Materialien 2007

Der ahnungslose Herr Schmid

Ungeziefer-Vergleich
von Sebastian Fischer und Florian Gathmann

Es war wohl nur ein sprachlicher Fauxpas: Münchens CSU-Oberbürgermeister-Kandidat Schmid hat auf dem Parteitag davon gesprochen, die Stadt zu entlausen. Gemeint war die rot-grüne Regierung. Für einen Nazi hält ihn niemand, die SPD bezweifelt, dass er für das OB-Amt taugt.

München/Hamburg – Die rund tausend Delegierten sind an diesem Samstag noch ein bisschen verschlafen. Am Vortag haben sie bis spät in die Nacht den 66. Geburtstag ihres scheidenden Par-
teichefs Edmund Stoiber gefeiert, eben haben sie die auf CSU-Parteitagen traditionellen geistlichen Worte vernommen.

Und jetzt redet Josef Schmid. Der Mann ist 39 Jahre und möchte im März Oberbürgermeister von München werden, der roten Bastion in Bayern, seit 1993 beherrscht vom SPD-OB Christian Ude. Und weil der Parteitag in seiner Heimatstadt München stattfindet, darf Schmid reden.

Das rot-grün regierte München steckt der CSU wie ein Stachel im schwarzen Bayernland. Und das mag sich wohl auch Josef Schmid so gedacht haben: „Ude und Rot-Grün sind wie die Made im Speck der CSU oder wie die Laus in der Mähne des bayerischen Löwen“, ruft er am Schluss seines Grußwortes: „Es ist höchste Zeit, dass wir mit der Entlausung des bayerischen Löwen beginnen!“

Begriff aus der Nazi-Sprache erschreckt

Entlausung? Der Begriff aus der Nazi-Sprache erschreckt die, die zugehört haben. Einst schickten NS-Schergen die Juden unter dem Vorwand der „Entlausung“ in die Gaskammern der Konzen-
trationslager. Sie mordeten mit dem Giftgas Zyklon B, das in den zwanziger Jahren eigentlich für Schädlingsbekämpfung entwickelt worden war.

Für den Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler ist Entlausung „eigentlich ein Ausdruck aus der Sozialhygiene“, er stamme aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Wehler sagte SPIEGEL ONLINE: „Ich sehe das also in erster Linie nicht als spezifisch nationalsozialistischen Ausdruck – aber auf der zweiten Ebene schon: Die Degradierung des politischen Gegners als Ungeziefer, das ist eine typische NS-Denkfigur. Auch das Vernichten des Gegners.“ Außerdem, findet er: „Diese Biologis-
men sind auch ganz typisch für die Sprache des Antisemitismus.“

Als der Ungeziefer-Spruch am Samstag in der Parteitagshalle die Runde macht, handelt Schmid: „Sofern und soweit sich jemand durch das sprachliche Bild beleidigt oder verletzt fühlt, entschuldi-
ge ich mich hierfür.“ Ihm sei nicht klar gewesen, dass der Begriff von der Entlausung als Ruf nach der Vernichtung des politischen Gegners verstanden oder mit dem Nationalsozialismus in Verbin-
dung gebracht werden könne.

Bei seinen „inhaltlichen Aussagen“ aber bleibe er, betont Schmid später in einer Mitteilung: Er habe „in einem sprachlichen Bild“ zusammenfassen wollen, dass OB Ude und die rot-grüne Stadt-
regierung in der Vergangenheit wichtige Projekte – etwa die neue Messe oder den Tunnelbau der Stadtautobahn – zu verhindern gesucht, sich dann aber nach Fertigstellung „in deren Licht ‘ge-
sonnt’„ hätten, so Schmid. Dies entspreche dem „Bild der ‘Made im Speck’„.

SPD: „Charakterlich ungeeignet“

Dagegen sagte der Berliner Historiker Paul Nolte SPIEGEL ONLINE: „Es ist schon erstaunlich, wie weit das begriffliche Unwissen geht – oder die Ignoranz.“ Ihm falle „bei solchen Sätzen“ nur ein „tiefer Seufzer“ ein. Allerdings: „Das ist sicher kein Skandal, aber schon bezeichnend.“

Die Münchner „Abendzeitung“ derweil nennt Josef Schmid den „Skandal-Seppi“, der Münchner SPD-Chef und Landtagsfraktionsvorsitzende Franz Maget bezeichnet ihn als „charakterlich unge-
eignet“ für das Amt des Oberbürgermeisters: „Wer so spricht, disqualifiziert sich selbst und hat unter anständigen Demokraten – egal welcher Parteizugehörigkeit – nichts verloren.“ Und Mün-
chens OB Christian Ude sagt der „Süddeutschen Zeitung“: Selbst ein „unerfahrener und unbe-
kannter Politiker, der unbedingt auch einmal in die Zeitung kommen will, kann nicht erwarten, dass man ihm eine solche Entgleisung durchgehen lässt“.

Goebbels-Vergleiche und die „durchrasste Gesellschaft“

Marian Offmann, Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde München und CSU-Stadtrat, sagt: „Das, was Josef Schmid gesagt hat, ist missverständlich und falsch – das hat er aber auch eingestanden.“ Schmid werde den Ausdruck von der Entlausung „sicher nie mehr wiederholen“. Der OB-Kandidat sei „meilenweit davon entfernt, ein Nazi zu sein“, so Offmann zu SPIEGEL ONLINE: „Ich würde sonst nicht mit ihm auf einer Liste kandidieren.“

Offmann fordert nun von beiden Seiten – Rot-Grün und Schmid – Schaden von der Stadt abzu-
wenden: „Sie sollten sich zusammensetzen und das Problem aus der Welt schaffen.“ Öffentliche Diskussionen würden dem Erreichten schaden: „Wir haben es in den letzten Jahren gemeinsam geschafft, München – der ehemaligen ‘Hauptstadt der Bewegung’ – ein neues Antlitz zu geben.“ Offmann nennt beispielhaft die neue Synagoge, das jüdische Gemeindezentrum und Museum sowie das geplante NS-Dokumentationszentrum.

