Materialien 2001
Das Stadion kommt - die Kampagne hat gewonnen
Jetzt kein schlechter Verlierer sein. 65,8 Prozent haben mit „ja“, 34,2 Prozent mit „nein“ gestimmt. Andere Rechnung, mathematisch auch korrekt: 24,59 Prozent haben mit „ja“ und 12,8 Prozent mit „nein“ gestimmt, bezogen auf alle Stimmberechtigten. Aber auch dann hat „ja“ gewonnen.
Warum nun nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren? Weil nicht der Souverän Bürger, sondern eine Kampagne über das Ergebnis entschieden hat.
Keine Chancengleichheit der Argumente pro und kontra. Statt dessen erklären Vertreter wirtschaftlicher Interessen – Fußballvereinspräsidenten, Wirtschafts- und Handwerkskammern ihr Wohl zum Gemeinwohl. Beim Stichwort „Arbeitsplätze!“ reiht sich der Deutsche Gewerkschaftsbund brav ein. Die Fanfare von der „zukunftsfähigen Stadt!“ kennt keine Parteien mehr, nur noch den „Münchner Teamgeist“.
Land auf Land ab tönt eine falsche Wahlalternative, wird die zur Entscheidung gestellte Frage: Mit wieviel Steuergeld steigt die öffentliche Hand in das Unternehmen Stadion mit ein? umgebogen in die Frage: Bist du für oder gegen den Stadionneubau? Mit im einstimmigen Chor die gewählten Spitzen von Land und Stadt: Edmund Stoiber, auch Aufsichtsratschef des FC Bayern, Christian Ude, auch Mitglied im Sechzger-Aufsichtsrat. Das bisschen Interessenkollision oder Befangenheit ist doch kein Problem.
Die Münchner Medien machen die Kampagne. Ihr Gleichschritt, ob Tageszeitung oder Privatsender, gerät zur Gleichschaltung. Es gibt Ausnahmen, aber die bewegen rein mengenmäßig kaum mehr etwas. Jubelgesang der Hurra-Münchner.
Pressure-groups haben den Bürgerentscheid für ihre Ziele entdeckt. Nicht das Lehrbuch der Demokratie für den Gemeinschaftskundeunterricht, sondern die Regie wirtschaftlicher Interessen schreibt das Drehbuch. Das ist die Erfahrung des letzten Bürgerentscheids. Das sollte zu denken geben. Der Appetit kommt beim Essen, sagt der Volksmund. CSU-Rathausfraktionschef Podiuk gibt die Richtung vor: Nach dem zukunftsweisenden Schulterschluss der großen Stadtratsparteien beim Stadionentscheid könnte man doch auch den Transrapid … Zuzutrauen ist ihnen eine neue Kampagne, ein neues „Bündnis“. Wir werden uns auf weitere Dampfwalzenfahrten einzurichten haben.
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Wieder mal eine Volksabstimmung wie jede andere
Nein, diesmal war’s unvergleichlich.
Schon aus Anlass der Tunnelaffäre hatten sich unheilige Allianzen mächtig ins Zeug gelegt, um die Wirtschaft der Metropole vor dem unaufhaltsamen Niedergang zu bewahren. Der lässt immer noch auf sich warten, wie die Fertigstellung der Tunnel.
Aber wenn’s um Fußball geht, gehen die Pferde durch. Und wenn dann noch Geld im Spiel ist, darf der Ball nicht mehr rund sein. Alle, die was verdienen wollen, waren dafür und erzählten das allen, die sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu erreichen suchten.
Sogar im Kino wurde man mit einer Ja-Familie belästigt, die sich fragte, warum hier eigentlich kein Stadion gebaut werden sollte.
Und so mussten schon bald „Stadiongegner“ allen Ja-Sager/inne/n erklären, dass sie nicht gegen ein Stadion waren, sondern nur gegen Steuergeschenke an Fußball-Millionäre.
Die Boulevardpresse war dafür — hier tat sich besonders die sonst eher liberale AZ hervor. Sie startete eine regelrechte Kampagne und brachte in den Tagen vor der Abstimmung seitenweise Argumente für das Stadion vor — und keins dagegen. Befürworter fast jeder Couleur durften mal.
Es wurde auch steuernd eingegriffen. Seine Hoheit der Kaiser selbst hatte sich in der Wortwahl vergriffen. Auf eine drohende Majestätsbeleidigung bei der Abstimmung reagierte er mit einem standesgemäßen vorausgaloppierendem Schmollanfall und drohte, mit seinem Verein ins Exil zu gehen. Vielleicht nach Holland, wie sein Vorgänger?
Um die Wogen zu glätten, die die trübe Lichtgestalt geschlagen hatte., sprang der Alt-OB Vogel in die Bresche und beschwor die Münchner: Ja stimmen trotz Kaiser-Schmarrn.
So eingestimmt stimmten 65 Prozent der knapp 40 Prozent für ein stimmiges Steuergeschenk, das den Stadtetat nicht belastet, weil es als Kredit aufgenommen wird.
Dass immerhin 35 Prozent dagegen waren, lässt hoffen, dass unsere noch junge Demokratie dereinst doch noch ihrer Adoleszenz entwachsen wird.
Fußballfreunde müssen dann aber draußen bleiben!
HR
Haidhauser Nachrichte 11 vom November 2001, 10.