Materialien 2002
Eine ganze Stadt unter Demonstrationsverbot
München während der Konferenz für Sicherheitspolitik
Die Versammlungsfreiheit ist gewährleistet
Art. 8 (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden.
Von «Polizeifestspielen» war schon anlässlich des IWF-Gipfels in München im Jahr 1992 die Rede. Die internationale Aufmerksamkeit galt einer gewalttätigen Polizei, die Meinungsfreiheit und Versammlungsrecht außer Kraft setzte. Seitdem sind die Methoden subtiler geworden. Die öffent-
liche Aufmerksamkeit schwindet angesichts der «Normalität», der Selbstverständlichkeit, mit der das Demonstrationsrecht in der Bundesrepublik Deutschland immer häufiger ausgehebelt wird.
In gewisser Hinsicht ist angesichts der Konferenz für Sicherheitspolitik in München am 1. und 2. Februar 2002 nichts Besonderes passiert. Für ein paar Tage waren zum Schutz derjenigen, die in Ruhe Krieg planen wollten, die Grundrechte auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Freizügigkeit in einer ganzen Großstadt außer Kraft gesetzt. Die Methoden sind bekannt, nicht zuletzt vom Umgang mit den Protesten gegen die Castortransporte im Wendland – das Ausmaß erschreckt dennoch erneut.
Für Anfang Februar 2002 war die früher «Wehrkundetagung» genannte NATO-Sicherheitskon-
ferenz in München angekündigt. Es bildete sich ein Protestbündnis gegen eine NATO, die kein Verteidigungs-, sondern ein Kriegsbündnis geworden sei, gegen eine Globalisierung, die mit Krieg durchgesetzt würde, gegen einen Antiterrorkrieg, an dem auch Deutschland beteiligt sei. Schnell begann staatlicherseits die Kriminalisierung und die Vorbereitung von Verboten. Und so stand nicht nur der Krieg im Zentrum der Auseinandersetzungen und Proteste, sondern gleichfalls eine Innenpolitik, die abweichende Meinungen nicht mehr zulässt.
Wie man ein Demonstrationsverbot vorbereitet, …
Bereits im November 2001 beginnen das Bayerische Innenministerium und das Münchener Polizeipräsidium die Proteste zu kriminalisieren. Sie warnen vor «radikalen Globalisierungs-
gegnern», vor «gewaltbereiten Aktivisten», die zu « Entglasungs-Aktionen» und «Angriffen auf bestimmte Zielobjekte» aufrufen. Wieder einmal dienen sarkastisch-vieldeutige Internet-Aufrufe, mit denen die Anmelder der Demonstrationen nichts zu tun haben, als Beweise. Ein von den Kritikern herausgegebener Stadtplan, auf dem die Orte verzeichnet sind, an denen Beschwerden und Proteste angebracht seien, wird zum Beleg der geplanten Gewalttätigkeiten.
Frühzeitig wird die Arbeit des Bündnisses behindert. Projekten und Einrichtungen, die städtisch gefördert werden, wird bei Androhung des Entzugs öffentlicher Förderung «angeraten», keine Räume für Veranstaltungen zum Thema Sicherheitskonferenz zur Verfügung zu stellen und keine Schlafplätze anzubieten. Dem Eine-Welt-Haus, das sowohl Tagungsort des Münchener Bündnisses gegen die Sicherheitskonferenz als auch Ort mehrerer Informationsveranstaltungen sein soll, wird mit Kündigung gedroht.
Ende Januar warnt das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz vor 2.500 bis 3.000 gewalt-
bereiten Störern. Noch am 30. Januar 2002 erklärt der Chef der Ordnungsbehörde (Kreisverwal-
tungsreferat), dass das von der Polizei vorgelegte Faktenmaterial so dürftig sei, dass er damit kein Verbot begründen könne.
… den Rechtsweg ausschließt …
Die Verbotsverfügung, die am 31. Januar für die Tage vom 1. bis 3. Februar ergeht, sieht ein flächendeckendes Demonstrationsverbot für die gesamte Stadt München über drei Tage vor.
Sie gründet auf Verdacht und Vermutungen, nicht auf konkreten Erkenntnissen und funktioniert
nach dem Schema: Weil an vielen Orten der Welt Proteste stattgefunden haben, weil dadurch der staatlich geplante Gang der Dinge gestört wurde, weil die Polizei immer wieder eingegriffen und Demonstrierende festgenommen hat, weil viele Bürger und Bürgerinnen gegen die bestehenden Verhältnisse protestieren wollen, sind alle Versammlungen zu verbieten. Der konkreteste Verdacht einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegt in dem Willen der Veranstalter, «unüberhörbar in Erscheinung treten zu wollen». Dem schnell eingelegten Wider-
spruch gibt das Verwaltungsgericht München zumindest teilweise recht – Ersatzveranstaltungen außerhalb des Mittleren Rings sollen möglich sein. Noch in derselben Nacht wird diese Entschei-
dung vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof aufgehoben. Die Begründung des VGH kommt erst wenige Stunden vor Beginn der verbotenen Kundgebung, sodass eine Eilentscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts nicht mehr herbeigeführt werden kann. Die später eingelegte Klage ist noch anhängig.
