Materialien 2006

„Papst gsehng?“

Bericht über eine gelungene Aktion, die gestört hat

Die mit überraschender Presseresonanz angekündigte „Papst gsehng? Religionsfreie Zone Mün-
chen“ hatte am 10. September um 16 Uhr im Kulturzentrum GASTEIG ihre Pforten geöffnet. Ne-
ben den Referaten rund um die Finanzen der Kirchen (Dr. Carsten Frerk/Hamburg), zur Notwen-
digkeit der Blasphemie im aufgeklärten Staat (Dr. Michael Schmidt-Salomon) und dem Religio-
nen-TÜV (Prof. Dr. Günther Kehrer) kam auch die Kultur nicht zu kurz. Für die Sinne zuständig waren der Tiger Willi, Hanns Christian Müller & Band und als besonderes Highlight Sigi Zimmer-
schied. Umrahmt wurde die Veranstaltungsreihe von Bücher- und Info-Tischen und einer kleinen Karikaturen-Sammlung, in der u.a. auch Zeichnungen von Janosch zu sehen waren, von dem ver-
mutlich viele ahnungslose Mütter gar nicht wissen, dass er ein „gstandner“ Atheist ist.

Drei Tage verweilte die „Papst gsehng? Religionsfreie Zone München“ im GASTEIG und zog am 13. September mit dem Motto „Freie Liebe für Freie Geister“ weiter in Münchens ältestes Programm-
kino, das MAXIM! Dort wurden an den folgenden drei Tagen unanständige Filme gezeigt, die quasi der Fingerzeig sind zur Diskussion um katholisch geprägte, verklemmte, bigotte Sexualmoral, wie sie von Benedikt XVI. aktuell immer noch gepredigt wird!

Abschluss des unchristlichen Treibens bildete am 16. September in der Kleinkunstbühne „Wirts-
haus im Isartal“ die „Heidenspass-Party“ unter dem Motto ‚Heidenspass statt Höllenqual’, das zum Weltjugendtag in Köln 2005 von der Giordano-Bruno-Stiftung eingeführt wurde. Es spielten „Wui-
de Wachl“ und „HEILIG“, scheinheiliger Rock vom Feinsten – ein echter Ohrenschmaus!

Leicht amüsiert betrachten die Organisatoren das Vorgehen des parteifreien Münchner Stadtrates Norbert Feil. Der findet es nicht tragbar, dass die hundertprozentige Tochtergesellschaft der Stadt München – Kulturzentrum GASTEIG – den Raum für derart unchristliches Treiben bietet. Mit schriftlicher Anfrage an die Stadt München mochte er in Erfahrung bringen, wie es dazu kommen konnte, wie es insbesondere parallel zur Messe des Papstes am 10. September dazu kommen konn-
te und ob womöglich die Stadt sich hier finanziell beteiligen würde! Obwohl der bfg München den Verwaltungsweg zur Auskunftserteilung abkürzen könnte, überlässt er es der Stadt München, die passende Auskunft von Amts wegen zu geben!

Der bfg München verzeichnet positive Resonanz durch Neumitglieder und steigende Interessen-
ten-Zahl. Positive Resonanz lässt sich auch verzeichnen für den bayerischen Rockmusiker und Kabarettisten Georg Ringsgwandl (Träger des bayerischen Kabarettpreises 2006 in der Sparte Musik). Sein Lied „Papst gsehng“ (aus Anlass des letzten Besuches des vorherigen Papstes in Mün-
chen) produziert, wurde mit seiner ausdrücklichen Genehmigung vom bfg München als Veranstal-
tungsmotto eingesetzt. Diese Tatsache brachte das Lied wieder ins Bewusstsein vieler Zuhörer/in-
nen und außerdem Autor Ringsgwandl in Form eines großen Interviews rund ums Thema Lied und Papst in die Süddeutsche Zeitung. Auch der von der Presse wegen seiner über weite Strecken kir-
che- und religionskritischen Kabarett-Programme vielgeschmähte Sigi Zimmerschied wurde im Vorfeld als „Mitglied der Religionsfreien Zone“ mit einem ausführlichen Interview in der Süddeut-
schen Zeitung bedacht. Das auf der Religionsfreien Zone München 2006 aufgeführte Programm „Spottlibet“ läuft aktuell im Fraunhofer-Theater in München – Hingehen!

