Materialien 2011

Kein Ort für Kunst – aber OWiG

Wir leben mitten im Krieg. Deutsche Soldaten nehmen wieder an Kriegen in der Welt teil, dürfen sterben und töten. Wir liefern Waffen und Waffensysteme in alle Welt. München war und ist eine wohllebige Rüstungsmetropole. Derweil werden mit deutschen Waffen Menschen getötet und grauenhaft verstümmelt.

Aber sehen täten wir es doch lieber nicht wollen mögen, gell!

Bilder von zerstörten menschlichen Gesichtern und Körpern wären einfach unappetitlich. Sowas könnt sich leicht auf den Magen schlagen und vielleicht die süßen Träume von einer Idylle stören, die wir uns in dieser netten fetten biedermeierlichen Stadt doch lieber erhalten wollen.

Auf dem Gelände ehemaliger Kasernen in München (an der Schwere-Reiter-Straße) ist eine Wohnschachtel-Idylle entstanden, eng und schnuckelig, ohne gewachsene Struktur, mit gräulicher Architektur und etwas Grün dazwischen. Bestehende Gebäude, die vielleicht kulturell hätten genutzt werden können, wurden – wegen des hohen „Verwertungsdruck“ –abgerissen.

Aber ein bisserl Kultur wollen manche Menschen trotzdem haben.

In einem nichtsnutzigen Restraum unter einer Tiefgarageneinfahrt wurde ein „Schauraum“ für Kunstausstellungen eingerichtet. Nicht weit davon stand noch vor wenigen Jahren ein Denkmal der 4. Panzerdivision für den Nazikrieg 1939 – 45 mit dem Text „Sie zogen aus in die Weiten gleich Rittern, die dem Heer voraus ins Ungewisse reiten“. Daneben befindet sich der fünfstöckige Tiefbunker, in dem sich bis in die 90er Jahre die NATO-Leitzentrale Süd verschanzte und auf Krieg vorbereitete.

In diesem „Schauraum“ zeigte der Künstler Wolfram P. Kastner Kunst gegen Krieg, Bilder, Fotos und eine Installation. Er wurde dazu eingeladen. Die Ausstellung nannte er „Teilen statt Kriegen“ und zeigte unter anderem auch Fotos von verstümmelten Soldaten und Zivilisten mit dem Text „Die Folgen aller Krieg: verkrüppelte, vergewaltigte, verstörte, verwaiste, vereinsamte, verzweifelte, hungernde, obdachlose und qualvoll dahinsiechende Frauen, Kinder und Männer + Milliardenprofite der Rüstungswirtschaft“. Im Format von 18 × 24 cm und 4,25 Meter hinter einem bodentiefen Schaufenster. Einige der Fotos, die von außen durch das Schaufenster sichtbar waren, stammen aus dem 1924 erschienenen Buch von Ernst Friedrich („Krieg dem Kriege“), die im Berliner Antikriegsmuseum 1924 – 1933 gezeigt wurden.

„Diese Fotos können durchaus starke Emotionen hervorrufen und hoffentlich Kinder und Jugendliche davon abhalten, Kriege als harmlose Abenteuer zu verstehen, mit Waffen zu spielen oder Soldat zu werden.“ (Kastner)

Nach der Ausstellungseröffnung gab es eine kontroverse Diskussion, in der zwei Damen des „Kulturteams“, die kurz zuvor die Ausstellung eröffnet hatten, nun behaupteten, durch solche Bilder könnten Kinder traumatisiert werden und sie müssten deshalb versteckt werden.

Kinder kamen weder in die Ausstellung, noch suchten sie durch die Schaufenster nach verstörenden Bildern. Aber in den zwei folgenden Tagen mobilisierten die Damen, die keine traumatisierbaren Kinder haben, Eltern aus der Nachbarschaft, deren Kinder zwar auch nichts gesehen hatten und mit denen die Eltern auch keinesfalls über so ein ungustiöses Thema sprechen wollten.

