Materialien 2003
Hochamt der Friedensbewegten
Merkwürdige Proteste gegen die Nato-Sicherheitkonferenz in München
Introitus: Besinnung
Kraut und Rüben. Krieg und Frieden. Schuld und Vergebung. Bush und Hussein. Um was ging es noch mal bei diesen Veranstaltungen. Ach ja, gegen den Krieg im Irak: und zwar nur den im Irak. Und zwar auch nur den, den die beiden Antichristen Bush und Rumsfeld anzuzetteln sich anschik-
ken. Und nicht vergessen: Nicht immer diese arrogante Tonlage anschlagen gegenüber den StiNos (Stinknormalen), den SpießerInnen und Bürgerlichen, KatholikInnen und Friedfertigen. Froh sein, dass so viele auf die Straße gehen, ist das Gebot der Stunde. Krötenschlucken angesagt, Toleranz für Ignoranz, kein Blut für Öl, kein Krieg für amerikanische Interessen (über deutsche ließe sich vermutlich diskutieren), eine andere Welt ist möglich …
Tut Buße
Das Wetter machte das Demonstrieren am 7. und 8. Februar in München zu einer Bußübung der besonderen Art. Am Freitagabend, als eine mit rund 3.000 Protestierenden noch recht überschau-
bare Menge gegen den Empfang der „Kriegstreiber“ durch den Münchener Oberbürgermeister Christian Ude die bibbernde Stimme erhob, war es in erster Linie kalt. Die ziemlich langen Rede-
beiträge zeichneten sich über weite Strecken durch Redundanz aus. Thema war der Oberbürger-
meister, der die „Weltkriegsstrategen“ willkommen heißt und dann aber eine Großkundgebung gegen den Krieg anführen will am kommenden Tag. Thema war auch die Repression, die Unge-
heuerlichkeit der Kriminalisierung nicht genehmer Proteste gegen die Nato-Sicherheitskonferenz und (links-)radikaler KriegsgegnerInnen. Jeder Bus, den das Unterstützungskommando (USK) genannte Elitecorps der Bayerischen Polizei auf der Theresienwiese durchsuchte, wurde durch-
gegeben und die Polizei aufgefordert, das zu unterlassen. Ob das Wirkung zeitigte, wurde nicht durchgegeben.
Innenminister Günther Beckstein, ein Meister der modernen Volksaufklärung, hatte „Gewaltexzes-
se“ von Autonomen vorausgesagt, von 1.000 Chaoten war die Rede. Auch viele der Friedliebenden waren beeindruckt und verunsichert von diesem „Krieg“, der den Münchener Einkaufsmeilen von der Theatinerstraße über den Marienplatz bis zum Stachus drohte, (wo auch an Tagen wie diesen die Kundenmassen unbeirrt und zielstrebig durch die Warmluftschleusen strömen).
Was blieb der Polizei also anderes übrig, als die „bösen“ DemonstrantInnen hinter Riot-Fences einzusperren und in jeder nur erdenklich anderen Weise zu schikanieren und zu belästigen. Die – zugegebenermaßen – nachvollziehbaren fast flehentlichen Berufungen auf grundgesetzlich ge-
schützte Bürger- und Menschenrechte etwa der Versammlungs- und Redefreiheit verrauchten in der winterkalten Abendluft. Für Heiterkeit und einen kurzen Moment wärmender Bewegung sorg-
te Versammlungsleiter Claus Schreer, als er den Versammelten 3.000 zurief: „Wir sind hier jetzt 10.000!“ Schreer repräsentierte die radikaleren KriegsgegnerInnen und Friedensbewegten, die sich mit ihrer Kritik auch gegen die bundesrepublikanische Außen- und Kriegspolitik wenden und die dahinter liegenden weltpolitischen Interessen benennen: das Münchener Bündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz , attac München und das Münchener Friedensbündnis . Ihnen wollte am Tag danach der Münchener OB gemeinsam mit den christlichen Kirchen, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und etwa dem Kinderschutzbund eine Demo der „Guten“ entgegenstellen, welche sich nicht so radikal, aber doch auch irgendwie gegen den Krieg positionieren sollte. Aber bis dahin floss noch so mancher Hektoliter Wasser die Isar und bayerisches Bier die Kehlen der durchgefrorenen DemonstrantInnen hinunter.
