Materialien 2002

Der Fall Schillerstraße

Beispielhafter Ablauf einer Ingewahrsamnahme

Um ca. 18 Uhr wurde eine Gruppe von ungefähr vierhundert Personen in der Schillerstraße eingekesselt, die unterwegs zur Internationalen Veranstaltung im DGB-Haus war. Bis 21 Uhr bewegte sich dort relativ wenig. Es wurden immer mehr Polizeikräfte zugezogen und interessierte PassantInnen immer weiter abgedrängt. Den Eingekesselten wurde verweigert, den Platz zu verlassen oder auch nur auf die Toilette zu gehen. Nachfragen bei PolizistInnen wurden üblicherweise mit Nichtbeachtung, Beschimpfung oder Belustigung beantwortet.

Um 21 Uhr verkündete ein Lautsprecherwagen der Polizei die bevorstehende Ingewahrsamnahme aller Eingekesselten. Weder wurde davor dazu aufgefordert, den Platz zu verlassen, geschweige denn die Möglichkeit dazu gegeben.

Ab diesem Zeitpunkt wurden bis ca. 1.30 Uhr morgens um die 260 Personen in kleinen Gruppen von der Schillerstraße zumeist ins Polizeipräsidium in der Ettstraße gebracht, andere auch direkt in die Gefangenensammelstelle an der Tegernseer Landstraße.

In der Ettstraße wurden die meisten zunächst in sog. „Affenkäfigen“ im Innenhof untergebracht, wo sie teilweise bis früh am Morgen unter freiem Himmel ausharren mussten. Nach und nach wurden die Fälle bearbeitet: Wie mittlerweile zur Praxis geworden, wurden von den allermeisten Personen Fotos gemacht und Fingerabdrücke genommen {obwohl laut Polizeipräsident Koller nur vier erkennungsdienstliche Behandlungen durchgeführt wurden). Fast ausnahmslos wurde das jedem zustehende Telefonat zu einer Person des eigenen Vertrauens verweigert, viele Minderjährige durften nicht einmal ihre Eltern verständigen, obwohl viele dies immer wieder einforderten. In einigen dieser Fälle wurde im Nachhinein auf einer Rechtsbehelfsbelehrung sogar von der Polizei einfach angekreuzt, die Betroffene hätte auf das ihr zustehende Telefonat verzichtet. Zum Teil bekamen die Gefangenen gar kein Essen, in etlichen Fällen lediglich eine trockene Semmel und schwarzen Kaffee, in anderen Fällen ein kleines einigermaßen ausreichendes Frühstück.

Ab den frühen Morgenstunden des 3. Februar wurden immer wieder Menschen aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Etliche kamen erst am späten Sonntag frei, und waren damit teilweise bis zu 27 Stunden in Gewahrsam. Beim überwiegenden Teil dürfte die Dauer des Gewahrsams um die 12 Stunden betragen haben.


info der Roten Hilfe e.V., Ortsgruppe München, März 2002, 3, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.