Materialien 2001

KZ -Gedenkstätte Dachau geschändet

Neonazis bejubeln Terroranschläge – Polizei wartet auf Hinweise

Seit den schrecklichen Anschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington sind die Internet-Seiten der Neonazis voll von antisemitischen und antiamerikanischen Hasstiraden, in denen die Ermordung von Tausenden von Menschen durch die Luftangriffe vorn 11. September begrüßt und gefeiert wird. Aber nicht nur das. In der Nacht vorn 15. auf den 16. September besprühten „Unbekannte“ in der KZ-Gedenkstätte Dachau Rück- und Seitenwände der beiden rekonstruierten Häftlingsbaracken auf ganzer Länge mit zahlreichen Parolen, die unschwer als Sympathiekundgebung für die Terroristen zu erkennen waren. „Die USA die Bomben + Gas + Abfackelmeister von Vietnam sind verlogene ölgierige Judenwichser / Wegen lA Terroristen wollen die Völkermord an Moslem machen“, hieß es da beispielsweise. Oder: „Der Jud ist verantwortlich für die Moslemteroristenanschläge in den USA“. Oder: „Deutsche Politiker sind Juden + Amilakaien“. Oder: „Die Juden wollen im 3. Weltkrieg ausgerottet werden“. Die beiden Präsidiumsmitglieder des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch und Michael Friedmann, wurden namentlich beleidigt und bedroht.

Die Liste der Schmierereien, die von Mitarbeitern der Gedenkstätte am Morgen des 16. September entdeckt wurden, ist ellenlang. Die Schmierer müssen die ganze Nacht in aller Ruhe am Werk gewesen sein. Eine vorzeitige Entdeckung brauchten sie nicht zu befürchten, denn es gibt auf dem Gelände weder einen nächtlichen Wachdienst noch irgendwelche Alarmeinrichtungen (Bewegungsmelder oder Ähnliches). Unbehelligt von gelegentlichen Polizeipatrouillen außerhalb des Geländes konnten sich die Täter also innerhalb der Gedenkstätte ungeniert bewegen und schließlich verschwinden, ohne sonstige Spuren zu hinterlassen.

„Wir haben das gesamte Gelände Quadratzentimeter für Quadratzentimeter abgesucht, aber nichts gefunden“, beteuerte jedenfalls Wilhelm Mainz von der Abteilung Staatsschutz der zuständigen Kripo Fürstenfeldbruck bei einer Informationsveranstaltung der Gedenkstättenleitung am 19. September. „Es sieht momentan nicht gut aus“, fasste Mainz die Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen zusammen. Man wisse nicht, aus welchen Kreisen die Täter kommen, „außer allgemein rechtsextreme Kreise mit großer Wahrscheinlichkeit“. Zu dieser bahnbrechenden Erkenntnis waren auch die beiden Vertreter des bayerischen Kultusministeriums (als formal Geschädigter) gekommen, die – neben Gabriele Hammermann von der Gedenkstättenleitung und dem Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, Prof. Wolfgang Benz, sowie Dr. Jürgen Zarusky vom Münchner Institut für Zeitgeschichte als Moderator – an diesem Abend auf dem Podium saßen. Dr. Peter März, stellvertretender Leiter der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (einer Einrichtung des Kultusministeriums), analysierte die Schmierereien als „Angriff auf die Gedanken der Aufklärung und der Moderne“, bei dem „offenbar debile Täter im Vordergrund“ die Tat ausgeführt hätten, während die „Stichwortgeber im Hintergrund“ geblieben seien. Denn bei allem Schwachsinn der Parolen sei doch nicht zu übersehen, dass sich deren perverse Logik auf historische Vorbilder stütze. Schon Hitler habe 1939 in einer Rede vor dem Deutschen Reichstag gesagt, wenn es den Juden „noch einmal“ gelänge, einen Weltkrieg anzustiften, würde das die Ausrottung des internationalen Judentums bedeuten.

