Materialien 2002
Auf dem Weg zum Polizeistaat
Demonstrationsverbot in München
Vorbemerkung: Bürgerliche Demokratie ist eine der Organisationsformen der herrschenden Klassen. Sie bedeutet heute Herrschaft der Kapitalistenklasse über Staat und Gesellschaft. Ist es deswegen gleichgültig, ob der bürgerliche Staat als Demokratie mit einigen Rechten auch für die Lohnabhängigen organisiert ist? Wir meinen, es ist gerade für die Arbeiterklasse wichtig, bürgerlich demokratische Rechte zu verteidigen, weil sie auch ihr bessere Möglichkeiten für Organisation. politische Arbeit und Verteidigung ihrer Interessen bieten.
Vom 1. bis 3. Februar 2002 stand München unter Ausnahmerecht. Das Kreisverwaltungsreferat der Stadt unter Leitung des SPD-nahen Referenten Blume-Beyerle verhängte über das gesamte Stadtgebiet ein Demonstrationsverbot vom 1. Februar 8 Uhr bis 3. Februar 20 Uhr.
Anlass war die NATO-Sicherheitskonferenz (früher Wehrkundetagung) in diesem Zeitraum. Dem Kreisverwaltungsreferat waren polizeiliche Erkenntnisse zugegangen, dass „gewaltbereite Autonome“ in großer Zahl im Anmarsch wären.
Irgendwie durch Tatsachen belegt scheinen diese „Erkenntnisse“ nicht gewesen zu sein. In den veröffentlichten Erklärungen der Stadt München und des bayrischen Innenministeriums ist nur von „Informationen befreundeter Behörden aus Italien, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden“ (Süddeutsche Zeitung vom 29. Januar 2002) die Rede. Beweise oder konkrete Anhaltspunkte dafür wurden nicht vorgelegt. Es blieb bei Behauptungen, die sich nachträglich als falsch herausstellten.
Das Grundrecht auf friedliche Versammlungen unter freiem Himmel wurde schon in den letzten Jahrzehnten nach und nach auf eine Art Gnadenerweis der zuständigen Behörden unter vielerlei Auflagen und Schikanen reduziert. Vorschriften über Demonstrationsrouten, Verbote von Kundgebungsmitteln (z. B. Seitentransparente), Ernennung an sich harmloser Gegenstände wie Transparentstangen zu Waffen u.v.a. wurden zur Regel vor allem bei Demonstrationen linker Organisationen.
Bei allen derartigen Einschränkungen wurde aber bisher noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ein totales Demonstrationsverbot über eine Großstadt verhängt. Selbst in Wackersdorf oder in und um Gorleben waren Demonstrationen in einiger Entfernung von den „kritischen Punkten“ zugelassen. Außer dem Verbot von Demonstrationen und Kundgebungen jeder Art auf dem ganzen Gebiet einer Großstadt wurden zusätzlich weiträumig um München „Verdächtige“ kontrolliert, durchsucht und in vielen Fällen an der Weiterfahrt gehindert. Der EA (Ermittlungsausschuss, s.u.) gibt die Zahl der Zurückgewiesenen mit rund Tausend an. Grundrechte wie Demonstrationsfreiheit, Recht auf körperliche Unversehrtheit und Aufenthaltsrecht wurden durch Verwaltungsakt außer Kraft gesetzt.
Damit ist ein Präzedenzfall geschaffen.
Der Anlass: NATO-Sicherheitskonferenz
Die Herbert-Quandt-Stiftung der BMW AG lädt seit Jahren zu einer jährlichen Wehrkunde-Tagung ein. Seit diesem Jahr heißt das Treffen NATO-Sicherheitskonferenz. Organisator ist der Vorsitzende der Stiftung, Horst Teltschik, vormals außenpolitischer Berater Helmut Kohls auch während der Verhandlungen mit Gorbatschow zur Liquidierung der DDR.
Spitzenpolitiker vor allem aus den „Verteidigungs“ministerien der NATO-Länder treffen sich mit Vertretern der Rüstungsindustrie und „unabhängigen“ Fachleuten, Wissenschaftlern und Publizisten. Der illustre Teilnehmerkreis ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Dieses Jahr sollen es um die Zweihundertfünfzig gewesen sein. Auch Teilnehmer aus Ländern, die nicht der NATO angehören, waren dabei.
Grundsätzlich neue Erklärungen der Minister und Regierungschefs bei diesem Anlass sind selten. In der Regel werden bekannte Standpunkte referiert. Die Feinabstimmung zwischen Politik, Machern der öffentlichen Meinung und Vertretern der Industrie sowie das Anbahnen einschlägiger Geschäfte sind die hauptsächlichen Ziele dieser Treffen. Die Resultate bleiben selbstverständlich geheim.
Das Bündnis
Das Münchner Bündnis gegen Rassismus hat sich seit vielen Jahren als Kristallisationspunkt für antifaschistische und antimilitaristische Aktivitäten profiliert. Auch Demonstrationen wurden vom Bündnis initiiert, lokale Aktionseinheiten angeregt und wesentlich mitgetragen. Der Sprecher, Claus Schreer, und der engere Kreis des Bündnisses sind sehr erfahren in Bündnisverhandlungen und im Umgang mit Behörden und Polizei.
