Materialien 2003
Brückenschlag entzweit BA
Es ist Samstag und Ende Mai. Der Autoverkehr auf der Rosenheimer Straße kommt zweimal für kurze Zeit zum Stillstand. Menschen durchklettern eine Maueröffnung am Rand der Fahrbahn, drucken mit ihren Füßen weiße Abdrücke auf den Asphalt. Mit dem „Brückenschlag“ erobern sich die Demonstranten für die Dauer der Aktion einen gefahrlosen Übergang über die Hauptver-
kehrsstraße. Die geradezu entspannt verlaufene Aktion hat nachträglich im Bezirksausschuss zu einer heftigen Auseinandersetzung geführt.
Die Rosenheimer Straße ist eine der meist befahrenen Routen der Stadt. Sie verbindet die Innenstadt mit dem Münchner Osten und der Autobahn nach Salzburg. Zugleich trennt dieser Straßenzug die durchquerten Stadtviertel in voneinander isolierte Quartiere. Zwischen Rosenhei-
mer Platz und Gasteig Kulturzentrum wirkt sich diese trennende Wirkung besonders unangenehm aus. „Besonders schlimm ist die Trennwirkung im westlichen Abschnitt zwischen Rosenheimer Platz und Einmündung der Hochstraße am Gasteig. Hier gibt es auf einer Länge von 400 Metern überhaupt keine oberirdische Querungsmöglichkeit.“ So schreiben der Bezirksausschuss Au/Haid-
hausen und weitere als Mitveranstalter des „Brückenschlags“ zeichnende Umweltgruppen und Initiativen in einer Mitteilung. Sicher, es gibt an dieser Stelle die Möglichkeit, durch den Zugang zum S-Bahnhof die Straße unterirdisch zu queren. Aber wer will sich schon zu diesem Umweg nötigen lassen, besonders dann, wenn etwa Alter, Gepäck, ein Kinderwagen oder Rollstuhl die Fortbewegung erschweren. Zutreffend beschreiben die Aktionsveranstalter die Unterführung als „insgesamt unattraktiv und für Fußgänger mit Kinderwagen, Rollstuhlfahrer und Ältere mit Geh-
hilfe sehr beschwerlich – oder gar nicht nutzbar.“ Mit der Aktion unterstreichen die Initiatoren ihre Forderungen:
„Vordringlich ist ein zusätzlicher ampelgesicherter Übergang zwischen Gasteig-Kulturzentrum und Motorama Ladenstadt. Dieser ist mit den nachfolgenden Lichtzeichenanlagen an der Hoch-
straße und Am Gasteig zu koordinieren.
Zur Stärkung des Geschäftszentrums ist entlang der Rosenheimer Straße insgesamt die Qualität der oberirdischen Querungsmöglichkeiten für Fußgänger und Radfahrer zu überprüfen und zu verbessern.
Die Ampelsteuerungen sind insgesamt zu optimieren, insbesondere auf längere Grünphasen für Fußgänger an den Übergängen.“ (aus der Presseinformation der Veranstalter)
Natürlich wird gegen einen Überweg das Argument ins Feld geführt, dass damit die Leistungs-
fähigkeit der Rosenheimer Straße eingeschränkt wird und sich die Autos vermehrt stauen werden. Wirklich? Es sollte doch möglich sein, eine weitere Verkehrsampel mit den an der Einmündung Hochstraße und Am Gasteig bereits vorhandenen so zu schalten, dass die Autofahrer von der neu installierten Ampel nicht mehr merken, als dass sie phasenweise den Fußgängern eine geschützte Gasse freihalten, wenn sie auch an den anderen Ampeln „Rot“ haben.
Während der Junisitzung des Bezirksausschusses Au/Haidhausen sorgt die Aktion für ein heftiges Nachbeben. Es beginnt harmlos mit einem kurzen Bericht einer Vertreterin vom Verein „Green City“. Dieser ist ebenfalls Mitveranstalter gewesen. Die Vertreterin verweist auf die Zusammenar-
beit der verschiedenen Vereine und Gruppen mit dem Bezirksausschuss. Teilnehmerinnen und Teilnehmer des zeitgleich mit der Aktion in München tagenden 14. Bundesweiten Umwelt- und Verkehrskongresses haben den „Brückenschlag“ über die Rosenheimer Straße tatkräftig unter-
stützt.