Ach, die Kindlein müssen herhalten, wenn konservative Erwachsene ihre unsinnigen Ansichten moralisch unterfüttern wollen. Das kennt man von den amerikanischen Grizzley-Moms.

Polizei wurde geholt und konnte nicht einschreiten, weil sie keinen Paragraphen fand. Die Bilder wurden immer wieder zugehängt und nach zwei Tagen baute der Künstler die Ausstellung ab, weil er keinen Bock hatte auf so eine blöde Auseinandersetzung.

„Das ist kein guter Ort für Kunst und offene Diskussion. Da versuchen einige, ihre persönlichen Vorstellungen auf Teufel komm raus durchzudrücken, beschimpfen Andersdenkende als unzurechnungsfähig und als Gewalttäter, setzen sich über polizeiliche Regelungen hinweg und schrecken auch nicht vor Freiheitsberaubung und Zensur zurück. Ihr Traum von einer heilen Welt soll Maßstab für alle sein. Meinungsfreiheit und Freiheit der Kunst haben darin keinen Platz.“ (Kastner)

Soweit so schlecht – aber nicht schlecht genug.

Nach ein paar Monaten schickte die „Hauptabteilung I Sicherheit und Ordnung“ des Kreisverwaltungsreferates der „Kunststadt“ München dem Künstler einen Bußgeldbescheid über 273,50 € wegen einer „vorsätzlich begangenen Ordnungswidrigkeit“ gemäß OWiG.

Oh OWiG(erl)!

„Tatvorwurf: Belästigung der Allgemeinheit“

„Sie haben eine Kundgebungsform gewählt, die sich bewusst nicht in die für das gedeihliche Zusammenleben unserer Rechtsgemeinschaft erforderliche Ordnung einfügt und sind somit in einen groben Widerspruch zur Gemeinschaftsordnung getreten, was eine grob ungehörige Handlung darstellt. Inhalt unserer Gemeinschaftsordnung im Hinblick auf den Umgang mit Kindern und Jugendlichen ist es, diesen ein gewaltfreies Aufwachsen zu ermöglichen.“

Diese Formulierungen verraten den Geist, der dahinter steckt.

Klingt das irgendwie nach „Volksgemeinschaft“?

Nicht Krieg und Waffenproduktion gelten den städtischen OWiGen als Ordnungswidrigkeit, sondern das Zeigen von deren Folgen mit der Absicht, Kriege und Kriegsbegeisterung zu verhindern.

Natürlich hat der Künstler nicht bezahlt. Natürlich hat er Widerspruch eingelegt. Natürlich hat er viel Zustimmung und Verständnis erfahren. Natürlich nicht vom kultursinnigen BurgerKing, von Kulturpolitikern, verbeamteten Akademieprofessoren oder Museumsonkels oder -tanten.

Die städtischen OWiGer scheinen nun viel Zeit zu benötigen, um darüber nachzudenken, ob sie nun die Sache wirklich stur weiterverfolgen und sich tatsächlich vor Gericht blamieren wollen. Vor der Presse haben sie behauptet, sie würden die Sache durchziehen. Wer könnte ihnen einen Funken Verstand schicken?

Inzwischen wurden die angeblich ordnungswidrigen Bilder wesentlich vergrößert in einer Galerie in Berlin (okk-raum), bei einer Kunstaktion auf dem Ku’damm sowie in den Schaukästen einer Galerie (84GHz) in München gezeigt.

Am Föhn allein kann die verlogene regionale Empfindsamkeit nicht liegen, aber woran dann? (Hinweise nimmt die Redaktion dankbar entgegen.)

Prost Biedermeier, prost Idylle!
Prost Gemütlichkeit mitten im Krieg!
Prost SchauraumProvinz ohne Kunst!

Carl Blauhorn
13. Januar 2012


Sammlung Wolfram Kastner

Überraschung

Jahr: 2011
Bereich: Zensur

Referenzen