Der Protest gegen die Wehrkunde-Tagungen früherer Jahre blieb klein, der Teilnehmerkreis war im wesentlichen auf München und die Region beschränkt, obwohl auch diese Aktionen im Internet überregional bekannt gemacht worden waren. Nennenswerte Auseinandersetzungen mit der Polizei gab es nie – auch nicht bei anderen Aktivitäten des Bündnisses.
Im September 2001 rief das Bündnis gegen Rassismus zu einer Kundgebung am 1. Februar 2002 anlässlich des Empfangs der Tagungsteilnehmer durch den Oberbürgermeister Ude im Alten Rathaus und zu einer Demonstration zum Tagungsort am 2. Februar 2002 auf. Am Abend des 2. Februar sollte eine Gegenkonferenz oder Großveranstaltung gegen die NATO-Kriegspolitik stattfinden. Erstunterzeichner des Aufrufs waren neben dem Bündnis die „üblichen Verdächtigen“: Die örtlichen Gliederungen von DKP, PDS, Linksruck, AKM-Antifaschistisch Kämpfen München, Freidenkerverband und einige andere Organisationen.
Zu dieser Zeit dachte noch niemand von unserer Seite daran, dass die Situation derartig eskalieren würde. Die Gründe für die erstmalig internationale Beachtung dieses Anlasses liegen sicher auch in dem zur Mode gewordenen Demonstrationstourismus der letzten Jahre zu Orten, die zu Symbolen der „Globalisierung“ ernannt wurden. Wesentlicher nach unserer Einschätzung war jedoch die Ablehnung des US-Krieges gegen Afghanistan, d. h. vor allem gegen das afghanische Volk, und weitere Kriege, die Präsident Bush androht. Protest gegen das Demonstrationsverbot kam hinzu. Vor allem bei den jüngeren Demonstranten war der emotionale Antrieb stark, politische Motivation eher schwächer ausgeprägt. Die seit Ende letzten Jahres erkennbare Strategie staatlicher Stellen, die reibungslose Durchführung der „Sicherheitskonferenz“ unbedingt durchzusetzen, trug dazu bei, diese bei Kriegs- und Globalisierungsgegnern zum Symbol für die von ihnen abgelehnte Politik und zum Ziel von Protesten zu machen.
Nach dem ekelhaften Schauspiel im Bundestag und der Unterwerfung der bisher noch für links und/oder pazifistisch gehaltenen Personen in SPD und bei den Grünen auf den jeweiligen Parteitagen unter die Kriegspolitik ihrer Parteiführer war die „Sicherheitskonferenz“ für viele Gegner dieser Politik ein Anlass und eine Möglichkeit ihre Opposition zu demonstrieren. „Von Genua nach München“ war die (u.E. missverständliche) Schlagzeile des ersten Flugblatts des Bündnisses, das Ende September/Anfang Oktober herauskam. Ungefähr gleichzeitig wurde der Aufruf ins Internet gestellt und um weitere Unterstützungserklärungen gebeten. Bis Ende Januar 2002 unterstützten über hundertfünfzig Organisationen verschiedenster Richtungen den Aufruf.
Die Vorbereitung des Verbots
Rückblickend wird klar, wie konsequent durchorganisiert die Konfrontation mit den Kriegs- und NATO-Gegnern durch den Staat vorbereitet wurde. In München unterstellten sich Verwaltung, SPD/Grüne Stadtratsmehrheit (die CSU war sowieso dabei) und der Oberbürgermeister Ude (SPD) willig der Linie, die das bayrische Innenministerium (in Abstimmung mit der Innenministerkonferenz und dem Bundesministerium des Innern) vorgab. Seit dem 3. Februar 2002 versuchen SPD-Mitglieder und Grüne dies mit Falschinformation oder Gutgläubigkeit Udes zu entschuldigen. Wir halten das für unglaubwürdig.
Ude und sein Anhang übernahmen kritiklos die „Informationen“ von Polizei und Verfassungsschutz: Dreitausend „gewaltbereite Autonome“ seien im Anmarsch, die Innenstadt Münchens solle „entglast“ werden – in geradezu hysterischer Weise wurde in vielen Verlautbarungen Udes und anderer SPD- und CSU-Kommunalpolitiker (es war Wahlkampf) versucht, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen.
Städtische Räume wie z.B. Turnhallen zur Übernachtung auswärtiger Demonstranten wurden selbstverständlich verweigert. Informations- und Diskussionsveranstaltungen von NATO-Gegnern im Vorfeld der Demonstrationen wurden unterbunden. Da die Saalmieten der Großgaststätten in München für kleine Organisationen und auch für das Bündnis unerschwinglich sind, sollten Versammlungen in öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Räumen (z.B. im Eine-Welt-Haus) stattfinden. Die Stadtverwaltung drohte mit Entzug der Förderung bzw. mit Kündigung der Mietverhältnisse und erzwang so die Absage mehrerer solcher Treffen.