Schmid gehöre einer Generation an, „die mit den Begrifflichkeiten der NS-Zeit nicht mehr vertraut ist“, nimmt Offmann den Kandidaten in Schutz. Dies zeige auch, dass in den Schulen beim Thema Nationalsozialismus die Ausbildung verbessert werden müsse: „Der Holocaust scheint für jüngere Generationen manchmal so weit weg wie der Dreißigjährige Krieg.“

Affärengeschüttelte Münchner CSU

Schmid, der bisher einen guten Wahlkampf führte, tritt für eine Münchner CSU an, die in den letz-
ten Jahrzehnten nicht aus den Negativ-Schlagzeilen herauskam: Da war ab 2001 die Affäre um Mitglieder- und Stimmenkäufe, in deren Folge die Strauß-Tochter und Ministerin Monika Hohl-
meier als Münchner CSU-Chefin zurücktrat. Da war im Jahr 2002 CSU-OB-Kandidat Aribert Wolf, der über eine Plakat-Affäre stürzte: „Terrorzellen in München. Und die Stadt zahlt die Miete. Schluss mit dem städtischen Schmusekurs.“ Hintergrund war allein, dass die Stadt München einem Libyer mit Kontakt in die islamistische Szene zweitweise Sozialhilfe gewährt hatte.

Josef Schmid ist nicht der erste deutsche Politiker, der sich mit Bezügen zum Dritten Reich ins zeitgeschichtliche Abseits gestellt hat: So musste der CDU-Politiker Philipp Jenninger nach seiner Rede zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht 1988 als Bundestagstagspräsident zurücktreten. Er hatte NS-Vokabular benutzt – ohne sich sprachlich davon zu distanzieren.

Die SPD-Politikerin Hertha Däubler-Gmelin wiederum stolperte über einen Vergleich mit Adolf Hitler: Sie soll in einer Rede vor der Bundestagswahl 2002 den Angriffskrieg auf den Irak als Trick von US-Präsident George W. Bush dargestellt haben, um von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken: Eine „beliebte Methode seit Adolf Hitler“ war dies für die damalige Bundesjustizmini-
sterin – nach der Wahl war sie ihren Job los. Anderes Beispiel: der ehemalige CDU-Politiker Mar-
tin Hohmann. Nachdem der Bundestagsabgeordnete aus Fulda in einer Rede zum Tag der Deut-
schen Einheit 2003 im Zusammenhang mit dem Judentum den Ausdruck „Tätervolk“ gebraucht hatte, schloss ihn zunächst die Unionsfraktion aus, schließlich auch die CDU.

Manche kamen glimpflicher davon: Helmut Kohls Satz über den damaligen SPD-Bundestagsprä-
sidenten Wolfgang Thierse, dieser sei „der schlimmste Präsident seit Hermann Göring“ (gehört von zwei SPIEGEL-Redakteuren im Bundestags-Restaurant) blieb 2002 folgenlos. Der damalige SPD-
Chef Willy Brandt hatte 1985 den damaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler mit Goebbels verglichen, ebenfalls folgenlos: „Ein Hetzer ist er, seit Goebbels der schlimmste Hetzer in unserem Land“, sagte Brandt – weil Geißler die SPD als „fünfte Kolonne“ Moskaus bezeichnet hatte. Ed-
mund Stoiber (CSU) kam ebenfalls davon, als er im November 1988 im Gespräch mit Journalisten laut „Süddeutscher Zeitung“ die Befürchtung äußerte, der SPD-Politiker Oskar Lafontaine wolle „eine multinationale Gesellschaft auf deutschem Boden, durchmischt und durchrasst“.

Auch Lafontaine sorgte für Aufsehen

Lafontaine wiederum sorgte im Bundestagswahlkampf 2005 als Linke-Spitzenkandidat für Auf-
sehen: Weil der Staat verpflichtet sei, seine Bürger zu schützen, müsse er verhindern, „dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“, sagte er bei einem Auftritt in Chemnitz. Die Empörung über den Ausdruck Fremdarbeiter war groß, blieb aber folgenlos.

Auch fernab der politische Bühne lauern Fallstricke. Jüngste Beispiele: Die Fernsehjournalistin Eva Herman verlor kürzlich ihren Job als NDR-Moderatorin, weil sie sich bei einer Buchvorstel-
lung über die Wertschätzung der Mütter und Familien auch im Nationalsozialismus und über die Abschaffung solcher Werte in der 68er Bewegung ausgelassen hatte. Der Kölner Erzbischof Joa-
chim Kardinal Meisner dagegen kam ungeschoren davon, als er vor einigen Wochen von einer „Entartung“ der Kultur sprach, sobald diese den Gottesbezug verliere.

Wie geht es weiter mit Josef Schmid in München? Er hält an seiner Kandidatur fest. Für den Don-
nerstag hat die SPD den Fall auf die Tagesordnung des Stadtrats gesetzt, Schmid selbst hat heute noch Entschuldigungsschreiben an Ude und die Fraktionen von SPD und Grünen rausgeschickt. Historiker Wehler meint, der Satz von der Entlausung „garantiert mit Sicherheit die Wiederwahl von Herrn Ude“. Schmid habe sich „als Kandidat für das Oberbürgermeisteramt der drittgrößten Stadt Deutschlands disqualifiziert“.

Spiegel-online vom 1. Oktober 2007


www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,508804,00.html.

Überraschung

Jahr: 2007
Bereich: CSU

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