Rühmliche Ausnahme beim Redenmarathon am Freitagabend war mal wieder Tobias Pflüger, Ex-
perte der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen. In kurzen Statements umriss er einmal mehr den deutschen Beitrag zu diesem und jedem anderen Krieg des Westens gegen den Rest der Welt und Deutschlands Rolle und Interesse darin und im Nahen Osten. Er rief mehrfach insbesondere Soldaten der Bundeswehr und Awacs-Besatzungen zur Befehlsverweigerung und Desertion auf. Dafür wurde er im Anschluss erst mal festgenommen und drei Stunden in Gewahr-
sam der Polizei gehalten: Man hatte seine Anweisungen, so die Diensttuenden. Zum zweiten Mal hatten die Gesetzeshüter diesen notorischen Friedensapostel in flagranti bei seinem wehrkraftzer-
setzenden Treiben ertappt: Sapperlot!
Ähnlich erging es den BesucherInnen des Konvergenz-Zentrums im „Tröpferlbad“, die die Polizei auf Mitternacht zu regelrecht überfiel: rund 200 Personen wurden über Stunden dort festgehalten, ihre Personalien kontrolliert und all jene, welche nicht aus München und Umgebung waren, wur-
den zur weiteren Überprüfung ins Polizeipräsidium in der Ettstraße gebracht. Vorwiegend Berli-
nerInnen wurden in Unterbindungsgewahrsam genommen. Der aufgeräumt heitere Polizei-Presse-
sprecher vor Ort, Andreas Huch, grinste in jener glatten, selbstgewissen „bayerischen Art“ über die „Linksextremisten“, über die Erkenntnisse vorlägen, dass sie hier im Tröpferlbad „Straftaten plan-
ten“. Und das geht halt nicht: Da muss eine Übermacht Ordnungshüter ran und den Vorhersagen des Innenministers die Statistik nachreichen. Die Frage, ob denn gezielt BerlinerInnen mitgenom-
men würden, quittiert Huch mit einem blitzblanken, braun gebrannten 1.Mai-Lachen. So einfach ist die Welt, Gut und Böse ungefähr so klar erkennbar wie in der übersichtlichen Welt von George Dabblju Bush und seinem Kardinal Rumsfeld. Wer hier nach Verhältnismäßigkeiten, den ominö-
sen „Erkenntnissen“ der Polizei oder einfach nur nach Nachvollziehbarkeit fragt, läuft Gefahr sich lächerlich zu machen.
Prozession der Guten
Im Gegensatz zur Kundgebung am Freitag und der für Samstag um 12 Uhr angesetzten Großdemo danach kamen am Samstagmorgen an der Münchener Freiheit vor allem parteigebundene SPD-
nahe, Gewerkschaftsanhänger und Kirchenvolk zum hochoffiziellen und durch den Oberbürger-
meister geheiligten Anti-Kriegshochamt. Ihre Hoffnung gehörte dem friedliebenden Schröder und seinem Außenwauwau, die die Welt mit deutscher Standhaftigkeit vor einem neuen Krieg retten sollen. Der Stellvertreter des Herrn Schröder ist in München dessen geringer Bruder Christian Ude, der dem Volk selbdritt1 mit DGB-Erzbischof Fritz Schösser und dem Münchener SPD-Dom-
probst Franz Maget erschien. „Unser“ Christian Ude hatte es den versammelten „Sicherheitsexper-
ten“ beim Empfang im Rathaus aber gesagt, hatte gesagt, dass man gerade in München wisse, was Bombenkrieg sei und dieser vermutlich keine Lösung bringen werde. Das war dem Volke ein Hosi-
anna wert, Ude wurde umjubelt wie der Heiland und er genoss es. Ausgerechnet der Mann, der im vergangenen Jahr jeglichen Widerstand gegen die Nato-Sicherheitskonferenz unterbinden wollte und kurzerhand ein Demonstrationsverbot für ganz München predigte, machte sich mit Basken-
mütze und rotem „Kein Krieg“-Schild zur Speerspitze der biederen Kriegsgegnerschaft.
Schröder, der Che und ich
Vereinzelte „Heuchler“- und „Nie wieder Deutschland“-Rufe wurden von der schweigenden Mehr-
heit der friedliebenden Gutgläubigen verschluckt. Unerträglich selbstgerecht inszenierte sich die-
ser zahnlose Protest. Die Plakate, die sich die Heimwerker zuhause im Hobbyraum gebastelt hat-
ten, strotzten vor Personalisierung der Kriegsfrage auf die beiden Teufel Bush und Rumsfeld, sel-
tener fielen oder las man die Namen Cheney, Powell, Wolfowitz, Blair usw., denen abgrundtiefe Dummheit und ein verbrecherisches Wesen attestiert wurde. Im Zusammenhang mit Rumsfelds „Achse der Außenseiter“ Berlin – Tripolis – Havanna gerieten die Weltbilder gehörig durcheinan-
der. Die geistlose Simplifizierung auf die Gut-und-Böse-Kardinalfrage, der man vor allem US-Prä-
sident Bush abschätzig zieh, wurde in allen Kombinationen reproduziert. „Schröder, der Che und ich sind gegen den Krieg“, ein T-Shirt mit brennenden Stars-and-Stripes, USA-feindlichem Auf-
druck und Sig-Rune im Staatskürzel, ein Hoch auf das „alte Europa“ und allerlei anderer Unfug wurde in die von Schneeflocken dicke Luft gehalten. Die Katholische Arbeitnehmerbewegung, Sektion Lohhof, der Ökumenische Friedenskreis und Freunde Palästinas schwenkten ihre Fahnen zwischen denen der Grünen, der SPD, der Gewerkschaften und der grünen Jugend (die, wenn sie schlaff herumhängen wie ihre TrägerInnen, aussehen wie Hamas-Banner).