Die Münchner Tageszeitungen reihten sich ausnahmslos in die Hetze ein. Nicht nur BILD München – auch die anderen Boulevardzeitungen und auch die seriöse und angeblich so liberale Süddeutsche Zeitung (SZ) übernahmen kritiklos die Propaganda des Innenministeriums. Lediglich das liberale Feigenblatt der SZ, Heribert Prantl, kritisierte in einem Kommentar das totale Demonstrationsverbot. Der Lokalteil der SZ lag aber voll im vorgegebenen Trend. Unter der Schlagzeile ,,3000 Autonome im Anmarsch“ schrieb die SZ am 29. Januar: „Nach SZ-Informationen bereiten sich allerdings gewaltbereite Demonstranten aus dem In- und benachbarten Ausland auf Auseinandersetzungen mit der Polizei in München vor.“ Nach den Auseinandersetzungen war von „Informationen der SZ“ keine Rede mehr. Wir versuchen Formulierungen aus der Nazizeit zu vermeiden. denn natürlich war der Münchner Ausnahmezustand noch weit vom offenen Terror der Naziherrschaft entfernt – doch hier drängt sich der Begriff einer gleichgeschalteten Presse auf. Dass diese bereitwillige Gleichschaltung nicht durch offenen Druck oder Terror sondern „freiwillig“, d.h. durch wirtschaftliche Zwänge vereint mit Feigheit von Journalisten zustande kam, macht die Sache nicht besser.
Rote Hilfe und EA
Ab etwa Dezember 2001 war unübersehbar, dass mit harten Repressionen des Staats gegen die geplanten Aktionen zu rechnen war. Die Münchner Ortsgruppe der Roten Hilfe versuchte, die Demonstrationsteilnehmer über ihre Rechte, taktisch richtiges Verhalten bei Festnahmen und Misshandlungen und juristische Hilfen aufzuklären. Die regelmäßigen Rechtsberatungen der Ortsgruppe, öffentliche Veranstaltungen, ein neu gestalteter Flyer mit Ratschlägen und Hinweisen dienten der Vorbereitung der Münchner Demonstranten.
Der Ermittlungsausschuss (EA) hatte schon bei früheren Demonstrationen gearbeitet. Festnahmen wurden registriert, Zeugen festgestellt, Polizeiübergriffe durch Gedächtnisprotokolle von Augenzeugen dokumentiert, Angehörige informiert und Rechtsanwälte vermittelt. Für die Demonstrationen gegen die „Sicherheitskonferenz“ wurde der EA vorbereitet und personell verstärkt.
Die Ratschläge der Roten Hilfe konnten naturgemäß die auswärtigen Freundinnen und Freunde nur in Ausnahmefällen erreichen. Der EA hat bei weitem nicht alle Festgenommenen erfassen können. Trotzdem wurden die Willkürmaßnamen der Polizei behindert, bei den überwiegend sehr jungen Festgenommenen wurde dem Gefühl entgegengearbeitet, sie wären allein und schutzlos dieser Willkür ausgeliefert. In den Grenzen der materiellen Möglichkeiten wurde gute Arbeit geleistet.
Die polizeiliche Taktik
Es wurden rund dreitausendfünfhundert uniformierte Polizistinnen und Polizisten, zahlenmäßig uns nicht bekannte Sicherheitskräfte des Innenministeriums (wie es früher in den Ostblockländern hieß), d.h. Bundesgrenzschutz und eine ebenfalls für uns nicht feststellbare Zahl von Zivilpolizisten eingesetzt. Bereitschaftspolizei aus Brandenburg und Sachsen musste die Ketten für Polizeikessel und zur Räumung von Straßen und Plätzen stellen. Bayrische uniformierte und zivile Polizei stellte die Greiftrupps.
Durchgängige Taktik war: Jede/r auf der Straße war zunächst mal Demonstrant, also Gesetzesbrecher, gegen die/den polizeiliche Zwangsmittel angewandt werden durften. Ob diese dann tatsächlich benutzt wurden, hing von der Einschätzung der jeweiligen Einsatzleiter, also von polizeilicher Willkür ab. Was eine Demonstration oder Zusammenrottung war, bestimmte die Polizei, deren Definition legitimierte Gewaltanwendung. Häufig wurden Unbeteiligte zum Weitergehen aufgefordert, ihnen wurde das Betreten von Straßen oder von U-Bahnstationen verboten, nicht selten gerieten sie in Kessel oder sie wurden „weggeräumt“. Der unbeteiligten Bevölkerung Münchens wurde überzeugend vorgeführt, dass es in Zeiten des Ausnahmezustandes keine Unbeteiligten gibt.
Unschuldsvermutung, Verhältnismäßigkeit der Mittel und dergleichen Begriffe aus dem bürgerlichen Recht waren der Willkür der Polizei untergeordnet.
Festnahmen einzelner (oft ohne ersichtlichen Grund aus einer Menge heraus) durch zivile oder uniformierte Polizei geschahen mit der üblichen Brutalität: Zwei oder drei Beamte auf einem Festgenommenen kniend, Fesselung mit Plastikbändern usw.
