Materialien 2004
Münchner Polizei und Staatsanwaltschaft
wollen freundliche Demonstrationsatmosphäre für Neo-Nazis durchsetzen
Der 20. März 2004 war der Jahrestag des Beginns des Irakkrieges. Aus diesem Anlass hat sich das Münchner Bündnis gegen den Krieg zusammengefunden, das eine Kundgebung an diesem Tag hierzu angemeldet hat. Für den gleichen Tag hat die NPD eine Kundgebung unter dem Motto „Der Irakkrieg war ein Verbrechen“ angemeldet.
Die Kundgebung des Bündnisses „München gegen den Krieg“ fand auf dem Marienplatz statt. An-
melder waren Claus Schreer und ich. Redner waren neben anderen ebenfalls Claus Schreer und Siegfried Benker sowie Martin Löwenberg.
Der Vollständigkeit halber soll hier nochmals gesagt werden: Die NPD verbindet mit einer Kundge-
bung gegen den Irakkrieg vollkommen andere Inhalte als die Antikriegsbewegung. Die Rechtsex-
tremisten hatten mit ihrer Kundgebung das Ziel, die Bombardierung von Dresden mit der Bombar-
dierung von Bagdad gleichzusetzen – und damit das Deutsche Reich in eine Opferrolle zu drängen: Der Angriffskrieg gegen den Irak wird benutzt, um den Krieg u.a. der Amerikaner gegen das natio-
nalsozialistische Deutschland als Kriegsverbrechen darzustellen – und die Verbrechen des Natio-
nalsozialismus damit zu relativieren.
An dieser Kundgebung der NPD nahmen neben NPDlern auch Demokratie Direkt, Freie Kamerad-
schaften, die Kameradschaft Süd und andere rechtsextreme Gruppen teil.
Auf der Kundgebung des Bündnisses München gegen den Krieg auf dem Marienplatz wiesen Mar-
tin Löwenberg, Claus Schreer und Siegfried Benker in ihren Redebeiträgen darauf hin, dass die Neo-Nazis am Stachus demonstrieren und vermutlich viele MünchnerInnen dorthin gehen werden, um gegen die Neo-Nazis zu protestieren.
Ich selbst tat dies mit folgenden Worten: „Menschen, die angeblich das irakische Volk unterstüt-
zen, hier aber am liebsten jeden irakischen Flüchtling totschlagen würden, können niemals Teil der Friedensbewegung sein. Da sagen wir klar Nein und grenzen uns eindeutig ab. Diese Neo-Nazis treffen sich zu ihrer Kundgebung um 13.00 Uhr am Stachus. Und ich bin mir sicher, dass viele Menschen hingehen werden, um deutlich zu machen, dass sie mit diesen Inhalten nichts gemein-
sam haben.“
Im Anschluss an die Kundgebung ging ich – genauso wie eine Reihe anderer Kundgebungsteilneh-
merInnen – zum Stachus, um dort zu protestieren. Als der Demonstrationszug der Neo-Nazis un-
ter starkem Polizeischutz die Sonnenstraße entlangmarschierte (bis zum Amerikanischen General-
konsulat), begleiteten die protestierenden MünchnerInnen diesen Zug. Ich selbst hielt dabei wie-
derholt eine „Rote Karte für Neo-Nazis“ in die Höhe und protestierte.
Das sah dann so aus:
Dies sind die gesamten Vorwürfe: Der oben zitierte Satz, das Begleiten der Neo-Nazi-Kundgebung und das Hochhalten der Roten Karte begleitet von Missfallensbekundungen.
