Materialien 2004

Monika Hohlmeier: „G 8 wird eine Erfolgstory“

Warum beeilt sich Bayern, das achtjährige Gymnasium einzuführen? Welchen Gewinn haben die Schüler davon? Setzen Lehrer Kinder unter Druck, damit sie gegen die Schulpläne demonstrieren? Peter Schmalz sprach mit der Kultusministerin.

Bayernkurier: Viele zeigen sich überrascht über die Sparpläne der Bayerischen Staatsregierung. Muss man um die Qualität der Schulen bangen?

Monika Hohlmeier: Nein. Bildung hat trotz der schwierigen Finanzlage weiter Priorität. Das sieht man deutlich an den Beschlüssen. Die Qualität unserer Schulen bleibt auf einem hohen Niveau. Zudem sind zu Beginn des nächsten Schuljahres sogar zusätzliche Planstellen vorgesehen.

Bayernkurier: Das heißt, Bayern spart, es gibt aber trotzdem mehr Lehrer.

Hohlmeier: So ist es. Wegen der nach wie vor hohen Schülerzahlen stellen wir zusätzliche Lehrkräfte ein – und zwar 380 an der Zahl. Das dürfte wohl in Deutschland einmalig sein.

Bayernkurier: Ist das auf acht Jahre verkürzte Gymnasium, wie jetzt in Kreuth von der Landtagsfraktion grundsätzlich beschlossen, auch eine Sparmaßnahme?

Hohlmeier: Nein, ganz im Gegenteil! Das G 8 ist kein Sparmodell, es ist zu Beginn sogar teurer! Für die Entscheidung, das achtjährige Gymnasium zum Schuljahr 2004/05 einzuführen, sprechen viele Gründe: Erstens sind unsere Absolventen an den Gymnasien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich älter. Zweitens bettet sich das achtjährige Gymnasium in eine generelle Diskussion über kürzere Ausbildungszeiten ein. Das betrifft natürlich auch die Hochschulen. Drittens: Die Ausbildungszeiten werden in den Sozialversicherungssystemen nicht mehr angerechnet, so dass sich jedes Jahr, das den jungen Menschen in ihrer Lebensarbeitszeit fehlt, später finanziell sehr deutlich für sie auswirken wird. Hier nicht zu reagieren, wäre politisch unverantwortlich.

Bayernkurier: Das heißt, die jungen Leute müssten vom G 8, gegen den sie jetzt demonstrieren, eigentlich begeistert sein.

Hohlmeier: Wenn diese Zusammenhänge den Schülern klar werden, werden sie stärker Verständnis zeigen und die Aktivitäten mancher Lehrer mit ganz anderen Augen sehen. In den vergangenen Wochen hat es eine erhebliche Desinformationswelle von Seiten mancher Lehrer und mancher Verbandsfunktionäre gegeben. Dabei ist das achtjährige Gymnasium so konzipiert, dass es ein Qualitätsgymnasium wird und Forderungen erfüllt, die gerade von Seiten der Schüler, der Eltern und auch von Lehrern immer wieder gestellt worden sind.

Bayernkurier: Zum Beispiel?

Hohlmeier: Beispielsweise wird die individuelle Förderung innerhalb der Stundenzahl fest verankert. Die Schule kann dann selbst entscheiden, wie sie diese so genannten Intensivierungsstunden konkret ausgestaltet. Außerdem berücksichtigen wir in der Oberstufe ausdrücklich den Wunsch von Eltern und Lehrern, die Schülerinnen und Schüler deutlich besser auf das Studium vorzubereiten. Heutzutage verlassen Schülerinnen und Schüler oft das Gymnasium und wissen nicht, was sie studieren wollen. Sie kennen weder die Studiengänge noch die Arbeitsweisen, die innerhalb einer Universität notwendig sind. Für diese Vorbereitung ist ein eigener großer Stundenblock vorgesehen, wie es ihn noch auf keinem Gymnasium gegeben hat. Wir erfüllen auch die Forderung, den Lehrplan deutlich zu entschlacken.

Bayernkurier: Das hätte man aber auch mit dem G 9 machen können oder sogar machen müssen.

Hohlmeier: Wir haben beim G 9 aus dem neuen Lehrplan bereits sehr viel Detailwissen herausgenommen und damit deutliche Vorarbeit geleistet. Zudem haben wir den Unterricht didaktisch und methodisch verändert.

Bayernkurier: Bayern war immer stolz auf sein besonders qualifiziertes Abitur. Gibt es künftig auch ein bayerisches „Abitur light“?

Hohlmeier: Es wird in Bayern kein „Abitur light“ geben. Das ist vollkommen abwegig. Das Abitur wird einen hohen Standard behalten, der gewährleistet, dass junge Menschen studierfähig sind. Darüber hinaus gibt es den Weg zu den Hochschulen über die Fachober- und Berufsoberschule. Haupt- und Realschüler erhalten so die Möglichkeit, sich weiter zu qualifizieren. Im nächsten Schuljahr werden wir diesen Weg sogar weiter verstärken, und zwar mit einer 13. Klasse an der Fachoberschule. Wir haben junge Menschen mit unterschiedlichen Begabungen, deren Potenzial wir so bestens fördern können. Das Abitur wird einen hohen Standard behalten, der gewährleistet, dass junge Menschen studierfähig sind.