Wie es sich für einen Ausnahmezustand gehört, waren Rempeleien, Beschimpfungen, Misshandlungen tatsächlicher und vermeintlicher Protestierer/innen normal. Der schwerste (uns bekannte) Fall war der einer 75-jährigen Frau, die beim Verlassen einer Bäckerei von einem USK-Beamten niedergerannt wurde. Sie erlitt neben Prellungen ein Schädel-Hirn-Trauma. Die Polizei kümmerte sich nicht um die Schwerverletzte. Ihr Sohn und Passanten sorgten dafür, dass ein Krankentransport die Frau in die chirurgische Unfallklinik brachte. Glücklicherweise konnte sie mittlerweile entlassen werden. Die Staatsanwaltschaft hat zwar ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet; da die Polizisten aber Helme trugen, wird der Unbekannte kaum zu identifizieren sein. Das war nur ein (allerdings schwerer) Fall unter vielen.
Ablauf des Ausnahmezustands
Am 30. Januar 2002 fand eine (noch legale) Kundgebung auf dem Marienplatz und anschließend eine Demonstration zum Odeonsplatz, dem Sitz des bayrischen Innenministeriums, statt. Kundgebung und Demonstration richteten sich gegen das vom Kreisverwaltungsreferat ausgesprochene totale Demonstrationsverbot. Inhaltlich war natürlich die „Sicherheitskonferenz“ Hauptthema.
„Jetzt erst recht“ war der Titel eines Flugblatts des Münchner Bündnis gegen Rassismus vom 30. Januar. Darin wurden nochmals die Termine und Orte der Veranstaltungen gegen die „Sicherheitskonferenz“ bekannt gegeben, da das Bündnis zu diesem Zeitpunkt noch davon ausging, dass die bereits eingereichte Klage gegen das Verbot Erfolg haben würde.
Tatsächlich entschied das Münchner Verwaltungsgericht am Abend des 31. Januar, das Verbot sei rechtswidrig, die Demonstrationen müssten (unter Auflagen) zugelassen werden. Dieses Urteil wurde aber kurz darauf vom Verwaltungsgerichtshof (VGH) aufgehoben. Damit war der faktische Ausnahmezustand erklärt. Der VGH setzte sich mit diesem Urteil über die bis dahin geltende höchstrichterliche Rechtsprechung hinweg. 1985 hatte das Bundesverfassungsgericht das Demonstrationsrecht für höherwertig gegenüber Befürchtungen für die „Sicherheit und Ordnung“ erklärt (Brokdorf-Urteil).
Das Bündnis wird beim Bundesverfassungsgericht gegen die Entscheidung des VGH klagen. Ob die Klage Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind kein „ewiges“ Recht. Die Justiz steht ebenso wie alle gesellschaftlichen Institutionen unter dem bestimmenden Einfluss der Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft. Die seit Jahren anhaltende politische Rechtsentwicklung, die Schwäche der Linken und der abnehmende Einfluss verfassungsliberaler und rechtsstaatlicher Kreise, die Ausschaltung des Systemgegners DDR und des „Ostblocks“ werden auch auf höchstrichterliches Recht Einfluss haben. Auch wenn das Verbot für rechtswidrig erklärt würde, wird es mindestens drei bis fünf Jahre bis zur Entscheidung dauern. Bis dahin ist die Entscheidung des VGH rechtswirksam und damit Präzedenzfall.
Wir vermengen hier Demonstrationsablauf und Rechtsstreit deshalb, weil der Verlauf der rechtlichen Auseinandersetzung Thema der Redebeiträge war. Gleichzeitig beeinflusste die zu diesem Zeitpunkt unklare Rechtslage die Aufrufe zu den Demonstrationen, Kundgebungen und Veranstaltungen der folgenden Tage, deren Zeitpunkt und deren Orte.
An der Kundgebung nahmen ca. zweitausend, an der Demonstration etwas über tausend Menschen teil (eigene Schätzung). Bis auf kleinere Rangeleien hielt sich die Polizei dabei zurück. Friedlich blieb es trotzdem nicht. Mitglieder einer Musikgruppe „Carnival against NATO“ wurden auf dem Weg zur Kundgebung festgehalten und gefilzt. Etwas schräges Outfit junger Leute reichte der Polizei schon vor dem Ausnahmezustand aus, Recht und Ordnung bedroht zu sehen.
Wir versuchen im folgenden die Schwerpunkte der Aktionen darzustellen. Man darf sich die Demonstrationen aber nicht als isolierte Abläufe vorstellen. Sie fanden statt im Umfeld diskutierender, passiv zusehender, mehr oder weniger sympathisierender Gruppen und Einzelner aus der Münchner Bevölkerung. Es war noch Winterschlussverkauf und die Straßen der Innenstadt waren voll.
