Materialien 2005
Repressionen gegen das Radioballett
Am ersten Münchener Radioballett, der letzten Vorfeldaktion gegen die NATO-Sicherheitskonfe-
renz 2005, nahmen am 9. Februar in der Fußgängerzone 200 – 300 AktivistInnen teil.
Das Radioballett ist eine Performance, bei der, über kleine Radios mit Kopfhörern koordiniert, voneinander unabhängig agierende Einzelpersonen synchron Bewegungen in der Grauzone zwi-
schen ungewöhnlich und unerwünscht durchführen.
Es fällt somit unserer Ansicht nach nicht unter das Versammlungsgesetz und wurde nicht als Ver-
sammlung angemeldet. Zudem ist es auch Teil des Konzeptes dieser Aktionsform, dass Ort, Zeit und Handlungen selbst bestimmt werden können und nicht mit den Behörden abgesprochen und genehmigt werden müssen. So können wir Inhalte an die Orte und Menschen bringen, die wir er-
reichen möchten; auch dorthin, wo dies im Rahmen einer angemeldeten Demo nicht möglich ist. Wir können durch die Gleichzeitigkeit unserer Bewegungen und Handlungen das Paradoxon von Gleichschaltung und Individualisierung in unserer Gesellschaft thematisieren oder zumindest dar-
stellen. Wir können über die so gestiftete Verwirrung einen Interessenskanal für unsere Inhalte schaffen, die wir mit Hilfe von Flyern und themabezogenen Bewegungen vermitteln.
Die Staatsmacht war massiv in Zivil anwesend, beschränkte sich aber zum größten Teil auf das Ab-
filmen der Aktivistinnen. Wir wissen nur von einer Personalienfeststellung, die mit angeblicher Beleidigung der NATO (sic!) begründet wurde.
Insgesamt war das Ausmaß der Repression gegen diese Aktion ungewohnt, ja unerwartet niedrig. Schließlich hatte noch am Vormittag desselben Tages das Kreisverwaltungsreferat bei Radio Lora München angerufen und angekündigt, dass die Polizei das Radioballett verhindern werde, weil es als unangemeldete Versammlung zu sehen sei. Auf das großzügige Angebot, die „Versammlung“ spontan noch anzumelden, wollten wir selbstverständlich nicht eingehen, weil die Aktion mit den Auflagen des KVR nicht mehr nach unseren Vorstellungen durchführbar gewesen wäre. Stattdes-
sen wurde kurzfristigst ein Fax mit der vorsorglichen Ankündigung unserer KUNSTaktion an das KVR geschickt.
Dennoch nahm die Polizei im Nachhinein Ermittlungen wegen Abhaltung einer unangemeldeten Versammlung gegen den Unterzeichner besagten Faxes und presserechtlich für die Sendung „Ra-
dioballett“ Verantwortlichen auf. Die Polizei rief im Verlauf der folgenden Wochen mehrmals bei Radio Lora an. Der offensichtliche Zweck davon war, zu erfahren, wer das Radioballett organisiert hatte. Es wurde unter anderem nach dem Moderator der Sendung und dem DJ gefragt. Der Mitar-
beiter von Radio Lora, der die Telefonate mit Herrn Müller von der Kripo angenommen hatte, gab an, die CDs während der Sendung „Radioballett“ selbst aufgelegt zu haben. Daraufhin wurde er telefonisch aufgefordert, zu einer Zeugenaussage ins Polizeipräsidium zu kommen. Nachdem sich diese Anrufe als nicht sonderlich erfolgreich herausstellten, forderte die Polizei, die Personalien des Radio Lora Mitarbeiters per Fax übermittelt zu bekommen. Es wurde damit gedroht, „eine Streife im Sendestudio vorbei zu schicken“, wenn sie die Personalien nicht bekäme. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen ließ die Polizei auch den Beschuldigten vorladen. Nachdem den Vorla-
dungen nicht Folge geleistet wurde, stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren Anfang April ein.
Die Staatsanwaltschaft sieht das Radioballett zwar als Versammlung, stellte das Verfahren nach eigenen Angaben jedoch ein, weil es eine kurze Aktion gewesen sei und niemand zu Schaden ge-
kommen wäre.
info der Roten Hilfe e.V., Ortsgruppe München vom Mai 2005, 7, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.