Bayernkurier: Für eine gute Schule brauchen Sie in erster Linie die Lehrer, die mitziehen. Hat es Sie überrascht, dass gerade die Gymnasiallehrer besonders stark protestieren gegen G 8?

Hohlmeier: Überrascht hat es mich nicht. Wir haben seit vielen vielen Jahren eine Diskussion über das acht- und das neunjährige Gymnasium geführt. Der bayerische Philologenverband hat sich dabei über Jahre hinweg sehr stark für ein neunjähriges Gymnasium eingesetzt.

Bayernkurier: Als einziger in Deutschland?

Hohlmeier: Er blieb letztendlich der Einzige in Deutschland. Alle anderen Länder haben mit ihren Philologenverbänden über die Umstellung auf das achtjährige Gymnasium eine sehr sachliche Diskussion geführt. Ich glaube, dass wir zu einer deutlich sachlicheren und weniger emotionsgeladenen Diskussion kommen, wenn sich die gymnasialen Lehrkräfte die Vorschläge zu den neuen Stundentafeln tatsächlich angesehen haben und die Möglichkeiten erkennen, die sie dann haben werden. Eines muss man aber auch klar sagen: Die Lehrerinnen und Lehrer haben das neunjährige Gymnasium in Bayern zu einem echten Erfolgsmodell gemacht. Wenn sie künftig die verbesserten Möglichkeiten eines neuen achtjährigen Gymnasiums zur Qualitätssteigerung nutzen, dann wird das G 8 eine noch eindrucksvollere Erfolgsstory.

Bayernkurier: Als zweiten Partner brauchen Sie die Träger, zumeist also die Kommunen. Werden sie mitziehen?

Hohlmeier: Wir haben mit den Kommunen schon erste Gespräche geführt und wir werden sie in den nächsten Wochen fortsetzen. Die kommunalen Schulträger haben uns bereits größtenteils gemeldet, dass sie 2004 das G 8 einführen wollen. Auch die privaten Träger haben die Rückmeldung gegeben, dass sie in diesem Jahr starten wollen. Wir werden mit den Kommunen alle Positionen noch einmal durchsprechen, dazu gehören selbstverständlich auch die finanziellen. Ich werde in den nächsten Monaten alle Gymnasien besuchen, dabei können wir auch organisatorische Fragen klären. Dort gibt es ja auch schon seit längerem Diskussionen über Probleme beim G 9. Zum Beispiel, dass wegen Wahlunterricht oder anderen Aktivitäten immer mehr Gymnasiasten an ein oder zwei Nachmittagen Unterricht haben und die Schule Aufenthaltsräume und eine gewisse Versorgung gewährleisten muss. Durch das G 8 ändert sich gar nicht so viel.

Bayernkurier: Hätte man sich für die Entscheidung mehr Zeit lassen sollen?

Hohlmeier: Die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt ist sinnvoll, auch wenn sie in der Schnelligkeit für viele sicher überraschend war. Jeder muss sich die Konsequenzen aus den Diskussionen vor Augen halten, die derzeit in ganz Deutschland geführt werden. Es geht um die sozialen Daten, um die Fragen der Innovationen bei Wissenschaft und Bildung und um die notwendigen Voraussetzungen, damit junge Menschen in Zukunft im globalen Wettbewerb eine Chance haben. Auch angesichts dieser Diskussionen ist die Entscheidung für das achtjährige Gymnasium konsequent und richtig. Deshalb wird das G 8 ein Qualitätsgymnasium sein. Daran wollen wir jetzt gemeinsam mit Eltern und Lehrern arbeiten.

Bayernkurier: Die Proteste gegen das G 8 erinnern an die Aufregung, als die Realschule R 6 eingeführt wurde. Was ist aus diesem Schultyp geworden?

Hohlmeier: Die sechsstufige Realschule ist eine der größten Erfolge in der bayerischen Schulgeschichte. Die Akzeptanz ist so enorm, dass sie fast nicht bewältigbar ist. Interessanterweise ist nicht eingetreten, was die Kritiker erwartet hatten: das Ausbluten der Hauptschule. Die Mittlere-Reife-Züge an der Hauptschule haben sich zu einem großen Erfolg entwickelt. Die Zahlen der Hauptschüler, die über diese Züge an den Hauptschulen zu einem Abschluss in der Mittleren Reife kommen, haben sich verzigfacht. Hatten wir früher drei, vier und später vielleicht fünf Prozent, sind es mittlerweile schon über 20 Prozent der jungen Menschen, die diese Chance nutzen.

Bayernkurier: Nach dem Ergebnissen der Pisastudie müsste man eigentlich mehr Geld in die Bildung stecken. Wie ist das mit dem Zwang zu sparen vereinbar?

