Materialien 2005
Bayerische Polizisten als Aufklärer?
Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum niedersächsischen Polizeigesetz auf die geplante Einführung der präventiven Telekommunikationsüberwachung im bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG)
Der PAG-Entwurf der bayerischen Staatsregierung widerspricht in wesentlichen Punkten dem Urteil des BVerfG vom 27. Juli 2005. Er ist auch durch die von Beckstein und der CSU erwogenen „gewissen Modifikationen“ nicht zu retten.
1. Das BVerfG verlangt eine klare Trennung von Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung gemäß der bundesrechtlichen Strafprozessordnung (StPO) und solchen gemäß landesrechtlichem Polizeirecht. Es hält Vorkehrungen zur Verhinderung von Überschneidungen für erforderlich. „Sonst wäre die Telekommunikationsüberwachung im Vorfeld der Vorbereitung, des Versuchs oder der Ausführung unter geringeren rechtsstaatlichen Anforderungen möglich als dann, wenn der Täter schon konkret zur Rechtsgutverletzung angesetzt hat. Ein solches Konzept wäre in sich widersprüchlich.“ (Urteil Rdnr. 110 -112).
Um diesem Widerspruch zu entgehen, müsste das PAG eine eindeutige Vorschrift enthalten, dass präventive polizeiliche Maßnahmen nicht zulässig sind, wenn schon Überwachungsmaßnahmen nach der Strafprozessordnung gegeben sind. Bei einer solchen erforderlichen exakten Trennung würde das PAG aber leer laufen. Schon bei den beiden Hearings im Landtag konnten keine Fälle genannt werden, in denen das PAG zum Zuge käme. Gerade bei den immer wieder genannten terroristischen Aktivitäten oder Handlungen der Organisierten Kriminalität ist die Strafbarkeit und damit die Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung nach der StPO ohnehin weit ins Vorfeld der Vorbereitung und des Versuchsstadiums ausgedehnt.
Dass die CSU die verfassungswidrige Zielrichtung des Gesetzentwurfs für wesentlich hält, zeigt etwa auch die Pressemitteilung der Fraktion vom 27. Juli 2005 zum Karlsruher Urteil, in der der Innenausschussvorsitzende Kreidl u.a. ausführt: „Sicher ist, dass die Polizei insbesondere zur Verhinderung und Aufklärung von terroristischen Mordanschlägen auf neue, vor allen Dingen technische Instrumente angewiesen ist.“ „Aufklärung“ ist aber nun einmal ureigenst mit Mitteln der StPO zu betreiben. Klarer kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass der Polizei eigene Aufgabenfelder erschlossen werden sollen, die nicht mit den rechtsstaatlichen Garantien der StPO versehen sind.
2. Das niedersächsische Gesetz sollte die Datenerhebung durch Telekommunikationsüberwachung und -aufzeichnung „über Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden“ ermöglichen. Darin sieht das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit. Das trifft auf den bayerischen Pass-Entwurf ebenso zu. Zwar heißt es in Art. 34a Abs. 1 Nr. 2 „über Personen, soweit bestimmte Tatsachen die begründete Annahme rechtfertigen“. Zusätzlich sind hier also die Worte „bestimmte“ und „begründete“ gegenüber dem Wortlaut des verfassungswidrigen niedersächsischen Gesetzes eingefügt. Das führt aber nicht zu der vom BVerfG geforderten notwendigen „Konkretheit“ (Urteil Rdnr. 124 – 127). Wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen sollen, heißt das nichts anderes, als dass die Annahme begründet sein muss. Die Formulierung „begründete Annahme“ ist nichts anderes als der „weiße Schimmel“. Im Übrigen hat das BVerfG die im niedersächsischen Gesetz enthaltene Prognose dahin interpretiert, dort genüge „die auf Tatsachen begründete, nicht näher konkretisierte Möglichkeit“ (Urteil Rdnr. 124), dies verstoße aber gegen die Verfassung. Gleiches gilt für die Verwendung des Adjektivs „bestimmte“ vor Tatsachen im bayerischen Gesetzentwurf. Tatsachen unterscheiden sich von Vermutungen u.a. gerade dadurch, dass sie bestimmt sind. Eine Steigerung der Konkretheitserfordernisse wird dadurch nicht erreicht.
3. Bei den unter 1. und 2. sich ergebenden Verstößen gegen die Verfassung kommt es nicht darauf an, welche weiteren Anforderungen des BVerfG durch den PAG-Entwurf verletzt werden. So kommt insbesondere auch der Schutz von Personen der „besonderen Vertrauensverhältnisse“ zu kurz. Sie werden anders als Ärzte, Anwälte, Journalisten und andere in § 53 StPO genannte Berufsgruppen nicht schon bei der Erhebung der Daten geschützt. Diese gegenüber der Rechtsprechung des BVerfGs beabsichtigte Verschiebung der Schutzwürdigkeit ist nur dadurch zu erklären, dass die Staatsregierung vor den zu Recht lautstarken Protesten der Berufsverbände eingeknickt ist.
Fazit: Trotz Bekundungen von Beckstein, Herrmann, Kreidl und des von mir in vielen anderen Angelegenheiten geschätzten Datenschutzbeauftragten Vetter würde ein bayerisches Gesetz die rechtsstaatlichen Garantien der Strafprozessordnung – für die immer noch die grundlegende Ansicht von Wissenschaft und Justizpraxis gilt, die StPO sei „angewandtes Verfassungsrecht“ – unterminieren. Das ist deshalb gefährlich, da dies auch für andere zentrale Grundrechte, etwa das Briefgeheimnis, Folgen haben könnte. Dahinter steht ganz allgemein die Bestrebung, aus vordergründigen Zweckmäßigkeitsüberlegungen das Justizorgan Staatsanwaltschaft zugunsten der Polizei zurückzudrängen. Würde andererseits der PAG-Entwurf im Sinne der Kernaussagen des BVerfG geändert, wäre es eine bloße symbolhafte Aktion, die Handlungsfähigkeit vortäuscht, in Wirklichkeit aber nur Ängste verstärkt.
Dr. Klaus Hahnzog
Mitteilungen der Humanistische Union 190 vom September 2005, 3.