Am 1. Februar, kurz vor dem ursprünglich geplanten Beginn der Kundgebung gegen die offizielle Begrüßung der Teilnehmer der „Sicherheitskonferenz“ durch Oberbürgermeister Ude im Alten Rathaus war der Marienplatz voller Menschen. Die Begrüßung war allerdings in den hermetisch abgeriegelten Tagungsort, das Nobelhotel Bayrischer Hof, verlegt worden. Für die Polizei war schwer auszumachen, wer Demonstrant und wer einkaufender Mensch war. Nach etwa einer Stunde ordnete ein Lautsprecherwagen der Polizei in mehreren Durchsagen die Räumung des Marienplatzes an. Die Anordnung wurde nicht befolgt. Es erfolgten aber auch keine „Gewalttaten“, obwohl die Fenster des Rathauses zum Marienplatz hin unverschalt waren. Es flog kein Stein. Auch viele Passanten mit ihren Einkaufstüten blieben auf dem Platz. In der Mitte, um die Mariensäule, fand ein Sitzstreik statt. Sprechchöre: „Hoch die internationale Solidarität“. Auf diese jungen Leute erfolgte der erste Angriff. Sie wurden festgenommen, mit Plastikbändern gefesselt und brutal in Polizeiwagen gestoßen und geworfen.
Die Demonstranten ließen sich nicht provozieren. Ein an diesem und dem nächsten Tag immer wiederkehrender Sprechchor hieß: „Wir sind friedlich – was seid ihr?“ Mit „wir sind das Volk“ sollte offenbar an die 1989er Demonstrationen in der DDR angeknüpft und eine Assoziation Polizei und Volkspolizei/Stasi hergestellt werden.
Ketten aus Brandenburger Bereitschaftspolizei drängten die Menschen vom Platz. Hier und im Umfeld fanden viele Festnahmen ohne ersichtlichen Grund statt.
Am Samstag, dem 2. Februar, wollte die Polizei eine Versammlung auf dem Marienplatz verhindern. Sie stellte den Platz mit Polizeiautos voll. Es half nichts. Außen herum und in den angrenzenden Straßen drängten sich Menschen.
Es gab keine Versuche die Polizei oder das schwer bewachte Hotel, in dem die Konferenz stattfand, anzugreifen, obwohl es an Provokationen nicht fehlte. „Demonstranten berichteten, sie seien von Polizisten in Zivil dazu animiert worden, Fenster einzuschlagen“ schrieb die Abendzeitung am 4. Februar. Es herrschte ein verbreitetes Bewusstsein, dass die Polizei gerade derartiges brauchte, um Ausnahmezustand und willkürliche Festnahmen zu rechtfertigen. Es ging in der ganzen Münchner Innenstadt kein einziges Fenster zu Bruch.
Bei vielen Gruppen war fast eine Art Happening-Stimmung: Lustige Kleidung, Pflaster über dem Mund, einige trugen nur Unterwäsche und Anti-Nato-Parolen auf dem Oberkörper. Gerade die wurden mit Vorliebe festgenommen. Andere, auch viele ältere Menschen aus München, waren über die Behinderungen durch die Polizei empört. „Sollen die (die „Sicherheitskonferenz“) doch auf einem Flugzeugträger tagen“ oder ähnliches war häufig zu hören.
Sprecher des Bündnisses gegen Rassismus wie H.G. Eberl und Claus Schreer wurden festgenommen und in Unterbindungsgewahrsam gesteckt. Claus Schreer wollte in Begleitung des Liedermachers Konstantin Wecker und des Stadtrats Sigi Benker (Grüne) zu einer Pressekonferenz auf dem Marienplatz, als er festgenommen wurde.
Um die Mittagszeit räumten Polizeiketten den Platz. Die Polizei forderte die Menschen auf, sich in Richtung einer Zugangsstraße zum Marienplatz (Im Tal) zu entfernen. Die Menge wich in diese Richtung aus. Spontan bildete sich ein Demonstrationszug von ca. achttausend Leuten und zog die Straße Im Tal hinunter. Transparente gegen die NATO tauchten auf. Nach einigen hundert Metern kesselte die Polizei die Demonstration. Größere und kleinere Gruppen der Demonstranten zogen durch Seitenstraßen ab zum Viktualienmarkt. Ein Teil versuchte dort sich neu zu formieren. Kleinere Demonstrationszüge bildeten sich. Die Polizei setzte Knüppel ein und zerstreute jede Ansammlung. Im größten Teil der Innenstadt fanden sich Gruppen zusammen, zerstreuten sich, wenn die Polizei anrückte, sammelten sich neu. Einige sangen die Internationale – aber viele kannten das Lied nicht.
Im ganzen wurden rund achthundertfünfzig Personen an diesem Wochenende festgenommen. Darunter waren viele Minderjährige. In einer ehemaligen US-Kaserne (McGraw-Kaserne) wurde ein Sammellager eingerichtet. Viele berichteten, dass sie nicht telefonieren durften. Minderjährige durften ihre Eltern nicht anrufen. Eltern wurden nicht benachrichtigt; sie erhielten von der Polizei rüde Antworten auf Nachfragen nach ihren Kindern.
Im DGB-Haus sollte ab 18 Uhr eine Abschlussveranstaltung stattfinden. Einlader war das Bündnis gegen Rassismus. Es wurden Gulasch mit Reis und Getränke verkauft. Für viele Auswärtige war es die erste warme Mahlzeit seit Tagen.