Kleinere Schmierereien gehören, so war weiter zu hören, „zum Alltag der Gedenkstättenarbeit“ (Zarusky), werden aber, „um Nachfolgetaten zu verhindern“, in der Regel so rasch wie möglich unter den Teppich gekehrt, ohne weiter nach den Urhebern zu suchen. Dies sei in diesem Falle aber nicht möglich gewesen, handele es sich doch um die schlimmste Schändung einer Gedenkstätte seit der Brandstiftung in Sachsenhausen 1991. Die ersten Anweisungen von Seiten des Kultusministeriums entsprachen allerdings dem gewohnten Muster: So schnell wie möglich alles überstreichen. Ministerialdirektor Dr. Josef Erhard fand es noch in der Veranstaltung „durchaus sinnvoll, so etwas nicht sofort zur internationalen Staatsaktion zu machen, wo noch nicht einmal klar ist, ob ein Hintergrund vorhanden ist, über den zu sprechen lohnt“. Heftiger Widerspruch hierzu kam aus dem Publikum. Ernst Grube, Überlebender des KZ Theresienstadt und stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau, berichtete von faschistischen Flugblättern, die seit Monaten im Augsburger und Dachauer Raum verteilt wurden, und wies auf die Zerstörung einer Schautafel des Fördervereins sowie auf das empörende Urteil eines bayrischen Richters hin, der die Beschimpfung Michael Friedmanns als „Zigeunerjude“ nicht als volksverhetzend oder beleidigend wertete. Derartiges werde nicht verhindert, indem man es verschweigt, sagte Grube. Die Tatsache, dass in den Schmierereien Namen genannt werden, sei eine neue Qualität, die Angst mache. „Jetzt werden Charlotte Knobloch und Michael Friedmann genannt. Wann wird (der Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau) Max Mannheimer genannt? Wann wird Ernst Grube genannt?“ Hoffnung müsse man auf die Mehrheit setzen, die keine Neonazis sind. „Die müssen wir gewinnen, dass sie sich wehren. Aber dafür müssen die Bescheid wissen über das, was passiert.“

Die Brechreiz erregenden Schmierereien wurden zunächst mit grauen Plastikplanen überdeckt, bis entschieden sein wird, was im Zuge der bereits laufenden Umgestaltung der Gedenkstätte mit den Baracken geschehen soll. Bei ihren Ermittlungen ist die Polizei bis heute (24.9.) noch keinen Schritt weiter. Von Staatsschützer Mainz ist zu erfahren, dass ein wissenschaftliches Institut mit der sprachtheoretischen Analyse der Schmierereien beauftragt wurde. Ansonsten nichts Neues. Mainz entschuldigt sich damit, dass leider keine Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen seien. Der Polizei seien zwar durchaus Rechtsextremisten am Ort und in der Region bekannt. Für gezielte Befragungen oder gar Hausdurchsuchungen fehle jedoch, so Mainz, der „Anfangsverdacht“. Wurde denn mittlerweile wenigstens eine Belohnung für sachdienliche Hinweise ausgesetzt, wie es Mainz am 19.9. gegenüber den Vertretern des Kultusministeriums angeregt hatte? Bislang nicht. Im Ministerium ist man aber zuversichtlich, dass das wohl noch geschehen werde.

Landauf, landab wird zurzeit fieberhaft Ausschau gehalten nach potenziellen Terroristen und ihren Sympathisanten. Die Stammtische überschlagen sich mit Vorschlägen zur Komplettüberwachung der Bürger, Steuererhöhungen sind plötzlich populär, und es wird laut über den Einsatz des Militärs im Innern nachgedacht. In den Hamburger Bürgerschaftswahlen gewann ein „Richter Gnadenlos“ mit seinem Rechtsaußen-Programm zur Inneren Sicherheit aus dem Stand fast 20 % der Stimmen. – Sollte man nicht endlich diejenigen ins Visier nehmen, die kein Hehl aus ihrer Sympathie für Terroristen machen- für diejenigen, die am 11. September in den USA Tausende umbrachten, und für das Regime staatlichen Terrors, das einst in Deutschland den millionenfachen Mord industriemäßig organisierte?

Aus Deutsch-Tschechische Nachrichten Nr. 33.

Renate Hennecke

Nachtrag am 1.10.2001: Mittlerweile wurde eine Belohnung für sachdienliche Hinweise in Höhe von 5.000 DM ausgesetzt (zuständige Polizeidienststelle: Kripo Fürstenfeldbruck, Tel. 08141-612410). Von Herrn Mainz war heute zu erfahren, dass es weiterhin schlecht aussehe: es gebe noch immer keine heiße Spur; Hinweise aus der Bevölkerung gingen zwar viele ein, diese bezögen sich jedoch auf mögliche ausländische Terroristen und nicht auf mögliche Urheber der Schmierereien. RH.


Münchner Lokalberichte 20 vom 5. Oktober 2001, 4.