Materialien 2004
Braune Mädchen, Bomben und ein V-Mann
Prozess gegen die „Kameradschaft Süd“
von Max Brym 10/04
Am Mittwoch den 6. Oktober begann vor dem Oberlandesgericht in München der Prozess gegen einen Teil der nazistischen „Kameradschaft Süd“. Die Bundesanwaltschaft wirft der „Kameradschaft Süd“ die Bildung einer kriminellen terroristischen Vereinigung gemäß Paragraph 129a vor. Bundesanwalt Steidel sprach von der „Vorbereitung von Mord und Totschlag“. Der Kameradschaft Süd wird u.a. die Planung eines Bombenanschlages am Tag der Grundsteinlegung für das neue „Jüdische Kulturzentrum“ am 9. November 2003 in München zur Last gelegt. Im September 2003 wurde der Anführer der Bande, Martin Wiese und seine engsten Mitstreiter verhaftet. Der Prozess gegen Wiese, der sich in Untersuchungshaft befindet, beginnt im Januar 2005. Jetzt läuft eine Verhandlung gegen fünf enge Mitstreiter und Mitstreiterinnen von Martin Wiese, die sich allesamt kooperationsbereit geben.
Die Beschuldigten
Alle Angeklagten die den Gerichtssaal betraten, kamen nicht aus der Untersuchungshaft, sondern sie befinden sich auf freiem Fuß. Sie waren nur wenige Tage oder Wochen ab September 2003 in Haft. Angesichts der Schwere der Vorwürfe ist das mehr als verwunderlich. Drei der Angeklagten sind Frauen oder Mädchen, die der weitverbreiteten Vorstellung von Naziamazonen nicht entsprechen.
Die 1986 geborene Angeklagte Monika S. vermittelt einen leicht naiven Eindruck, sie sieht gepflegt aus und kuckt, als ob sie keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. In Wahrheit benützte die Angeklagte Monika S. ihre Stelle als Auszubildende bei der Postbank, um linke Personen und Organisationen wie die PDS München für die „Anti-Antifa“ auszuspähen. Von Ihr soll der Vorschlag stammen, sich selbst, um die „nationale Sache“ voranzubringen, mittels einer Bombe am Marienplatz in die Luft zu jagen. Selbstverständlich sollten dabei viele Menschen getötet werden.
Die 19 jährige Angeklagte Ramona S. gehörte zum inneren Kreis um Martin Wiese und war Mitglied der sogenannten Schutzgruppe innerhalb der Kameradschaft. Ramona S. ist durchaus in der Disco vorstellbar. Kein Türsteher würde dem relativ hübschen Mädchen, die noch die Schule besucht, den Zutritt verwehren.
Die 22-jährige Jessica F. hat kurze dunkelblonde Haare und wirkt sympathisch. Die Studentin brach kurz vor Verhandlungsbeginn in Tränen aus und musste von ihrer Anwältin beruhigt werden. Jessica F. ist gebildet und versteht sich auszudrücken.
Ganz im Gegensatz zu dem frisch gebügelten Nazibüblein, dem 19 jährigen schwächlich wirkenden Angeklagten Johann S. Nur der Angeklagte Joachim H. wirkte so, wie sich viele einen Neonazi vorstellen. Der übergewichtige mit einem Stiernacken ausgestattete Angeklagte aus Brandenburg, präsentierte sich dem Gericht mit kahlem Kopf und in ungewaschener Kleidung. Joachim H. soll Martin Wiese Schusswaffen und Sprengstoff mitbesorgt haben. Er gilt, da er geständig ist, als wichtiger Zeuge der Anklage.
Die öffentliche Verhandlung
Das Gericht glich am Mittwoch den 6. Oktober einer Festung. Mehrere scharfe Kontrollen mussten überwunden werden, um in den Gerichtssaal zu gelangen. Auch jeder Pressevertreter wurde durchsucht und gefilzt. Nach der Verlesung der Anklageschrift durch den Bundesanwalt, wollte die Verteidigung die Öffentlichkeit wegen den „Persönlichkeitsrechten“ ihrer jugendlichen Mandanten vom Verfahren ausschließen lassen.
Der Vorsitzende Richter schlug vor, den Antrag zu verschieben und die Angeklagte Jessica S. öffentlich zum Aufbau und zur allgemeinen Struktur der Kameradschaft Süd zu vernehmen. Das Publikum und die Presse erfuhr deshalb durch die Aussage von Jessica S. größtenteils bereits bekanntes. Jessica S. beschrieb ausführlich die Struktur der Kameradschaft Süd. Insgesamt soll die nazistische Gruppe etwas über 50 Personen organisiert haben. Die Anhänger der Kameradschaft wurden über wöchentliche Stammtische instruiert. Besondere Stammtische gab es für jugendliche Interessenten unterhalb des 18. Lebensjahres. Die Angeklagte leitete einen eigenen Stammtisch für Frauen in einem Schwabinger Caféhaus und führte den Frauenbund innerhalb der Kameradschaft. Zudem gehörte Jessica F. dem inneren Kreis der Kameradschaft der Schutzgruppe an. Die Existenz dieses inneren Zirkels sollte geheim bleiben.
Nach der Aussage von Jessica F. bedrohte Wiese jeden mit „Sanktionen“, der über die Sonderformation berichtete. Ein Austritt aus dem „inneren Kern“ war nach den Worten von Jessica F. nicht möglich. Wöchentlich veranstaltete die „Kameradschaft“ paramilitärische Übungen in einem Waldstück in der Nähe der S-Bahnstation Lohof. Nach den Worten der Angeklagten kündigte Wiese an, „dass bald mit scharfen Waffen trainiert würde“. Sie selbst sei „gegen solche Aktionen gewesen, getraute sich allerdings nicht auszusteigen, da Wiese immer drohte und mit seinen guten Kontakten zur Polizei prahlte.