Hohlmeier: Dies zu vereinbaren ist natürlich schwierig. Aber die Sparmaßnahmen, die jetzt von der CSU-Fraktion beschlossen wurden, haben ihren Schwerpunkt eindeutig nicht im Bildungsbereich. Wir haben hier eine Sparquote unter zwei Prozent. Derzeit wird gegen die geplante Arbeitszeiterhöhung im Öffentlichen Dienst protestiert. Wohlgemerkt: Dies ist keine Sondermaßnahme nur für die Lehrkräfte, sondern trifft alle Beamten. Wer dagegen protestiert, sollte bei allem Verständnis für bereits bestehende Belastungen bedenken, dass Beamte einen lebenslang sicheren Arbeitsplatz und vom Staat eine gesicherte Pension garantiert bekommen. Sie müssen keine betriebsbedingte Kündigung befürchten. Viele in der privaten Wirtschaft würden gerne sogar 42 Stunden arbeiten, wenn sie nur einen sicheren Arbeitsplatz mit entsprechend hohem Gehalt haben könnten.

Bayernkurier: Was sagen Sie den Lehrern, die im Februar mit einer „Aktion Rotstift“ demonstrieren wollen?

Hohlmeier: Ich sage den Verbandsfunktionären, dass es beschämend ist, Standesinteressen auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen auszutragen. Und zweitens sage ich klar dazu, dass viele engagierte Lehrkräfte dabei sicherlich nicht mitmachen werden. Die meisten Lehrkräfte sind hoch engagiert und setzen sich für die Kinder ein. Mit solchen Aktionen schaden die Verbände den Lehrkräften. Ich meine, wir sollten Verständnis dafür wecken, wie wichtig Bildung ist und dass Schulen gute Rahmenbedingungen brauchen. Aber durch solche Aktionen werden Lehrer diskreditiert, leider auch die, die sich nicht daran beteiligen. Das ist für das Ansehen der Lehrer außerordentlich schädlich und das bedauere ich sehr.

Bayernkurier: Haben Sie Hinweise, dass Lehrer Kinder für den Protest mobilisieren?

Hohlmeier: Wir haben in den vergangenen Wochen leider feststellen müssen, dass insbesondere bei der Diskussion um das achtjährige Gymnasium Kinder und Eltern massiv unter Druck gesetzt worden sind. Dass zum Teil Verbandsfunktionäre und ihnen nahestehende Lehrkräfte deutlich Grenzen überschritten haben: Sie haben sogar Kinder bedrängt, bei Demonstrationen mitzumachen, obwohl die Schüler dies nicht wollten. Es wurden Listen herumgereicht, auf denen stand, dass es künftig im G 8 keine Theatergruppen und keinen Chor mehr geben werde, dass Klassenfahrten gestrichen würden. Das ist völlig falsch!

Bayernkurier: Sie haben also mit einigen Lehrern noch intensiv zu sprechen.

Hohlmeier: Ja, das ist sicher. Es ist erschreckend, wie Kinder unter Druck gesetzt werden. Wir bekommen zum Beispiel e-Mails von Neunjährigen, die klagen, auf dem G 8 Gymnasium müssten sie jeden Tag bis 17 Uhr zur Schule gehen. Anschließend müssten sie noch drei Stunden Hausaufgaben machen und könnten nicht mehr in den Sportverein gehen. Wenn Neun- oder Zehnjährige so verängstigt werden, dann halte ich das für eine der empörendsten Aktionen, die ich jemals erlebt habe.

Bayernkurier: Hier werden Kinder missbraucht?

Hohlmeier: Es ist einfach eine üble Art, so mit den Gefühlen und den Ängsten von Kindern und Eltern zu spielen. Wer versucht, sachlich zu argumentieren, wird gemobbt, so ein Schülersprecher, der in der Öffentlichkeit gesagt hat, er finde das G 8 eigentlich gar nicht schlecht. Daraufhin drohte ihm ein Lehrer: „Wir werden schon dafür sorgen, dass du in der nächsten Zeit nicht mehr dafür bist.“ Solche Repressalien werden unter Umständen aber auch disziplinarische Konsequenzen haben.

Bayernkurier: Ihr Vater wurde von den Linken noch gescholten, wenn er das Wort Elite in den Mund nahm. Erfüllt es Sie jetzt mit Genugtuung, wenn der Kanzler Eliteuniversitäten fordert?

Hohlmeier: Sicher kann ich ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Nur gibt es zwischen meinem Vater und Herrn Schröder einen erheblichen Unterschied. Mein Vater hat dieses Thema konsequent vorangetrieben, der Kanzler benutzt die Diskussion um die Elite ja nur, um von seinen Problemen abzulenken. Grundsätzlich führt aber nichts an der Tatsache vorbei, dass hoch begabte junge Menschen gefördert werden müssen, und zwar in den unterschiedlichsten Bereichen. Wir werden in Kürze ein eigenes Konzept zur Eliteförderung an den Schulen vorlegen. Am achtjährigen Gymnasium werden wir zudem eine völlig andere Form der Zusammenarbeit mit den Hochschulen anbahnen. An den bestehenden Gymnasien haben wir bereits Hochbegabtenzüge. Wir reden halt nicht nur, sondern handeln.


Bayernkurier 4 vom 22. Januar 2004.

Überraschung

Jahr: 2004
Bereich: SchülerInnen

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