Materialien 2003

Es war im Januar ...

diese Jahres – die Weltmacht westlich des Atlantiks schickte sich an, das Land von Euphrat und Tigris unter Beschuss zu nehmen – als der jüdische Physiker Daniel Amit, wohnhaft in Rom, von der US-Zeitschrift Physical Review, via E-mail ein Manuskript zur Beurteilung erhielt. Amit lehnte ab. Er werde, schrieb er zurück, angesichts der Weltlage mit keiner amerikanischen Institution zusammenarbeiten. Die Physical Review wird von der renommierten American Physical Society herausgegeben. Amits Ablehnung ließ den Chefredakteur nicht gleichgültig: „Wir sind der Ansicht, dass es von essentieller Bedeutung ist, dass alle Seiten sich bemühen, soziale und politische Unter-
schiede nicht auf die wissenschaftliche Arbeit und ihre Veröffentlichung Einfluss nehmen zu las-
sen. Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, unbeirrbar ihren Weg zu gehen.“

Amids Antwort, einen Tag später: „Was wir heute beobachten können, ist, glaube ich, die Zuspit-
zung einer, seit zehn, fünfzehn Jahren zunehmenden Barbarei amerikanischer Kultur weltweit, gekrönt von den Errungenschaften von Wissenschaft und Technik, die als schwere Waffen zur Massenvernichtung eingesetzt werden. Wir sind Zeuge von Menschenjagden und willkürlichem Töten, in einem Ausmaß, wie wir es seit dem Völkermord an den Indianern nicht mehr gesehen haben. Wir sehen nirgendwo eine korrigierende Kraft, die sich gegen die Geisteskrankheit, die Selbstüberschätzung und den Mangel gegenüber menschlichem Leben (seien es Zivilisten oder Militärs) einer anderen Kultur wendet. Wissenschaft kann nicht neutral bleiben, besonders nachdem sie missbraucht wurde auf so zynische Weise, als Inspektoren ein Land auf seine Dezi-
mierung durch Laser gesteuerte Cluster Bomben vorbereitete. Nein, Wissenschaft der amerikani-schen Art hat keine Berechtigung. Ich persönlich kann mich nicht mehr an amerikanischer Wis-
senschaft beteiligen. Unglücklicherweise gehöre ich als Jude zu einer Nation mit ähnlich geistiger Abweichung, die sich als ebenso unverbesserlich erweist … Ich werde meinen bescheidenen Beitrag des zivilen Ungehorsams leisten, damit ich künftig meinen Enkeln und Studenten in die Augen sehen und sagen kann: Ich habe es gewusst.“

Danke, Daniel Amit. Es sind die zivilen Ungehorsamen, die uns den Weg weisen. In der Über-
gangsphase des sogenannten Paradigmenwechsels sind sie nötiger denn je. Whistleblower heißen unsere neuen Helden: Sie pfeifen Alarm, weil die herrschenden Institutionen außer Kontrolle ge-
raten und den Gang der Dinge in den Abgrund steuern. Wir brauchen sie nötiger denn je in einer Zeit, da die Medien immer wieder an ihre Verantwortung erinnert werden müssen. Wir brauchen Menschen, die Befehle hinterfragen und die Loyalität gegenüber der organisierten Lüge verwei-
gern. Dies gilt auch auf dem weiten Feld der Atomwaffen und der Atomenergie, wo Fehlinforma-
tion und Gehirnwäsche nach wie vor mit den Ton angeben.

Wir ehren daher die drei amerikanischen Ordensschwestern Carol Gilbert, Jackie Hudson und Ardeth Platte, die irakische Geologin Souad Naij Al-Azzawi, den indianischen Medizinmann Corbin Harney und die deutsche Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake für ihren Mut, sich der Wahrheit zu verpflichten.

Claus Biegert

PS: Wir wissen nicht, wer die Preisträger der nächsten Jahre heißen werden. Aber wir wissen, wer sicher dazu gehören würde: Wer immer in der Europäischen Union oder in den Vereinten Natio-
nen sich dafür einsetzt, der Internationalen Atom-Energie Agentur (IAEA) in Wien ein Mandat zu nehmen: das Mandat, Kernenergie um die Welt zu fördern und zu verbreiten. Wir brauchen end-
lich eine Internationale Agentur für nachhaltige Energien!


The Nuclear-Free Future Award für eine atomfreie Zukunft, München 2003, 4.

Überraschung

Jahr: 2003
Bereich: Atomkraft

Referenzen