Monsanto und Cargill, die seit Jahren in Indien eine intensivierte Landwirtschaft unter Verwendung von (von ihnen produzierten) Chemikalien, Hybridsamen und neuerdings auch gentechnisch verändertem Saatgut forcieren. KleinbäuerInnen und LandarbeiterInnen geraten in zunehmende Abhängigkeit von den Agrarkonzernen; die Kontrolle und die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung wird ihnen entzogen. Viele BäuerInnen glaubten anfangs der Propaganda der Konzerne, sie würden durch Verwendung von Hybridsamen und intensive Chemikaliennutzung höhere Umsätze erzielen. Inzwischen wurden jedoch viele dieser Illusionen zerstört: Zahlreiche BäuerInnen sind gezwungen, jedes Jahr neues Saatgut von den Agrarmultis zu kaufen, da sich das scheinbar so ertragreiche Hybridsaatgut kein zweites Mal verwenden lässt. Viele haben sich dadurch tief verschuldet. Durch die sogenannte „grüne Revolution“ wurden seit den sechziger Jahren in Indien zahlreiche bäuerli-
che Existenzen zerstört.

Die Durchsetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen würde diese Entwicklung noch weiter verschärfen. Die Profite landen bei den Agrarrnultis und bei denen, die sich exportorientierten An-
bau in großem Stil leisten können.

Die Verschärfung der Ausbeutungsbedingungen geschieht besonders auf Kosten der Frauen, er-
läuterte Neru von INHURED. So führt der Verlust von Existenzgrundlagen in der Landwirtschaft dazu, dass viele Männer in Fabriken Arbeit suchen, während die Frauen mit der Bestellung der Felder und der Versorgung der Kinder alleingelassen werden. Und auch viele Frauen müssen noch zusätzlich durch Fabrikarbeit Geld heranschaffen. Staudammprojekte in Nepal wirken für manche zunächst lukrativ, da zeitweise Arbeiter für den Bau benötigt werden. Am Ende bleiben jedoch viele dieser Arbeiter erwerbslos zurück, während das Staudammprojekt weitreichende ökologische Ver-
wüstungen hinterlässt und lokale Wirtschaftsstrukturen zerstört. Die Perspektivlosigkeit, verbun-
den mit Alkoholkonsum, schlägt sich nicht zuletzt in zunehmender Gewalt von Männern gegen Frauen nieder.

Doch es regt sich massiver Widerstand: Allein im indischen Bundesstaat Karnataka haben sich zehn Millionen Menschen der BäuerInnen- und LandarbeiterInnenbewegung KRRS angeschlos-
sen, die nach dezentralen, ökologischen Wirtschaftsstrukturen strebt, bei denen die Menschen vor Ort selbst über ihre Belange entscheiden. Eine wichtige Grundlage stellt für die KRRS das Konzept der Dorfrepubliken von Mahatma Ghandi dar.

Kein gutes Haar ließen die SprecherInnen von KRRS und INHURED an internationalen Wirt-
schaftsinstitutionen wie Welthandelsorganisation (WTO) und Internationalem Währungsfond (IWF) und an den nationalen Regierungen, die mit diesen Institutionen kooperieren. Besonders scharf kritisiert wurden die Maßnahmen zur „Liberalisierung“ des Welthandels, beispielsweise Wegnahme von Import- und Exportzöllen oder die Aufhebung von gesetzlichen Bestimmungen im sozialen und ökologischen Bereich. Die Durchsetzung des „freien, schrankenlosen Marktes“ sichert transnationalen Großkonzernen den ungehinderten Zugriff auf natürliche Ressourcen und menschliche Arbeitskraft, gerade in der sogenannten Dritten Welt; für die betroffenen Menschen bleibt Zerstörung von Lebensgrundlagen, wachsende Armut und Verelendung. So stieg beispiels-
weise in Indien durch die Liberalisierung des Zwiebelexports der Zwiebelpreis innerhalb weniger Wochen um das zehnfache. Besonders für die untersten Schichten der Gesellschaft, zu deren Grundnahrungsmitteln die Zwiebel gehört, hat sich damit die Versorgungslage drastisch ver-
schlechtert.