Am Anfang der Veranstaltung informierte eine nicht festgenommene Pressesprecherin des Bündnisses über die Ereignisse der beiden Tage. Als die angekündigte Diskussion mit internationalen Gästen begann, kam die Nachricht, einige hundert Meter entfernt sei eine größere Gruppe, die zur Veranstaltung wollte, gekesselt. Später erfuhren wir, dass eigentlich keine Demo beabsichtigt war. Auswärtige hätten nach dem Weg zum Gewerkschaftshaus gefragt und sich dann den Ortskundigen angeschlossen. Allerdings wurden aus dem losen Zug auch Sprechchöre gerufen. In einer schmalen Seitenstraße wurden ca. zweihundert Leute eingekesselt. Die Versammlung im Gewerkschaftshaus sei verboten, wurde ihnen gesagt. Eine freche Lüge der Polizei.
Alle Eingekesselten wurden festgenommen – die Prozedur dauerte etwa 4 Stunden.
Währenddessen fand die Diskussion im Gewerkschaftshaus nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient hätte.
Kurz vor 21 Uhr wurde das Gewerkschaftshaus durch massive Polizeiketten gekesselt. Rechts und links vom Haupteingang war die Straße gesperrt, es kam niemand mehr zum oder weg vom Haus. Der Versammlungsleiter, Georg Wiesmaier, Landesvorsitzender der GEW, und die Rechtsanwältin Angelika Lex begaben sich zur Einsatzleitung. Sie überbrachten die Forderung der Polizei, wir sollten uns einzeln und in größeren Abständen voneinander aus dem Haus entfernen. Als Grund wurde angegeben, wir würden eine verbotene Demonstration planen. Das stimmte nicht. Die Versammlung war als Abschlussveranstaltung angekündigt und so verstanden sie auch die Anwesenden. Allgemeine Stimmung: Der Tag ist gelaufen. Die im DGB-Haus versammelten etwa drei- bis vierhundert Menschen lehnten das „Angebot“ ab. Es wurde daran erinnert, dass eine Blockade des Münchner Gewerkschaftshauses zuletzt im März 1933 durch die Nazis erfolgte. Ein Teil der Anwesenden sang die Internationale. Wiesmaier und Lex überbrachten die Ablehnung an die Polizei. Die Eingangstür wurde bewacht. Beim Näherrücken der Polizeikette sollte sie versperrt werden. Im Eingangsbereich wurden Fahnen der Einzelgewerkschaften drapiert.
Natürlich hätten wir das Haus nicht verteidigen können. Doch jetzt spielte verletzter Stolz der Gewerkschafter/innen eine Rolle: Wer sind wir denn, dass wir einzeln aus unserem Haus gehen müssen?
Die Polizei buk jetzt immer kleinere Brötchen. Als nächstes sollten wir in Zehnergruppen nach Hause dürfen. Ablehnung, es wurde der vollständige Abzug der Polizei verlangt. Dann bot die Einsatzleitung an, eine Hälfte der Straße zu räumen. Auf der freien Straßenseite hätten wir abziehen sollen. Natürlich war nach den Ereignissen dieser Tage jedem klar, dass die Polizei die Gelegenheit nutzen würde, nach Belieben einzelne herauszupicken und festzunehmen. Wir machten uns mit dem Gedanken vertraut, im DGB-Haus zu übernachten. Das war keine besondere Heldentat. Im DGB-Haus war der bei weitem komfortabelste Kessel in München in diesen Tagen.
Kurz nach 22 Uhr zog die Polizei ab. Von der geplanten illegalen Demonstration, die sie doch angeblich verhindern wollte, war keine Rede mehr. Nachdem auch einige Gruppen von Zivilpolizisten, die noch in der Nähe herumlungerten, verschwunden waren, löste sich die Versammlung auf.
Reaktionen
Das bayrische Innenministerium verkaufte die Ereignisse des 1. und 2. Februar als vollen Erfolg. Nur durch den Polizeieinsatz seien Gewalttaten verhindert worden. Der Oberbürgermeister schloss sich an. Die Stadtspitze, die Sprecher der SPD, das Kreisverwaltungsreferat und BILD München betätigten sich als unterwürfige Sprachrohre des Innenministers Beckstein (CSU) und seiner Polizei.
Teile der Bevölkerung und der überwiegende Teil der Münchner Tagespresse reagierten anders. Zu krass war der Unterschied zwischen den vor dem 1. Februar verbreiteten Greuelmeldungen und den Ereignissen. Nicht gewaltbereite, steinewerfende Autonome (was immer man darunter verstehen mag) marodierten plündernd durch die Stadt. Friedliche, zum Teil lustige, überwiegend junge Leute wurden von der Polizei durch die Straßen gejagt. Die Polizeiherrschaft empfanden viele – auch „Unbeteiligte“ – als überzogen. Der Befehlston, die gewalttätigen Übergriffe, Sperrungen von Straßen und U-Bahnhöfen, die ganze Reaktion der Polizei wurden auch von Menschen, die den politischen Meinungen der Demonstranten fern standen, als Belästigung, ja als Bedrohung, empfunden.
