Materialien 2004

Der Aufstand der Anständigen

ist keine unanständige und kriminelle Handlung

Gerichtsverfahren gegen Siegfried Benker und Claus Schreer am 2. Mai 2006, 10.00 Uhr Justiz-
gebäude Nymphenburger Straße 16, Saal 225. Der Vorsitzende der Stadtratsfraktion Die Grünen – rosa liste, Siegfried Benker, ist heute vom Vorwurf freigesprochen worden, im März 2004 eine unangemeldete Versammlung abgehalten zu haben um auf diese Weise eine Kundgebung der NPD zu stören. Das Gericht wies die Anklage des Staatsanwaltes zurück und schloss sich in allen wesentlichen Punkten den Ausführungen der Verteidigung an.

Im Folgenden die Erklärung Siegfried Benkers vor Gericht:

Sehr verehrte Damen und Herren,

zu dem Sachverhalt der mir – und Claus Schreer – zur Last gelegt wird, möchte ich nur wenig sagen, da dieser schnell erläutert ist und aus dem eben vom Staatsanwalt verlesenen Strafbefehl deutlich wurde: Nur einmal noch kurz das ganze Ausmaß der mir vorgeworfenen Straftat zusam-
mengefasst:

1. Am 20. März 2004 fand am 1. Jahrestag des Beginns des Irakkriegs am Stachus eine Versamm-
ung der NPD statt unter dem Motto „Der Irakkrieg war ein Verbrechen“. Ziel dieser Kundgebung der rechtsextremistischen NPD war es, die Bombardierung Bagdads mit der Bombardierung Dres-
dens gleichzusetzen – und das nationalsozialistische III. Reich damit als Opfer einer US-Aggres-
sion darzustellen – und damit gleichzeitig alle Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren.

2. Im Rahmen einer Kundgebung auf dem Marienplatz wurde von mir als Redner u.a. gesagt: „Menschen die angeblich das irakische Volk unterstützen, hier aber am liebsten jeden irakischen Flüchtling totschlagen würden, können niemals Teil der Friedensbewegung sein. Da sagen wir klar nein und grenzen uns eindeutig ab. Diese Neonazis treffen sich zu ihrer Kundgebung um 13.00 Uhr am Stachus. Und ich bin mir sicher, dass viele Menschen hingehen werden, um deutlich zu ma-
chen, dass sie mit diesen Inhalten nichts gemeinsam haben.“

3. Weiterhin wird mir vorgeworfen, am Zugweg der Demonstration der Neonazis anwesend gewe-
sen zu sein und eine „Rote Karte gegen Neonazis“ hochgehalten zu haben.

Nach Meinung des Staatsanwalts habe ich damit eine Straftat begangen, da ich – gemeinsam mit Claus Schreer – Veranstalter einer nicht angemeldeten Versammlung gewesen wäre. Die Ver-
sammlung wurde angeblich durch die Menschen gebildet, die gegen den Aufzug und die Inhalte der Rechtsextremisten protestierten – und durch unsere Redebeiträge am Marienplatz hätten Claus Schreer, Martin Löwenberg und ich die Menschen dazu aufgefordert gegen die NPD zu protestieren – und hätten uns damit als Veranstalter dieser nicht angemeldeten Kundgebung zu erkennen gegeben.

Das ist im Großen und Ganzen der gesamte mir zur Last gelegte Sachverhalt. Ich bestreite nichts von dem und doch hat die in hohem Maße peinliche Anklage der Staatsanwaltschaft ein politisches Ziel. Und dieses politische Ziel ist es, das hier herausgestellt werden muss.

Das politische Ziel der angeblich unparteiischen Staatsanwaltschaft ist es, jeglichen Protest gegen Neonazis am Ort ihrer Auftritte unter Strafe zu stellen und zu kriminalisieren.

Ich möchte dies kurz erläutern.

In einem Verfahren vom 16. Oktober 2003 hat die Staatsanwaltschaft mir „öffentliche Aufforde-
rung zu Straftaten“ vorgeworfen. Der Vorwurf besagte damals, ich hätte dazu aufgerufen eine Neo-
nazi-Kundgebung zu stören und den Rechtsextremisten das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu nehmen.