Keine Missverständnisse
Deutschland wisse schließlich, was Krieg bedeute und habe schreckliche Erfahrungen gemacht vor 60 Jahren, verkündete Laienfriedensprediger Ron Williams („Hello, Mr. Frieden“ – Anti-Pershing-Protest Anfang der 80er Jahre) am Odeonsplatz, wo sich bei der Abschlusskundgebung rund 7.000 Gläubige zum „Urbi et Orbi“ ihres Oberbürgermeisters versammelten – moderiert von Achim Bog-
dan vom katholischen Staatssender BR. „Damit keine Missverständnisse entstehen“, so tönte es während des Demozugs aus den Lautsprechern, „wir demonstrieren hier nicht gegen die Nato-Si-
cherheitskonferenz“ und, um ein weiteres Missverständnis auszuschließen, wurde nochmals klar gestellt, dass sich die Demo zwar gegen den Krieg richte, nicht aber für Saddam Hussein Partei er-
greife – sicher notwendige Klarstellungen für alle ErstdemonstriererInnen, die im Wirrwarr fried-
liebender Äußerungen, geistlosen Geplappers, dreister Vereinnahmungen und Schwarz-Weiss-Bil-
dern vielleicht etwas den Überblick verloren hatten. So gelang der Spagat zwischen Friedensgedöns und Kriegsduldung, zwischen Sünde und Absolution, das reine, konsequenzlose Gutsein der erlö-
sten Christenmenschen: Halleluja!
Von der Messe zum Frühschoppen
Wer seine sieben Sinne beieinander hatte und gelbgefrorene Zehen, wanderte vor dem Amen vor der Theatinerkirche ab zur „bösen“ ( Süddeutsche Zeitung ) Demonstration am Marienplatz, die die Polizei von vornherein und erneut hinter Gittern einpferchte und mit schwer erträglicher Schi-
kane belegte. Doch wieder – wie im vergangenen Jahr – ging die Rechnung nicht wirklich auf, denn es kamen dann doch die meisten von der Prozession herüber zum Marienplatz wie nach der Messe zum Frühschoppen.
Am Ende strömte denn wohl eine Menschenmenge von rund 25.000 auf den Lenbachplatz zur Ab-
schlusskundgebung. Irgendwie war doch alles irgendwie gut gegangen, alles war irgendwann im Laufe des 24-stündigen Protests von irgendeinem/-einer RednerIn irgendwie thematisiert worden, alle fühlten sich ein bisschen wohl, verstanden und in ihrer Angst ernst genommen, alle hakten zu-
frieden ein etwas langweiliges, aber friedliches Wochenende ab.
Prophetisch klang im langatmigen Redemarathon einzig die Ankündigung der attac-Mitgründerin Susan George, die auf der zu so ziemlich allem anderen parallel verlaufenden Friedenskonferenz (leider eher ein geriatrischer Kongress mit Eso-Einschlag) im Eröffnungsforum eine ziemlich ein-
drucksvolle Rede hielt: Sie habe es am Freitagnachmittag aufgegeben, einen Spaziergang durch München zu machen, weil es vor Polizeipräsenz fast unbegehbar schien. Doch, so kündigte sie an, „wenn dieser Krieg begonnen wird und wenn es der Krieg ist, den wir vorhersehen mit den 800 Cruise Missiles in zwei Tagen und zahllosen zivilen Toten, werden sie weltweit nicht genug Polizei haben, um den Hass gegen George Bush, Tony Blair und ihre Komplizen einzudämmen.“
Das kann ja heiter werden!
Friedrich C. Burschel, München
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1 Veraltet für „zu dritt“; im Katholischen mit starkem Bezug zu „Anna Selbdritt“, Darstellungen der Hl. Anna, mit ihrer Tochter, der Gottesmutter Maria, und dem Jesuskindlein. Allgemein werden heilige Dreiheiten mit „selbdritt“ bezeichnet.
ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 470 / 21. Februar 2003. – www.akweb.de/ak_s/ak470/17.htm