Materialien 2006

Bundesvorsitzender von ver.di kündigt gemeinsame Aktionen aller Gewerkschaften an

Protestveranstaltung in der 12. Streikwoche

4.000 Streikende von ver.di und der Polizeigewerkschaft GdP, sowie des Verbands Deutscher Straßenwärter und der Deutschen Polizeigewerkschaft DPolG (beide im Beamtenbund dbb) hatten sich am 4. Mai bei strahlendem Sonnenschein zur Protestkundgebung auf dem Odeonsplatz versammelt. Hintergrund ist der mittlerweile zwölf Wochen dauernde Streik im öffentlichen Dienst der Länder gegen die 40- (in Bayern gegen die 42-)Stunden-Woche und die Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Allein in Bayern sollen durch die Arbeitszeitverlängerung 11.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut werden.

Eingeleitet wurde die Veranstaltung von der „Biermösl Blosn“, die mit einigen Liedern die Stimmung anheizte. Sie wüssten, so einer der Well-Brüder, was alles hinter einer Bühne gemacht werden müsse, und gute Arbeit solle auch gut bezahlt werden. Den Intendanten der bayerischen Staatsoper, Sir Peter Jonas, lobten sie für seine offenen Worte zu Finanzminister Faltlhauser. Der Hauptredner der Protestveranstaltung, ver.di-Bundesvorsitzender Frank Bsirske, griff die Verhandlungsführer der Länder an, die im März sehr deutlich gemacht hätten, dass sie eigentlich gar keinen Abschluss wollten. Heute träfen sich in München die Finanzminister der Länder wieder, um erneut über die Frage der Aufnahme von Verhandlungen nachzudenken. Mit dem Verweis auf den Einnahmeausfall von 160 – 170 Millionen € durch den seit März bestehenden flexiblen Streik an den Uni-Kliniken nannte Bsirske dies eine „teure Denkpause“. In Hamburg stünden die Schleusen still, in Bremen würde seit Wochen kein Kfz mehr zugelassen, in NRW türmten sich die Akten in den Gerichten, das Saarland habe Kredite aufnehmen müssen, da die Finanzkasse keinen Zahlungsverkehr mehr abwickle und in München habe der Streik der Kfz-Werkstätten dazu geführt, dass Polizisten immer öfter mit der S-Bahn zum Einsatz fahren müssten. Die Verhandlungsführer der Länder wollten die Auseinandersetzung im öffentlichen Dienst zu einer „Pilotauseinandersetzung“ machen, um längere Arbeitszeiten in der gesamten Volkswirtschaft durchzusetzen. Ihr Ziel sei auch die Schwächung des Tarifsystem insgesamt, nach dem Motto „Wir kommen ohne Tarifvertrag auch ganz gut zurecht“. Dabei behandelten sie den öffentlichen Dienst wie ein preußischer Junker sein Landgut. Deshalb gehe es „um die Behauptungsfähigkeit unserer Organisation“, deren Sinn ja gerade darin bestehe, sich die Arbeitsbedingungen nicht diktieren zu lassen.

Während die Arbeitgeber von leeren Kassen redeten, würden sie zugleich die „Ärsche der Vermögenden Jahr für Jahr mit Millionen pudern“. Der Verhandlungsführer der Länder, der niedersächsische Finanzminister Möllring, habe im Landesfinanzamt dreihundert für Unternehmen zuständige Betriebsprüferstellen abgebaut, von denen jede einzelne den Staatskassen jährlich über 1 Millionen € bescherte. Obwohl Deutschland die niedrigste Steuerquote in Europa habe, würden weitere Entlastungen der Unternehmen vorbereitet. Bei der Arbeitslosenquote liege Deutschland bereits an vierter Stelle in Europa, und es sei doch „Schwachsinn“ bei 4,8 Millionen Arbeitslosen Arbeitszeit zu verlängern und Arbeitsplätze abzubauen. Bsirkse ging auch auf das Problem prekärerer Verhältnisse ein. Besonders im Pflegebereich seien befristete Arbeitsverträge inzwischen der Normalfall, und keine andere Branche in Deutschland habe soviel befristete Arbeitsverhältnisse wie der öffentliche Dienst. Angestellte mit Teilzeitverträgen lebten oft schon am Existenzminimum und könnten weitere Lohnkürzungen nicht mehr verkraften. Positive Signale gingen derzeit von den Ministerpräsidenten Beck und Platzeck aus, die einen Interessensausgleich für möglich erklärt hätten. Wenn jedoch die Verhandlungsführer nicht zur Vernunft kämen, so würde es zu gemeinsamen Aktionen aller Gewerkschaften kommen. Dies kündigte auch der Verhandlungsführer der dbb-Tarifunion, Frank Stör, an. Darüber hinaus kritisierte Stör Möllrings Angebot von dreißig Prozent Lohnerhöhung an den Marburger Bund als Spaltungsversuch. Ärzte sollten so gegen Pfleger ausgespielt werden. Jetzt gelte es weiter zu kämpfen, bis zu einem Tarifabschluss.

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Münchner Lokalberichte 10 vom 11. Mai 2006, 3 f.