Dieser Sachverhalt hat die Münchner Polizei ein halbes Jahr in Atem gehalten und zu sechs Mo-
nate langen Ermittlungen geführt. Empört sind die ermittelnden Polizeibeamten vor allem über folgenden Sachverhalt:
„Die aggressionsgeladene Atmosphäre, welche die Gegendemonstranten durch lautstarke Proteste, beleidigende Äußerungen und Zeichen gegenüber der Gruppe der Teilnehmer an der NPD-Demon-
stration, gellendes Pfeifkonzert und ständige Rangeleien mit den eingesetzten Polizeikräften er-
zeugten, führte dazu, dass sich die Passanten und Interessierte von dem Ort der Versammlung größtenteils fern hielten, wodurch praktisch keine (inhaltliche) Außenwirkung durch die NPD erzielt werden konnte.“
Bewertung:
1. Es genügt der Münchner Polizei offensichtlich nicht, durch ein massives Polizeiaufgebot jegliche Behinderung von Neo-Nazi-Aufmärschen im Keim zu ersticken. Die Münchner Polizei will durch die Verfolgung von Martin Löwenberg, Claus Schreer und mir offensichtlich auch eine angenehme Demonstrationsatmosphäre für Neo-Nazis durchsetzen.
2. Sie möchte offensichtlich erreichen, dass „Passanten und Interessierte“ zur Kundgebung kom-
men und „eine inhaltliche Außenwirkung für die NPD erzielt werden kann“.
3. Damit würde nur erreicht, dass Demonstrationen von Neo-Nazis mit rechtsextremen Inhalten als normaler Teil des demokratischen Geschehens angesehen werden.
4. Der Protest, der von außen lautstark vorgetragen wurde. Schon das soll nicht mehr möglich sein. Ich sehe voll und ganz ein, dass die Polizei die Aufgabe hat, eine nicht verbotene Kundgebung auch von Neo-Nazis durchzusetzen. Es kann aber nicht die Aufgabe der Polizei sein, den Neo-Nazis die Unbill demokratischen Protestes aus dem Weg zu räumen, indem man über Monate Ermittlungs-
verfahren gegen Münchner durchführt und dann an die Staatsanwaltschaft abgibt in der Hoffnung, dass sich ein willfähriger Staatsanwalt findet, der dies anklagt.
5. Alle Politiker fordern Zivilcourage gegen Neo-Nazis, fordern, sich den braunen Gruppen demo-
kratisch in den Weg zu stellen – doch die Münchner Polizei will schon verhindern, dass man sich an den Straßenrand stellt. Sollen sich die Münchner hinstellen und schweigen oder jubeln oder am besten gleich zu Hause bleiben?
6. Um es deutlich zu machen: Eine angenehme Demonstrationsatmosphäre wird es für Neo-Nazis in München nicht geben, solange wir es verhindern können. Diese Stadt kann stolz darauf sein, dass sich wiederholt Tausende von Münchnern Neo-Nazi-Aufzügen in den Weg gestellt haben. Und sie kann stolz darauf sein, dass Münchner bei vielen Anlässen Neo-Nazi-Aufzüge nicht ohne Pro-
test hinnehmen. Es gibt in München eine Kultur der Zivilcourage gegen Neo-Nazis – und das soll so bleiben.
7. Die Bevölkerung, die Politiker und die Medien schauen erschrocken auf die Wahlerfolge rechts-
extremer Parteien in Brandenburg und Sachsen, auf das knappe Scheitern Rechtsextremer im Saarland und auf das Vorhaben rechtsextremer Parteien, einen rechtsextremistischen Block zu bilden für die nächste Bundestagswahl. Dies sind Vorgänge, die politisch und strukturell bekämpft werden müssen. Es muss aber auch im öffentlichen Raum klargemacht werden: Rechtsextremes Gedankengut ist keine normale Meinungsäußerung im Rahmen des demokratischen Diskurses.
8. Wir fordern die Münchner Polizei auf, ihre Kapazitäten sinnvoller einzusetzen als zur Krimina-
lisierung von Münchnern, die gegen Neo-Nazis protestieren. Und wir fordern die Münchner Staatsanwaltschaft auf, die Ermittlungsakten ins Archiv zu werfen und die Ermittlungen umge-
hend zu beenden.
Siegfried Benker
Mittwoch, den 13. Oktober 2004