Die heutige Anklage lautet nicht mehr, dass ich aufgerufen hätte die Versammlung der Nazis zu stören oder zu verunmöglichen, sondern dass ich überhaupt dazu aufgefordert hätte hinzugehen und zu protestieren – und auch noch selbst durch Hochhalten einer Roten Karte vor Ort protestiert habe.

Damit soll jeglicher Protest gegen Neonazis dort, wo sie demonstrieren und ihre verbrecherischen und menschenverachtenden Parolen verbreiten, unmöglich gemacht werden.

Dies ist nicht übertrieben, sondern deutliches Ziel der Staatsanwaltschaft:

1. Wer öffentlich kundtut, dass Neonazis in der Stadt sind und dann auch noch sagt, wann und wo sie sich treffen, gibt sich als Veranstalter einer nicht angemeldeten Versammlung zu erkennen und begeht eine Straftat.

2. Wer hingeht und mit anderen gemeinsam protestiert – egal ob er dazu aufgerufen wurde oder nicht – begeht zumindest eine Ordnungswidrigkeit, da er oder sie an einer nicht angemeldeten Versammlung teilnimmt.

3. Der Versuch, eine solche Versammlung anzumelden wird immer scheitern, da eine Versamm-
lung auf oder neben dem Zugweg der Neonazis verboten und räumlich verlegt würde.

4. Wer dann noch hingeht und protestiert, der macht sich einer Straftat schuldig, nämlich der Teil-
nahme an einer verbotenen Versammlung. Selbstredend, dass der Anmelder dieser verbotenen Versammlung sich auch einer Straftat schuldig machen würde – der Durchführung einer verbote-
nen Versammlung.

Zusammengefasst: Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass jeglicher Protest am Ort einer Neo-
nazikundgebung eine strafbare Angelegenheit ist. Jeder der noch gegen Neonazis dort protestiert, wo sie sind, kann von der Staatsanwaltschaft strafrechtlich verfolgt werden. Die Staatsanwaltschaft München will die direkten Proteste gegen Neonazis verhindern.

Genauer:

Die Staatsanwaltschaft München will eine Kultur des Wegsehens durchsetzen. Der Aufstand der Anständigen soll unter Strafe gestellt werden. Das kann und das darf nicht geschehen – und ich bitte das Gericht, diesem Ansinnen eine klare Absage zu erteilen.

Keine Rede des Bundespräsidenten zum Thema Rechtsextremismus, in der dieser nicht eine Kultur des Hinsehens fordert. Alle Politiker fordern von den Menschen mehr Zivilcourage. Sie fordern „Zeichen zu setzen“ und „Flagge zu zeigen“. Sie fordern, den Neonazis „die rote Karte zu zeigen“. Die Menschen aber, die dem folgen, werden von der Staatsanwaltschaft München als Straftäter angesehen.

Die Staatsanwaltschaft München ist der Ansicht, das Neonazis ohne die Zumutung demokratischen Protestes ihre Kundgebungen durchführen können sollen.

Ich bin seit mehr als zehn Jahren Fraktionsvorsitzender einer der beiden Fraktionen, die die Münchner Stadtregierung stellen. Ich bin im Beirat für die Errichtung des Jüdischen Museums am Jakobsplatz und im politischen Beirat für die Errichtung des NS-Dokumentationszentrums, das gemeinsam mit dem Freistaat und dem Bund errichtet werden soll.

In diesen Funktionen bekomme ich direkt mit, mit welchem Unverständnis Menschen darauf reagieren, wenn in der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“, in der Stadt in der Hitler und die NSDAP groß wurden, Neonazis demonstrieren. Aber noch größer ist das Unverständnis, wenn einmal kein Protest stattgefunden hat, wenn sich einmal niemand darum gekümmert hat, wenn Neonazis in München aufmarschieren – denn auch das kommt vor.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft soll es aber immer so sein. Neonazis sollen in München grundsätzlich ohne störenden Protest ihre Versammlungen durchführen dürfen. Wer anderer Ansicht ist wird unter Strafandrohung gestellt.

