Materialien 2002
Sehr geehrter Herr Ude ...
in der Münchner Abendzeitung stand kürzlich, Embryo sei ein Stück München oder eine Münch-
ner Institution. Ich als einer der Gründer dieser seit 1969 existierenden Musikgruppe wende mich nun direkt an Sie als Münchner Institution.
Unser Ensemble ist Ihnen hoffentlich bekannt, eine Embryokomposition ist bereits in der Bayeri-
schen Hackbrettfibel abgedruckt, im „Arbeitsbuch für den Musikunterricht“ ab Klasse 9 („Musik hören, machen, verstehen“ von Wolf Dieter Lagert) werden wir den Schülern wärmstens als An-
schauungsmaterial empfohlen. Das sind einige der ersten Früchte unserer Arbeit, ohne dass wir direkt diese Veröffentlichungen veranlasst hätten.
Eigentlich sind wir ein Konzertensemble, das von Anfang an sich zum Ziel gesetzt hat, den Dialog mit anderen Kulturen zu pflegen, um zu zeigen, dass ein friedliches Nebeneinander und ein Aus-
tausch möglich ist, ohne dass die eine oder andere Seite dabei zu kurz kommt.
Wir haben viele Tourneen seit 1971, auch in Zusammenarbeit mit dem Goetheinstitut, in ferne Länder wie Nigeria, Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Türkei, Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien, Japan, und USA unternommen (wurden dort überall als Münchner Musikgruppe vorge-
stellt) und haben dabei wunderbare Kollegen getroffen, die heute durch unsere Mithilfe auch in Europa bestens bekannt und geschätzt sind ( zum Beispiel waren Trilok Gurtu, Karnataka College of Percussion kürzlich im ausverkauften Gärtnerplatztheater zu hören).
Unser Ensemble funktioniert ausschließlich durch Eigeninitiative; Subvention von irgendwelcher Seite bekommen wir nicht; unser Bandbus, der uns schon zwei mal nach Istanbul und Casablanca getragen hat, zeigt den Kilometerstand von über 500.000; es ist immer noch der gleiche Motor und wir beten manchmal, er möge uns nicht im Stich lassen.
Zum Jahreswechsel haben wir eine kleine Tournee nach Italien (dem einzigen Land wo eine Buch-
veröffentlichung über Embryo existiert) unternommen, und dabei mehrere Filme über die Ereig-
nisse in Genua (Juli 2001, G2-Treffen) gesehen. Wir waren ziemlich geschockt darüber, was die Bilder uns vermittelt haben.
Als wir dann am 8. Januar 2002 nach München zurückkamen und von dem „Bündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz“ angesprochen wurden, für eine friedliche und gewaltfreie Demonstra-
tion am 1. Februar und 2. Februar 2002 zu werben, haben wir spontan zugesagt. Unser vorgesehe-
nes Konzert am 20. Januar 2002 im Saal der Evangelischen Hochschule Münchens war die einzige Möglichkeit einer Öffentlichkeitsschaffung für diese Demonstration, also haben wir auf unseren selbstkopierten Plakaten für diese Veranstaltung und auf unserer Webseite 1 unzensiert den Aufruf des „Bündnis gegen Rassismus“ übernommen.
In der E-mail vom 17. Januar von Herrn Dr. Hermann Probst von der Evangelischen Hochschule München wurde uns untersagt, das zu tun, was wir sofort getan haben, und wir haben allen Perso-
nen die von uns Plakate bekommen haben, untersagt, diese weiter zu verbreiten.
Eigentlich sind wir ein Ensemble, das sich keiner politischen Gruppe zugehörig sieht, gerade da-
durch sehen wir unsere künstlerische Freiheit gewahrt. Meine letzte Beteiligung an einer Demons-
tration hier in München war ein Konzert am 16. Juni 1999 bei einer Demo vor dem Europäischen Patentamt, wo unter anderem mehrere indische Bauern extra bis nach München gekommen wa-
ren, um gegen die zunehmende Abhängigkeit von großen Agrarkonzernen, die ihre kleinbäuerli-
chen Existenzgrundlagen zerstören und zur weiteren Verelendung beitragen, zu demonstrieren. Wir haben auf unserer Indientournee, 1978/1979 ( dokumentiert in dem Film „Vagabundenka-
rawane“, der mehrmals im ZDF, sowie in allen 3. Deutschen Fernsehstationen gezeigt wurde) so viel Elend in dieser Richtung gesehen, das wir das machen mussten, um nicht unser Gewissen zu verlieren.
Entmutigend dabei war zu sehen, das mehr Ordnungshüter als Demonstranten sich am 16. Juni 1999 eingefunden hatten, was uns natürlich zu denken gibt und an einem allgemein verbreiteten Demokratie-Bewusstsein zweifeln lässt.
Ich meinerseits fühle mich auch durch meine Familiengeschichte etwas verpflichtet, nicht tatenlos zu zusehen, wie die Einhaltung der Menschenrechte und die Entwicklung demokratischer Struktu-
ren eingeschränkt werden (Siehe die beiliegende Embryo CD Veröffentlichung „Ibn Batutta“, denn die Schwester meines Vaters, Irmgard Simaika Burchard, hat 1938 in London zusammen mit unter anderem Pablo Picasso, Jean Cocteau, Thomas Mann, H. G. Wells, Max Beckmann, C. F. Ramuz und Aristid Maillol eine Gegenausstellung initiiert, als das nationalsozialistische Regime in Mün-
chen ihre berüchtigte Ausstellung „Entartete Kunst“ zeigte. Der Gewinn dieser Ausstellung wurde damals heimatlosen Künstlern wie Oskar Kokoschka und Otto Freundlich zur Verfügung gestellt.)
Meine Frage an Sie wäre, ob es nicht die Möglichkeit gibt, den Dialog mit den Vertretern des Münchner Friedensbündnisses aufzunehmen, die meiner Meinung nach gewaltfreie und humanis-
tischen Ziele verfolgen.
Weiterhin bitte ich Sie, die Schirmherrschaft eines Solidaritätskonzertes unserer Musikgruppe für das Bündnis zu übernehmen, selbstverständlich werde ich die Werbung dafür mit Ihnen abspre-
chen.
Zum Abschluss meines Briefes an Sie noch einen Spruch des Dichters Friedrich von Logau, der, obwohl vor ungefähr vierhundert Jahren verfasst, an Aktualität fast nichts eingebüßt hat:
Des Krieges Buchstaben
Kummer, der das Mark verzehret,
Raub, der Hab und Gut verheeret,
Jammer, der den Sinn verkehret,
Elend, das den Leib beschweret,
Grausamkeit, die Unrecht kehret,
sind die Frucht, die Krieg gewähret.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Burchard
17. Januar 2002