Die interkontinentale Karawane

Den TeilnehmerInnen der ICC ging es nie darum, hier in Europa um „Almosen für die Armen“ zu betteln: „Wir wollen kein Geld vom Westen; wir wollen auch keine westlichen Technologien oder Experten, die uns ihr Entwicklungsmodell aufschwatzen. Wir lassen uns auch nicht als politisches Werkzeug missbrauchen, um die Eliten um Reformen zu bitten, die wir nie verlangt haben. Wir wollen nur unsere Kraft organisieren und sie kombinieren mit der Kraft von anderen Bewegungen aus dem Norden und aus dem Süden, um die Kontrolle über unser Leben wiederzugewinnen …“ (ICC-Manifest)

Da die ICC-TeilnehmerInnen großteils Aktivistinnen in BäuerInnen- und Landlosenbewegungen sind, suchten sie den Austausch mit BäuerInnen in Europa, da sie davon ausgehen, daß diese mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind wie BäuerInnen in allen Teilen der Welt. Aber es gab auch gemeinsame Treffen und Aktionen mit Flüchtlingen und MigrantInnen, mit Erwerbslosen, Frie-
densinitativen und Linksradikalen. Ein Höhepunkt der Karawane war die Teilnahme an den Pro-
testen gegen EU-Gipfel und Weltwirtschaftsgipfel in Köln.

Koordiniert wurde das Projekt ICC im Rahmen des internationalen Netzwerkes „Peoples Global Action“ (PGA – 1. Konferenz im Februar 1998 in Genf, mit Delegierten aus 71 Ländern). PGA versteht sich als neue Allianz der Zusammenarbeit und des gemeinsamen Kampfes gegen den sogenannten Freihandel und die Welthandelsorganisation. Bislang beteiligen sich daran Organi-
sationen von BäuerInnen, Landlosen und indigenen Bevölkerungen, sowie Frauengruppen, Basis-
gewerkschaften, Umwelt-AktivistInnen und noch andere. Hierzulande am bekanntesten sind wohl die Frente Zapatista aus Mexiko und die Ogoni-Bewegung aus Nigeria. Dementsprechend war auch die Karawane international zusammengesetzt: Neben den Menschen aus Indien und Nepal betei-
ligten sich Angehörige der brasilianischen Landlosenbewegung „Sem Terra“, die vor allem durch Landbesetzungen von sich reden machen, sowie Leute aus Kolumbien, Mexiko, Argentinien und der Ukraine.

Der Aufbau internationaler solidarischer Widerstandsnetze, an denen sich Menschen aus dem Norden und aus dem Süden beteiligen, könnte in der Tat eine Antwort auf ein kapitalistisches Wirtschaftssystem sein, das heutzutage mehr denn je im globalen Rahmen organisiert wird. Na-
türlich gilt es dabei die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in Europa und in der soge-
nannten Dritten Welt zu berücksichtigen: Im Trikont wird durch das herrschende Weltwirt-
schaftssystem dem Großteil der Menschen die Befriedigung der existentiellsten Grundbedürfnisse – Nahrung, Wohnraum, medizinische Versorgung – verwehrt. In Europa sind zwar auch immer mehr Menschen von Verschlechterung der Lebensbedingungen und von sozialer Ausgrenzung betroffen, doch profitieren hier nach wie vor viele – und keineswegs nur die Reichen – von dem Konsumangebot, das nicht zuletzt durch die Ausbeutung der ärmeren Teile der Welt ermöglicht wird. So gibt es dann auch in zahlreichen Trikont-Ländern starke Widerstandsbewegungen mit breiter Verankerung in der Bevölkerung, während beispielsweise in Deutschland bislang nur eine kleine Minderheit radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen übt; und während in Indien und Brasilien letztes Jahr Hunderttausende gegen die WTO demonstrierten, wissen hier in Europa die meisten gar nicht, was die WTO überhaupt ist.

Doch die ICC ist optimistisch: „In den Ländern des Südens ist die Notwendigkeit einer radikalen politischen Veränderung offensichtlich. Wir hoffen, dass dieses Projekt dazu beitragen wird, dieses Bewusstsein auch in der europäischen Öffentlichkeit zu verbreiten.“

Hans-Georg Eberl, ICC-Gruppe München

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1 International Institute für Human Rights, Ecology and Development

2 Karnataka Rajyasa Raitha Sangha – State Farmers’ Association

3 = Dritte Welt.

< für die HN – geringfügig – bearbeitet von uw >
Kontakt ICC-Gruppe: Tel. 87 12 99 45 (Eberl) / 32 47 97 05 (Martina Kostial) / 69 72 418 (Anil Jain)


Haidhauser Nachrichten 8 vom August 1999, 1 ff.

Überraschung

Jahr: 1999
Bereich: Umwelt

Referenzen