Materialien 2003

Proteste

Münchener Sicherheitskonferenz

„Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus“ appellierte Ernst Grube vom Verein Verfolgter des Naziregimes an die Abschlusskundgebung des Protests gegen die Sicherheitskonferenz in Mün-
chen. Der Liedermacher Konstantin Wecker wiederholte den Aufruf zur Desertion von Tobias Pflüger (von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen), der auf der Kundgebung am Abend zuvor Soldaten der Bundeswehr, die demnächst Dienst in den AWACS-Flugzeugen ver-
richten sollten, aufgefordert hatte, diesen zu verweigern. Tobias Pflüger wurde daraufhin verhaftet, und auch Konstantin Wecker wurde eine Strafanzeige angedroht.

Der Protest gegen die Münchener Sicherheitskonferenz hat seit dem letzten Jahr an Quantität und politischer Qualität stark zugenommen. Noch im Februar 2001 standen nicht viel mehr als fünfzig Demonstrierende, fast gänzlich unbeachtet von der Öffentlichkeit, vor dem Bayerischen Hof, um gegen die Sicherheitskonferenz zu demonstrieren; in diesem Jahr schlossen sich etwa 25.000 Menschen dem Protest gegen einen Angriff auf den Irak und gegen die Sicherheitskonferenz an.

Seit 1962 findet in München eine der wichtigsten militärpolitischen Konferenzen der Welt statt. Jährlich treffen sich hier Regierungsmitglieder, Parlamentarier, Militärs und Wirtschaftslobby-
isten von EU, USA und der NATO. Die Teilnehmenden diskutieren nicht über mehr „Sicherheit“ für die Weltbevölkerung, sondern über die Vorbereitung von Kriegen und die militärische Absi-
cherung wirtschaftlicher und geostrategischer Interessen.

Zu den diesjährigen Aktionen hat ein breites Demonstrationsbündnis, bestehend aus dem „Bünd-
nis gegen die Sicherheitskonferenz“, „Attac-München“ und dem „Münchener Friedensbündnis“ aufgerufen. Das gemeinsame Motto lautete: „Wir erklären den Kriegsstrategen: Ihr seid hier und anderswo unerwünscht. Wir rufen auf zum Protest gegen die NATO-Kriegskonferenz.“ Der bayeri-
sche DGB-Bezirk lud seine Mitglieder nicht zur Teilnahme an diesem Protest ein, sondern führte am selben Tag eine eigene Demonstration und Kundgebung durch, mit der er gegen den drohen-
den Krieg im Irak, nicht jedoch gegen die NATO und die Sicherheitskonferenz demonstrieren wollte.

Attac-München wurde eingeladen, die DGB-Kundgebung zu unterstützen. Attac- München positio-
nierte sich jedoch gegen diesen Spaltungsversuch und betonte mehrfach, es könne den Sinn einer Konkurrenzveranstaltung nicht nachvollziehen. Ein konsequenter Antikriegskurs müsse sich auch gegen die Sicherheitskonferenz wenden und auch die deutsche Regierung in die Kritik einbeziehen – bspw. wenn sie dem US-Militär Überflugrechte gewährt.

Schließlich schlossen sich viele Teilnehmende der DGB-Kundgebung nach deren Ende der Demon-
stration gegen die Münchener Sicherheitskonferenz an. Mit dieser Auseinandersetzung wurde eine ernsthafte Debatte über die Ausrichtung der Antikriegsbewegung in Deutschland angestoßen. In zahlreichen Redebeiträgen wurden die Positionen der deutschen Regierung kritisch hinterfragt und u.a. daraufhin gewiesen, dass Kriegswaffenproduktion und -exporte unter Rot-Grün um das Zweieinhalbfache gestiegen sind.

Erneut versuchten Innenminister Beckstein und Konsorten, den Protest gegen die Sicherheitskon-
ferenz zu diskreditieren und kriminalisieren. Letztes Jahr war der Protest unter fadenscheinigen Begründungen verboten worden. Unterstellungen und Erfindungen wurden herangezogen, um den Ausnahmezustand über München zu erheben, mit der Folge, dass alle Demonstrationen gegen die Sicherheitskonferenz untersagt waren. Trotzdem demonstrierten 10.000 Menschen gegen die Sicherheitskonferenz. Bis zu achthundert Demonstrierende wurden festgenommen, oftmals sehr junge Menschen wurden über Stunden eingekesselt, zuletzt wurde sogar das Gewerkschaftshaus eingekesselt – das war zuletzt 1933 geschehen.

Die breite Antikriegsstimmung in der Bevölkerung verhinderte, dass der Protest auch in diesem Jahr verboten werden konnte. Trotzdem versuchte das bayerische Innenministerium erneut, „Gewaltexzesse“ zu unterstellen. Um den gewaltigen Polizeieinsatz von 3.500 Beamten zu recht-
fertigen, wurde noch in der Nacht zum Samstag das sog. „Convergence Center“ gestürmt und etwa zwanzig Menschen festgenommen.

Die Sicherheitskonferenz darf nicht mehr stattfinden, nicht in München und auch nicht anderswo!

Sarah Seeßlen


SoZ – Sozialistische Zeitung vom März 2003, 22.