Unzufrieden äußert sich Dieter Rippel (FDP). Sein Unmut richtet sich nicht gegen die Inhalte der Aktion – Herr Rippel spricht mehrfach von „Demonstration“. Er kritisiert die Diskrepanz zwischen den propagierten Zielen und dem tatsächlichen Ablauf. Seines Erachtens hat die Viertelbezogen-
heit und die Einbindung des örtlichen Einzelhandels gefehlt. Nach Beobachtung des FDP-Mannes haben Mitglieder der Umweltgruppen die „Demonstration“ geprägt, denen es weniger um die Stärkung der örtlichen Geschäftswelt, vielmehr um die Propagierung eines „autofreien Raums“ gegangen sei. Aus diesen Gründen hat Dieter Rippel eine dienstaufsichtliche Prüfung beim städtischen Direktorium veranlasst. Die städtische Dienststelle soll auf seinen Antrag hin den Beschluss des Bezirksausschusses rechtlich würdigen, für die Aktion einen Zuschusses zur „Aktion Brückenschlag“ zu bewilligen.
Unter den Gästen sitzt – das trifft sich gut – Martin Krautkrämer, Geschäftsführer der „Motora-
ma“-Vermögensverwaltung. Namens der dort ansässigen Geschäfte und Betriebe erinnert er daran, dass bereits seit den siebziger Jahren Interesse an einer oberirdischen Querung an dieser Stelle der Rosenheimer Straße besteht. Seinerzeit habe man die Idee einer echten Brücke erwogen.
Nach diesem Plädoyer leitet mit recht harschem Ton die Bezirksausschussvorsitzende Adelheid Dietz-Will die anschließende Diskussion ein. Adelheid Dietz-Will bezeichnet die Feststellungen von Dieter Rippel als nicht den Tatsachen entsprechend. Doch sie scheint den Schritt des BA-Kollegen nicht nur als einen inhaltlichen Dissens, sondern auch als einen persönlichen Angriff zu werten, und so isoliert sie den FDP-Vertreter verbal als Außenseiter. Moderat fällt das Votum von Andreas Micksch (Fraktionssprecher der CSU) aus. Bekanntermaßen will die CSU die von der Aktion gefor-
derte Ampel nicht. Es ist „ein Novum“, dass ein BA-Beschluss rechtlich überprüft wird. Zugleich jedoch betont Andreas Micksch das Recht eines jeden BA-Mitglieds, eine solche rechtliche Prüfung zu verlangen.
In die Vollen geht Werner Walter (Bündnis 90/Die Grünen). „Ab jetzt muss jede Aktion Rippel-
fest sein.“ Darauf sollten sich, so sein Rat, besonders alle jüngeren Kolleginnen und Kollegen im Gremium einstellen. Barbara Sylvia Schuster (SPD) plädiert für einen respektvollen Umgang im Gremium. „Ironisierungen sind nicht hilfreich.“
Zum Abschluss bittet Adelheid Dietz-Will zur Abstimmung über eine Mitteilung des Direktoriums, in der dieses sich zustimmend zum umstrittenen BA-Beschluss äußert. Gegen vier Stimmen vom Bezirksausschuss so beschlossen.
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Kommentar
Dieter Rippel hat es im Bezirksausschuss nicht leicht. Die von ihm vertretene Partei, die FDP, verfügt im Bezirksausschuss nur über einen Sitz. Dieter Rippel macht es seinen Kolleginnen
und Kollegen allerdings auch nicht leicht, indem er häufig und beharrlich formale Fragen in den Vordergrund stellt. Jüngstes Beispiel dafür ist sein Antrag auf rechtliche Überprüfung eines BA-
Beschlusses. Seine Aussichten, mit diesem Vorstoß inhaltlich zu punkten, dürften gegen Null tendieren. Wenig Souveränität im Umgang mit Dieter Rippel legen einige BA-Mitglieder an den Tag. Der Preis für die platteste Replik geht an Werner Walter. Er, der einst mit pointierten Äuße-
rungen Sachkenntnis mit Unterhaltungswert zu verbinden verstand, greift zum ehrabschneiden-
den Kalauer. Die Vorsitzende des Gremiums schweigt zur Entgleisung – Ring frei!
Endlich mal was los … ach, nein, eher peinlich ist es anzuhören, wie einige versuchen, einen politischen Unglücksraben fertig zu machen.
Angenehm, dass Herr Micksch gelassen bleibt und Frau Schuster den Mut hat, für toleranten und respektvollen Umgang einzutreten.
Andreas Bohl
Haidhauser Nachrichten 7 vom Juli 2003, 1 ff.