Materialien 2001
Grundgesetz gilt nicht für psychisch Kranke
„Antistigma-Aktion München“
Psychisch Kranke haben in unsere Gesellschaft keine Lobby. Mit „Irren“ und „Verrückten“ und deren Angehörigen wollen wir nichts zu tun haben. Hartnäckig halten sich Vorurteil und Ängste, die selten begründet sind. Um dies zu ändern, hat sich jetzt in München die sogenannte „Antistigma-Aktion München“ gegründet. Sie will mit einer Kampagne gegen die Diskriminierung vor allem an Schizophrenie erkrankter Menschen ankämpfen. Den Auftakt bildet eine Kunstausstellung des Münchner Künstlers Günther Neupel in der Psychiatrischen Klinik der LMU München.
Wie heißt es so schön im Grundgesetz in Artikel 3?
1. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
2. niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Wie passt es da zusammen, wenn eine „Bürgeraktion in Starnberg mit geschmacklosen Flugblättern die Einrichtung eines Wohnheims für psychisch Kranke verhindert – wenn psychisch Kranke keinen Job und keine Arbeit finden – sie kurzerhand nur als „Irre“ abgestempelt werden, mit denen man ja nichts zu tun haben will?
In Deutschland erkranken etwa 80.000 Menschen mindestens einmal in ihrem Leben an Schizophrenie – allein in München sind 13.000 betroffen. Sie leiden unter Halluzinationen, Angstzuständen, Denk- und Wahrnehmungsstörungen. Der Leidensdruck für Betroffene und Angehörige ist außerordentlich groß. Etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Patienten nehmen sich innerhalb der ersten zehn Jahre nach dem Krankheitsausbruch das Leben.
Weil die meisten von uns zu wenig über diese Krankheit wissen, machen wir ihnen zusätzlich das Leben schwer. Hier einige weitverbreitete Mythen und deren Widerlegung durch die „Antistigma-Aktion München“:
„Schizophrenie ist unheilbar.“ Falsch, ein Viertel bis ein Drittel der Patienten können geheilt werden, ein mindestens ebenso großer Prozentsatz erleidet nur leichte oder wenige Rückfalle.
„Die Schuld liegt in der Familie.“ Falsch. Tausende Angehörige leiden ohne Grund unter Scham, Schuld und Stigma.
„Schizophrenie ist ansteckend.“ Quatsch. Die Ursachen liegen im psychischen und genetischen Bereich.
„Die Betroffenen sind unberechenbar, gefährlich und gewalttätig.“ Falsch. Psychisch Kranke sind im allgemeinen nicht gefährlicher als Gesunde. Im Gegenteil, an Schizophrenie Erkrankte sind eher Opfer von Missbrauch oder Gewalt als selbst die Täter.
Psychisch Kranke haben in unserer Gesellschaft keinen Platz, sie werden ausgegrenzt von denen, die sich als „normal“ empfinden. Indem man sie als „Irre“ abstempelt, wiegt man sich in der trügerischen Gewissheit, dass einem selbst dies nie passieren könnte.
Mit ihrer Kampagne will die „Antistigma-Aktion München“ jetzt aufrütteln. Ärzte, Betroffene und Angehörige haben sich zusammengetan um ganz gezielte Aktionen durchzuführen – z.B. Workshops, in denen Schüler, Lehrer, Polizisten und Journalisten Berührungsängste mit psychisch Kranken abbauen können. Für die Öffentlichkeit sind Lesungen, Filmabende, Vorträge und ein Schülerwettbewerb geplant.
Als Auftakt: eine Kunstausstellung des Münchner Künstlers Günther Neupel. Zu sehen im Hauptgebäude der Psychiatrischen Klinik der LMU München.
Neupel war selbst psychisch krank und begann mit der Malerei bereits während eines Aufenthaltes in einer Klinik. Die Ausstellung ist noch bis zum 19. Mai zu sehen.
Die Antistigma Kampagne ist Teil eines internationalen Programms, das der Weltverband für Psychiatrie 1998 gestartet hat. Der deutsche Dachverband heißt „Open the doors“ – dementsprechend finden Sie weitere Informationen unter www.openthedoors.de.
Haidhauser Nachrichten 5 vom Mai 2001, 8.