Materialien 2002

Der Staatsanwalt und der „Mob“

Bayrische Gerichtsurteile gegen Antifaschisten

„Nachdem die Bombenpläne jetzt bekannt sind, sollte sich der Eifer der Strafjustiz doch darauf konzentrieren, die Neonazis zu stoppen, statt darauf, jene zu bestrafen, die sich – etwas hellhöriger als die Staatsorgane – bereits frühzeitig in den Weg der gestiefelten Kolonnen gestellt haben!“ Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) schrieb diese Sätze am 18. Oktober in der „Abendzeitung“, verbunden mit dem Aufruf an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt, an einer Demonstration des Bündnisses für Toleranz am Jakobsplatz teilzunehmen.

Auf diesem Platz im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt soll das neue jüdische Gemeindezentrum mit Synagoge gebaut werden. Zur Grundsteinlegung am 9. November hatten Neonazis ein Bombenattentat geplant und Sprengstoff und Waffen gehortet (wir haben darüber berichtet).

Die Justizschelte des Oberbürgermeisters bezog sich auf eine Reihe von Urteilen, die in den Wochen nach den Bombenfunden von der bayerischen Justiz gegen Antifaschisten verhängt worden waren. Diese hatten im November 2002 die Münchnerinnen und Münchner dazu aufgerufen, sich einem Naziaufmarsch entgegen zu stellen. Ein „Aufruf zu strafbarem Handeln“ sei dies gewesen, befanden Staatsanwaltschaft und Gerichte. Zu den Anmeldern des damaligen Aufmarsches gehörte Martin Wiese von der braunen „Kameradschaft Süd“ -inzwischen als Hauptverdächtiger in Sachen Bombenterror in Haft.

Martin Löwenberg, Landesvorstandsmitglied der VVN-BdA Bayern und ehemaliger KZ-Häftling, und der in den Niederlanden geborene Christiaan Boissevain, dessen Angehörige ebenfalls von den Nazis verfolgt worden waren, wurden zu hohen Geldstrafen verurteilt. Der Stadtrats-Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Siegfried Benker, kam mit einer Verwarnung in Höhe von 150 Euro davon, die für ein Jahr ausgesetzt ist, in dem er nicht mehr einschlägig „straffällig“ werden darf.

Als einen „Freispruch 2. Klasse“ wertete Benker sein Urteil (diesem Prozess saß ein Richter vor, der einen etwas liberaleren Eindruck hinterließ als der Vorsitzende der beiden vorangegangenen Verfahren). Zu erwarten allerdings ist, dass die Staatsanwaltschaft in Berufung geht – im Fall Löwenberg hat sie dies bereits getan, weil ihr die vom Gericht gegen den KZ-Überlebenden verhängten 450 Euro Strafe als zu milde erscheinen. Der für all diese Verfahren zuständige Staatsanwalt machte kein Hehl daraus, welch hohes Rechtsgut für ihn die Meinungs- und Versammlungsfreiheit von Faschisten ist. Wer dazu aufrufe, sich diesen entgegen zu stellen, helfe mit, dass – so wörtlich – „der Mob“ sich dann ja überall auf den Straßen versammeln könne. Beste bayerische Rechtstradition: Seit dem juristischen Umgang mit links und rechts nach dem Hitlerputsch 1923 ist sie „geschichtsbuchnotorisch“. Die verurteilten Münchner Antifaschisten haben inzwischen weltweit Solidaritätsbekundungen erhalten. Das ist gut so – und für die anstehenden Berufungsinstanzen bitter nötig.

Polizeiliches Armutszeugnis

Die Protestveranstaltung gegen einen Neonaziaufmarsch im November 2002 in München auf dem Odeonsplatz hatte ja inzwischen ihre juristischen Nachspiele. Neben Martin Löwenberg und Siegfried Benker, denen jetzt Prozesse wegen „Aufrufs zu strafbarem Handeln“ gemacht wurden, sprach bei der Kundgebung auch unser über 90-jähriger VVN-Kamerad Hans Taschner. Er trug das Gewand der KZ-Häftlinge und schilderte eindringlich seine Erlebnisse im Lager Dachau.

In den Prozessakten gegen die Münchner Antifaschisten tauchte nun ein kurioses Dokument auf, für das die Bezeichnung „Polizeiliches Armutszeugnis“ eigentlich noch zu harmlos ist. Es handelt sich um die Abschrift von Tonbandaufzeichnungen, die während der Veranstaltung von den Ordnungshütern vor Ort erstellt worden waren.

In dem Protokoll ist unter anderem zu lesen, dass der Grünen-Stadtrat Benker gesagt habe, am 9. November 1938 habe jemand mit Namen „Göppel“ vom Alten Rathaus in München aus zu einer „Reichsprognomnacht“ aufgerufen. Wer hätte gedacht, dass dem NS-Propagandaminister, um den es da ja eigentlich geht, das Wohl der Wichtel so am Herzen gelegen hat? – Aber es kommt noch dicker: Aufgetreten sei bei dieser Veranstaltung auch ein Redner, der eine „Kfz-Uniform“ getragen habe. Unser Kamerad Hans Taschner im gestreiften Blaumann? Ein für die Tonbandmitschnitte bei der Veranstaltung zuständiger Polizeizeuge sagte bei einem der Münchner Anti-Antifa-Prozesse auf Fragen der Verteidigerin hin aus, dass eine Verwaltungsangestellte diese Abschriften getätigt hätte. Dummerweise habe sie dann halt keiner mehr richtig gegengelesen – weder die polizeilichen Staatsschützer, noch die Staatsanwaltschaft.

Der ganze Vorgang entbehrt ja nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik, die da aktenkundig geworden ist. Aber er ist auch bezeichnend dafür – und da ist Schluss mit Lustig -, dass Ermittler und Strafverfolger, wenn es gegen Antifaschisten geht, Fakten eher nachlässig behandeln. Wenn letztlich das angestrebte Urteil herauskommt, werden auch Blamagen gern in Kauf genommen.

Ernst Antoni


antifa. Magazin für antifaschistische Politik und Kultur vom Dezember 2003/Januar 2004, Berlin, 6 und VII.