Die Münchner Tagespresse schwenkte um. Ausnahme: BILD München. „Gratulation! Bayerns Polizei bestand Meisterprüfung“ war eine Schlagzeile am 4. Februar. Im Text wurden die oben beschriebenen Äußerungen des Innenministeriums wiederholt.
Anders die übrige Tagespresse. Die Abendzeitung (AZ) brachte am 4. Februar Interviews mit den am Sonntagabend freigelassenen Sprechern des Bündnisses, Eberl und Schreer. Die Darstellung der Polizei, nach der sie Tausende gewaltbereiter Chaoten durch ihren Einsatz von München ferngehalten hätte, wurde in Zweifel gezogen. „Ja wo war er denn, der Chaot“ spottete eine Schlagzeile in der SZ vom 5. Februar. „2.500 bis 3.000 gewaltbereite Personen seien bei den Demos in München zu erwarten“ (Angabe des bayrischen Verfassungsschutzes). Gestützt auf die Zahlen der Polizei macht die SZ die Rechnung auf: „43 Festnahmen bei Anfahrtskontrollen, 66 Festnahmen in München. Plus 437 Menschen, die ‚zurückgeschickt’ wurden – macht insgesamt etwas mehr als fünfhundert (sofern man glaubt, dass alle von der Polizei zurückgeschickten brav nach Hause gefahren sind, was freilich nur mäßig realistisch ist). Doch selbst wenn man annimmt, dass sich fünfhundert Leute abweisen ließen, fehlen in der Rechnung noch mindestens zweitausend ‚gewaltbereite Personen’. Wo sind sie geblieben?“ Die Frage ist berechtigt, auch wenn die Zahlen nicht korrekt sind. Doch vor dem Ausnahmezustand hat sich auch die SZ an den Greuelmärchen eifrig beteiligt.
Vorläufiges Resümee
Der bürgerliche Staat hat sich eines Bürgerrechts, des Demonstrationsrechts, erfolgreich entledigt. Die Demonstrationsverbote beruhen jetzt auf einem rechtskräftigen Urteil (des VGH). Der Präzedenzfall kann jederzeit wiederholt werden, wenn staatliche Stellen es für opportun halten.
Die großen Volksparteien sind sich einig, wenn es um die Einschränkung bürgerlicher Rechte geht. Die SPD (in Bayern in Opposition) hat sich der Linie der CSU beflissen untergeordnet. Juso und einzelne SPD-Mitglieder, die damit nicht einverstanden waren, sind eine Minderheit.
Auch wo die SPD (wie in München) die rechtlichen Möglichkeiten gehabt hätte, die Demonstrationen zuzulassen, hielt sie die von der Staatsregierung vorgegebenen Richtlinien ein.
Die bürgerliche Presse ließ sich willig vor den Karren der reaktionären Propaganda spannen. Ob das Umschwenken, nachdem die Unwahrheit der polizeilichen Informationen erwiesen war, solche Gleichschaltung künftig verhindern wird, bleibt abzuwarten.
Dateien von linken Verdächtigen (Limo = linksmotivierte Gewalttäter) der Polizei sind nach Informationen der Roten Hilfe schon weitgehend entwickelt. In anderen Städten wurden Leute, die verdächtigt wurden, an den Münchner Demonstrationen teilnehmen zu wollen, von Polizei „besucht“, Meldepflicht oder Unterbindungsgewahrsam wurden angedroht.
Dem steht entgegen, dass es trotz Polizeiaufmarsch und Greuelpropaganda nicht gelang, Proteste und Demonstrationen zu verhindern.
Die Disziplin und Selbstbeherrschung der Demonstranten widerlegte die Lügen von Polizei und Medien. Der Preis war hoch: Rund 850 Festnahmen – wie viel Anklagen erhoben werden, ist z.Zt. noch nicht abzusehen.
Flexible Taktik und Verzicht auf sinnlose Zerstörungen (die natürlich trotz der großen Polizeipräsenz möglich gewesen wären) schufen Sympathien auch bei Teilen der Münchner Bevölkerung. Wir wollen damit keine Distanzierung von den Demonstranten in Genua, Göteborg u.a. zum Ausdruck bringen. Wer gegen die Bourgeoisie oder Erscheinungsformen ihrer Herrschaft kämpft, hat Anspruch auf (kritische) Solidarität der Linken. Aber über sinnvolle Taktik wird man diskutieren müssen.
Ein Teil der Gewerkschaften protestierte gegen die Einkesselung des Gewerkschaftshauses (Bezirksleitung der IGM, der stellvertretende bayrische ver.di-Vorsitzende Wendl, Schorsch Wiesmeier, Landesvorsitzender der GEW, Gewerkschaftsjugend ver.di). Andere vertraten die Meinung, man dürfe so eine Versammlung nie wieder im DGB-Haus zulassen. In den Betrieben war für die Aktionen ohnehin kaum mobilisiert worden. Die Einkesselung wurde deshalb auch wenig wahrgenommen. Der Landesvorstand Bayern des DGB hat allerdings einige Tage nach der Einkesselung mehrheitlich beschlossen, dass derartige Versammlungen in Räumen des DGB bzw. deren Betreibergesellschaft auch weiterhin zulässig sein sollen.