Der Aktionskünstler Wolfram P. Kastner, der mit der vom bfg München unterstützten und finan-
zierten Aktion „Papa-Spaziergang“ (ein kirchlicher Würdenträger und ein Hitler gehen durch München in Anspielung auf das heute noch gültige Konkordat von 1933) am 6. September durch Polizeigewalt an der Durchführung gehindert wurde, erhielt kurz darauf eine Anzeige wegen „Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung“, wegen des „Verdachts der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes“ und wegen des „Missbrauchs von Zeichen“. Weiterhin in Konflikt mit Justitia ist der vom bfg München gesandte Verteiler des „Konkordat-Flugblattes“, der zunächst vor Ort in Handschellen zu Boden ging und am Verteilen gehindert wurde. Auch er hat bereits eine Anzeige erhalten. Der bfg München unterstützt Wolfram P. Kastner und unseren Flugblatt-Verteiler bei ihren juristischen Auseinandersetzungen.

Auch Petra Perle, stadtbekannte Kabarettistin und quirlige „Chefin“ des berühmten Turmstüberl im „Valentin-Karlstadt-Musäum“ hat Ärger bekommen. Als Nonne verkleidet und mit Demo-Schildern auf einer Rikscha unterwegs, wurde sie kurzfristig durch die Polizei betreut. Dietmar Holzapfel, Besitzer der „Deutsche Eiche“, musste seinen CSD-Motto-Wagen mit Papst-Persiflage aus dem Verkehr ziehen und geht ebenfalls juristisch dagegen vor. Landtagsmitglied Adelheid Rupp hatte öffentlich bekundet, dass sie die offizielle SPD-Linie in Sachen Papstbesuch nicht teile. Dies hat über Franz Maget (bayerischer SPD-Landeschef und Initiator von „Kirche und SPD“) und Christian Ude (Oberbürgermeister der Stadt München) zu einem Streit über den SPD-Standpunkt geführt. Und der bfg München hat selber auch noch Ärger: Am 15. September wurde uns die Klage der Kripo München wegen Verstoßes gegen das Pressegesetz zugestellt („V.i.S.d.P.“ wurde auf einem der zahlreichen, in ehrenamtlicher Arbeit erstellten Dokumente vergessen).

Die Bilanz: für uns „Gottlose“ war die Presse-Resonanz höchst erfreulich, gemessen an unseren sonstigen Möglichkeiten, in der Presse erwähnt zu werden. In Zusammenhang mit unseren Akti-
vitäten anlässlich des Papst-Besuches sind wir von einigen wenigen Journalisten tatsächlich ent-
deckt worden, es gab Berichte über uns und unsere Aktionen zu lesen, zu sehen und zu hören. Insgesamt betrachtet ernüchternd ist und bleibt die Tatsache, dass ausgerechnet beim Besuch Ratzingers sich die große Mehrzahl der Journalisten der Hof-Berichterstattung hingegeben haben. Es erscheint der Organisatorin der „Papst gsehng?“ – Religionsfreie Zone München 2006 fast un-
wirklich, dass ausgerechnet Ratzinger, Sinnbild für tiefst rückständige, undemokratische und gar nicht zeitgemäße Positionen, es geschafft hat, kaum eine Kritik aufkommen zu lassen bei seinem Besuch in Bayern im 21. Jahrhundert! Wo immer er zwischen 1980 und 1990 im Süden der Repu-
blik aufgetreten ist, sind Tausende von Menschen gekommen, um gegen ihn zu protestieren – überwiegend Katholiken sogar! Vermutlich gilt gerade auch für die Berichterstatter: „Denn sie wissen nicht, was sie glauben“ (Franz Buggle) …

Assunta Tammelleo


Mitteilungen der Humanistischen Union 195 vom Dezember 2006, 25 f.

Überraschung

Jahr: 2006
Bereich: Religion

Referenzen