… und eine Stadt mitsamt der ganzen Regionunter polizeiliche Kontrolle stellt
Nun gilt es, das Demonstrationsverbot in der gesamten Stadt durchzusetzen. Also wird versucht, die Anreise von potenziellen Demonstrierenden zu verhindern und Ansammlungen möglichst nicht zuzulassen, gegebenenfalls aufzulösen. Nach Angaben der Polizei wurden allein in München an diesen drei Tagen 1.375 Personen kontrolliert. Bis Sonntag, den 3. Februar 2002 registrierte der Ermittlungsausschuss 849 Festnahmen. Nach Polizeiangaben fanden im gesamten Bundesgebiet 8.609 Personenkontrollen, 112 Zugkontrollen, 3.499 PKW-Kontrollen und zehn Buskontrollen statt. Ungefähr tausend Bürgern und Bürgerinnen wurde die Einreise nach München verwehrt. Sie mussten umkehren – andernfalls drohte ihnen Unterbindungsgewahrsam (polizeilicher Gewahr-
sam zur Verhinderung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit).
Nachträglich teilte das Polizeipräsidium auf eine Anfrage der Grünen mit: «Um nicht als militante Autonome erkannt zu werden», seien die «Gewaltbereiten» in einem «unauffälligen Kleidungsstil» angereist. Dies habe es «der Polizei unmöglich gemacht, friedliche und gewaltbereite Personen optisch zu trennen». Zwei Busse aus Berlin wurden bereits in Berlin 45 Minuten durchsucht. Kurz vor München wurden die seit Berlin von einer Polizeieskorte begleiteten Busse angehalten und erneut durchsucht – einschließlich Leibesvisitationen. Eine Weiterfahrt zu der genehmigten Veranstaltung im Gewerkschaftshaus in München wurde untersagt und ein Platzverweis für München erteilt. Den Busfahrern, deren Lenkzeiten überschritten waren, wurde eine Ausnahme-
genehmigung ausgestellt. Sie mussten gen Norden fahren. In einem von der Polizei gewählten Ort 150 Kilometer nördlich von München mussten die Reisenden die Schlafzeiten der Busfahrer abwarten.
Viele der Festgenommenen wurden mehr als 12 Stunden ohne richterliche Überprüfung ihrer Freiheit beraubt, obwohl das Gesetz eine unverzügliche Haftrichtervorführung vorsieht. Sie wurden in menschenrechtswidrigen «Affenkäfigen» untergebracht, erhielten keine ausreichende Verpflegung und durften die ihnen zustehenden Telefonate nicht führen.
Ordnungswidrigkeitsverfahren
Angesichts von Tausenden Bürgern und Bürgerinnen, die sich ihr Recht auf Versammlungsfreiheit nicht nehmen lassen wollten und in München sowohl gegen die Kriegsvorbereitungen als auch gegen die Außerkraftsetzung des Grundgesetzes demonstrierten, fiel die Ahndung dieser Ord-
nungswidrigkeiten relativ gering aus. Die Polizei übermittelte dem Kreisverwaltungsreferat insgesamt 687 Anzeigen gegen Personen, die gegen das Versammlungsverbot verstoßen hätten. Nach Prüfungen wurde bei denjenigen, die bisher noch «nie einschlägig in Erscheinung getreten» waren, auf die Erhebung eines Bußgeldes verzichtet. In 562 Fällen wurden schriftliche gebühren-
freie Verwarnungen erteilt, Bußgeldbescheide in Höhe von 150 Euro beziehungsweise 200 Euro ergingen an 89 Personen. 36 Verfahren wurden eingestellt. (Information der Roten Hilfe e.V. Ortsgruppe München). Mindestens fünf Bußgeldbescheide sind nach Widerspruch zurückgezogen worden. In anderen Fällen kam es nach dem Widerspruch zu Prozessen, in denen die Angeklagten verurteilt wurden. Einige Prozesse sind noch anhängig. Anhörungsbogen erhielten auch solche Bürger und Bürgerinnen, deren Personalien in diesen Tagen nicht festgestellt worden waren. Ver-
mutet wird, dass sie mit Hilfe von Videoaufzeichnungen ermittelt wurden. Was mit den umfang-
reich gesammelten Daten geschieht, ist unbekannt.
Elke Steven
Till Müller-Heidelberg u.a. (Hg.), Grundrechte-Report. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland, Reinbek bei Hamburg, 93 ff.