Das Umschwenken in einigen Medien und der Stimmungsumschwung bei einem Teil der Bevölkerung Münchens laufen den Absichten der Staatsgewalt entgegen. Wie lange das anhalten wird, bleibt offen. Von der Stadt unterstützte Gruppen haben sich zusammengeschlossen, um künftige Pressionen der Stadt gemeinsam zurückzuweisen.
Es ist zu befürchten, dass Polizei und Verfassungsschutz ihre Methoden nach den Erfahrungen in München perfektionieren werden. Durch Einsatz von Provokateuren lassen sich Gewalttaten in gewünschtem Ausmaß produzieren.
Stand: 28. Februar 2002
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junge Welt vom 13. Februar 2002
Interview
Münchner Gewerkschaftshaus eingekesselt:
Lokale Fürsten in der Zwickmühle?
Peter Eberlen war lange Jahre IG-Metall-Vertrauensmann und vor seinem Ruhestand zuletzt Vertrauenskörperleiter bei Siemens. Am 2. Februar war er Zeuge eines Polizeieinsatzes am Münchner Gewerkschaftshaus.
jW sprach mit ihm.
Interview: Wolfgang Pomrehn
F: Horst Reif, Leiter des Amtes für Sicherheit und Ordnung der Stadt München, behauptet, es hat am Abend des 2. Februar keinen Polizeieinsatz vor dem Gewerkschaftshaus gegeben.
Nun, sie haben zumindest nicht versucht, wie wir zunächst befürchtet hatten, das Gewerkschaftshaus zu stürmen. Aber sie haben die Schwanthalerstraße, in der es sich befindet, zu beiden Seiten abgeriegelt, und zwar in etwa 60 bis 70 Metern Abstand vom Haupteingang. Keiner kam mehr rein und keiner raus.
F: Im Gewerkschaftshaus sollte an dem Abend eine Veranstaltung stattfinden. Worum ging es?
Zunächst hatten wir da eine Pressekonferenz des Bündnisse gegen die Sicherheitskonferenz, das ja zu der dann von der Stadt verbotenen Demonstration aufgerufen hatte. Danach sollte es eine Diskussionsveranstaltung geben, auch mit ausländischen Teilnehmern. Daraus ist allerdings nicht viel geworden. Schon kurz nach 18 Uhr kam die Nachricht, dass 200 bis 300 überwiegend sehr junge Leute auf dem Weg zum Gewerkschaftshaus von der Polizei eingekesselt wurden. Das war in einer Seitenstraße, vielleicht 500 Meter von der Schwanhalerstraße. Denen wurde gesagt, die Veranstaltung sei verboten, was natürlich Unsinn ist, denn eine Veranstaltung in geschlossenen Räumen muss nicht genehmigt werden.
Am Gewerkschaftshaus waren wir dann zwischen etwa 20.40 und 22 Uhr, oder etwas später, eingekesselt. In der Zeit hat es verschiedene Verhandlungen mit der Polizei gegeben, an denen auch der GEW-Landesvorsitzende Schorsch Wiesmaier teilgenommen hat. Da ist es schon sehr eigenartig, wenn Herr Reif behauptet, es habe keinen Einsatz gegeben.
F: Wie ist die Stimmung in den Münchner Gewerkschaften angesichts der Vorkommnisse? Es ist ja nicht alltäglich, dass die Polizei das Gewerkschaftshaus umstellt.
Das letzte Mal ist das Münchner Gewerkschaftshaus am 5. März 1933 eingekesselt worden. In den meisten Städten haben die Nazis die Gewerkschaftshäuser am 2. Mai gestürmt, aber in München waren sie früher dran.
Die Stimmung ist sehr gespalten. Es gibt Leute, zum Beispiel in der Verwaltungsstelle München der IG Metall, die sagen, wir stellen nie wieder Räume für so eine Veranstaltung zur Verfügung. Auf Bezirksebene sieht es jedoch besser aus. Der Bezirksleiter der IG Metall Neugebauer hat sich sehr gegen den Polizeieinsatz verwahrt. Ähnlich ist es in anderen Gewerkschaften. Der zweite Landesvorsitzende von ver.di, Michael Wendl, hat ebenfalls protestiert. Schorsch Wiesmaier sowieso.
Aber ein Teil der Gewerkschaften steht loyal hinter SPD-Oberbürgermeister Ude, der im Wahlkampf ist und das Demoverbot zu verantworten hatte. Demnächst sind hier Kommunalwahlen. Der Kreisvorsitzende des DGB ist gleichzeitig Fraktionsvorsitzender der SPD im Stadtrat und eiert zum Beispiel entsprechend rum. Es gibt keine einheitliche Meinung.
Arbeiterstimme. Zeitschrift für marxistische Theorie und Praxis 135 vom Frühjahr 2002, Nürnberg, 22 ff.