Wir waren alle stolz darauf, dass zehntausend Münchner am 1. März 1997 den Marienplatz besetzt hielten, als 4.500 Neonazis dort ihre Kundgebung gegen die Wehrmachtsausstellung durchführen wollten. Nach Ansicht des Staatsanwalts waren alle couragierten Münchner, die damals dabei waren, potentielle Straftäter. Wenn es nach dem Staatsanwalt ginge, wären damals Bilder um die Welt gegangen, wie 4.500 Neonazis vor dem Rathaus die Verbrechen der Wehrmacht leugnen.

Die Neonazis sollen ihre Parolen auf Kundgebungen endlich ungestört verbreiten dürfen, lautet die Botschaft der Staatsanwaltschaft heute.

Um dies zu unterstreichen darf ich aus den Ermittlungsakten zitieren. Dort stellen die ermitteln-
den Polizeibeamten empört fest: „Die aggressionsgeladene Atmosphäre, welche die Gegendemon-
stranten durch lautstarke Proteste, beleidigende Äußerungen und Zeichen gegenüber der Gruppe der Teilnehmer an der NPD-Demonstration, gellendes Pfeifkonzert und ständige Rangeleien mit den eingesetzten Polizeikräften erzeugten, führte dazu, dass sich die Passanten und Interessierte von dem Ort der Versammlung größtenteils fernhielten, wodurch praktisch keine inhaltliche Außenwirkung durch die NPD erzielt werden konnte.“

Das soll jetzt anders werden. Parolen der Neonazis sollen jetzt ungestört auf Kundgebungen ver-
mittelt werden können. Die Inhalte der Neonazis werden damit als Teil einer demokratischen Debatte angesehen und behandelt – und genau da sagen die Bürger: Nein! Rechtsextremistische Meinungen können niemals ein gleichwertiger Bestandteil einer demokratischen Debatte sein. Faschismus ist kein Meinung sondern ein Verbrechen!

Rechtsextremistisches Gedankengut muss auf vielen Ebenen bekämpft werden – in der Schule genauso wie am Arbeitsplatz, wie in der politischen Debatte. Der Kampf gegen nationalsoziali-
stisches Gedankengut ist nie eindimensional.

Als Teil der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten muss verhindert wer-
den, dass Neonazis das Gefühl haben, ihre Äußerungen im öffentlichen Raum in Form von Kund-
gebungen seien akzeptiert, weil sich keinerlei direkter Protest mehr dagegen regt oder regen darf. Eine Stadtgesellschaft, die beginnt Kundgebungen von Neonazis als gegeben hinzunehmen und kommentarlos geschehen zu lassen wird erleben, dass Neonazis das Gefühl bekommen in der Ge-
sellschaft angekommen zu sein. Und das wird sie zu weiteren Schritten ermutigen.

Am 8. Mai diesen Jahres wollen Rechtsextremisten zum Jahrestag des Kriegsendes demonstrieren unter dem Motto: „Tag der Ehre – nicht Tag der Befreiung“, während 50 m weiter im alten Rat-
haussaal der Botschafter Israels eine Rede hält. Wie will die Staatsanwaltschaft erklären, dass die-
jenigen, die gegen diese Verhöhnung der Opfer protestieren, unter Strafandrohung stehen — und nicht die Neonazis?

Am 1. Juli diesen Jahres wollen Rechtsextremisten mit rassistischen Parolen gegen Ausländer de-
monstrieren – auf dem Marienplatz während die ausländische Welt zu „Gast bei Freunden“ ist. Was wird die Staatsanwaltschaft der Weltpresse erklären, wenn diejenigen die gegen diesen Neo-
nazisauftritt protestieren strafrechtlich verfolgt werden?

Das Gericht muss der Staatsanwaltschaft heute stoppen und deutlich machen, dass der Protest gegen Neonazis keine Straftat ist.

Der Aufstand der Anständigen ist keine unanständige und kriminelle Handlung.
2. Mai 2006


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