Materialien 2005
Sieghart Ott
Der 68er APOloge Dieter Kunzelmann bezeichnete ihn als „juristisch ausgefuchsten und in den Künsten bewanderten Verteidiger“. Und so kannten wir ihn auch: Unseren Münchner HU-Rechts-
anwalt Sieghart Ott. Er war ein Mann der ersten Stunde und hat sich gleich einen Namen gemacht durch erfolgreiche Verteidigung der Kunstfreiheit vor allem gegenüber bairischen klerikalen Zen-
surversuchen. Der diente sein dtv-Bestseller aus dem Jahre 1968 „Kunst und Staat. Der Künstler zwischen Freiheit und Zensur“. Schon vorher hatte er im Szczesny-Verlag eine „Dokumentation zur Frage der Schwangerschaftsverhütung und der guten Sitten“ veröffentlicht: „Der Fall Dr. Dohrn“ (1964) und 1967 im Luchterhand-Verlag: „Das Recht auf freie Demonstration“, aus dem dann spä-
ter der zusammen mit Hartmut Wächtler verfasste Kommentar zum „Gesetz über Versammlungen und Aufzüge“ wurde (1996).
Eines seiner gründlichsten, kritischsten und leider nach wie vor aktuellen Bücher erschien 1968 (ebenfalls im Luchterhand-Verlag): „Christliche Aspekte unserer Rechtsordnung“. Jahrelang war Sieghart Ott Mitglied des Ortsvorstands München und musste immer wieder bei kniffligen juristi-
schen Problemen (aber nicht nur bei diesen) helfen. So wollte er verhindern, dass Bürgerinnen in Bayern für das kommerzielle Fernsehen einen sog. „Kabelgroschen“ bezahlen sollten. Mit seiner Klage 1984 bis zum Bundesverfassungsgericht hat er ein Urteil erstritten, das bis heute die Rund-
funkfreiheit stärkt und die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichert. Sieghart Ott war Mitinitiator des Bildungswerks der HU Bayern und lieferte ihr nicht nur die Satzung und manch erheiterndes Bonmot, sondern begeisterte auch als Vortragender. Dass er in allen Vereins-
angelegenheiten erster Ansprechpartner war, versteht sich von selbst angesichts des großen Erfolgs seines dtv-Bandes „Vereine gründen und erfolgreich führen“ (das dieser Tage in 10. Auflage er-
scheint). Und so machten wir ihn denn auch prompt zum Vorsitzenden des VORGÄNGE e.V. In diese Zeitschrift hat er (bis zuletzt) viel Arbeit, Energie und Zeit investiert und hat sich auch jahrelang als „literarischer Maulwurf“ durch die juristische Fachliteratur gewühlt und die VOR-
GÄNGE-Leser über alle wichtigen Neuerscheinungen kritisch und witzig informiert. Jetzt müssen wir ohne seine literarischen Schmankerl, ohne seinen wertvollen Rat, ohne seine tatkräftige Hilfe, ohne seinen juristischen und manchmal auch moralischen Beistand auskommen.
Johannes Glötzner
Mitteilungen der Humanistische Union 189 vom Mai 2005, 15.