Inwiefern das eine Schutzbehauptung ist, muss die Zukunft zeigen. Auch wirkte die Einlassung „mehr zufällig als Mädchen in die Sache gerutscht zu sein“, mehr als fragwürdig. Dennoch versetzte Jessica F. die im Publikum anwesenden Nazis in Wut. Sie legte die guten Beziehungen zu „Demokratie direkt“ und zur NPD offen. Auch die Burschenschaft Danubia bekam ihr Fett ab. Wiese stellte für NPD-Infostände in München oft seine Mannschaft ab. Genauso sei der Verein „Demokratie Direkt“, dem ein Münchner Stadtrat der Republikaner angehört, mit Wiese verbunden gewesen. Besonders enge Beziehungen sollen zur NPD Niederbayern bestanden haben. Den Führer der Kameradschaft Süd, Wiese, schilderte Jessica F. als „cholerischen, brutalen Menschen“, dessen Ziel „die Wiedererrichtung des nationalsozialistischen Regimes sei“. Aus den Ausführungen von Jessica S. ging auch hervor, dass Martin Wiese intellektuell nicht besonders hoch einzuschätzen sei. Der nazistische Teil des Publikums schäumte bei diesen Aussagen. Es gingen Flüsterparolen um, wie „die muss aufpassen“ usw.
Ausschluss der Öffentlichkeit. Welche Rolle spielt der V-Mann?
Nach der Mittagspause stellte die Verteidigung den Antrag, die Öffentlichkeit vom weiteren Verlauf der Verhandlung auszuschließen. Begründet wurde der Antrag mit der „Jugend einiger Angeklagter“ und der Notwendigkeit, deren „Persönlichkeit“ zu schützen. Nur halbherzig widersetzte sich die Bundesanwaltschaft diesem Antrag. Das Gericht folgte dem Antrag der Verteidigung und schätzte damit das öffentliche Interesse und das „Recht auf Information“ als geringer ein als die „Rechte der Angeklagten“. Der Beschluss wurde von den anwesenden Medienvertretern mit Kopfschütteln kommentiert. Schließlich handelt es sich bei den jugendlichen Angeklagten nicht um potentielle Kaufhausdiebe, sondern um latente nazistische Mörder. Wenn sie schuldig sein sollten und ihre geplanten Anschläge geklappt hätten, was wäre dann mit den Persönlichkeitsrechten der betroffenen jüdischen und deutschen Menschen? Sollte sich die Unschuld der Angeklagten herausstellen, wäre ihr persönliches Ansehen wiederhergestellt.
Die Entscheidung des Gerichts schloss die Öffentlichkeit gerade zu dem Zeitpunkt aus, als es in dem Verfahren an das Eingemachte ging. Nach der Aussage von Jessica F., sollte über die konkreten Terrorakte der Gruppe verhandelt werden. Über Waffen und Munitionsbeschaffung und die geplanten Anschläge auf die jüdische Feierstunde in München und den Anschlag am Marienplatz. Selbstverständlich auch über Logistik und intellektuelle Führung.
Nach allen Erkenntnissen ist der Naziterrorist Martin Wiese keine „Koryphäe der Wissenschaft“. Immer wieder geistert durch die Prozessakten der V-Mann des Verfassungsschutzes, Didier M. Dieser Typ hat in Frankreich eine nazistische Gruppe aufgebaut, deren Führung komplett aus V-Leuten bestand. Fakt ist, dass der V-Mann gemeinsam mit Wiese an einer Waffenbeschaffungsfahrt nach Güstrow beteiligt gewesen ist. Damit hat sich der V-Mann selbst an einer Straftat beteiligt. Derzeit befindet sich Didier M. in einem Zeugenschutzprogramm und wird vom Verfassungsschutz an einem unbekannten Ort versteckt.
Der Ausschluss der Öffentlichkeit aus dem Verfahren könnte bewirken, seltsame Machenschaften staatlicher Agenten in nazistischen Organisationen weitgehend unter Verschluss zu halten. Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum sagte gegenüber dem Magazin Report: „Der V-Mann hat nicht nur mitgemacht, er hat gemacht. Er war in vieler Hinsicht der aktive, der treibende Teil, der Organisator, das Gehirn der Organisation“ ( zitiert nach AZ-7.10.04). Daniel Hechler, der Autor des Report Berichtes sagte gegenüber der AZ: „Der V-Mann hat eine aktivere Rolle eingenommen, als angezeigt gewesen wäre.“ Dies bestreitet selbstverständlich der bayerische Innenminister Beckstein.
Der Ausschluss der Öffentlichkeit aus der Verhandlung könnte vorläufig bestimmten staatlichen Stellen einige Peinlichkeiten ersparen. Anders lässt sich die defensive Haltung der Bundesanwaltschaft zum Antrag der Verteidigung nach „Persönlichkeitsschutz für die Angeklagten“ nicht erklären. In einem Prozess gegen „Linke“ nach Paragraph 129a hätte man sich einen Dreck um die Persönlichkeitsrechte der Beklagten gekümmert. Die Presse ist in München erst wieder zur Urteilsverkündung gegen die Beschuldigten zugelassen. Im Januar beginnt der Prozess gegen Martin Wiese. Dieses Verfahren wird öffentlich sein. Vorläufig jedenfalls.
Editorische Anmerkungen:
Max Brym stellte uns diesen Artikel am 10.10.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.