Materialien 2007
Das ist ein Aufruf zum Widerstand
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Toepsch: Sie sind sozusagen der Bürgerinitiativenfachmann, wenn ich Sie so nennen darf. Vor fast einem Jahrzehnt haben Sie nämlich in der Schweisfurth-Stiftung einen Vortrag gehalten mit der Überschrift „Last exit Bürgerinitiative“. Das ist ein Aufruf zum Widerstand: wogegen?
Klühspies: Das ist ein Aufruf zum Widerstand gegen die ganz allgemeine Entwicklung der Globalisierung und des Börsensystems. Da muss ich vielleicht doch etwas weiter ausholen. Wir hatten alle nach dem Krieg diese Idealvorstellung, dass wir uns von nun an nicht mehr gegenseitig die Köpfe einschlagen wollen, dass wir vielmehr eine geeinte Welt bilden wollen. Wir hatten die hehre Vorstellung des Weltbürgers und …
Toepsch: Aber die Globalisierung bedeutet doch, dass man miteinander Handel treibt und dass man quasi das babylonische Sprachgewirr überwindet: Das ist doch eine Chance, oder?
Klühspies: Ja, das wäre schön. Unsere Politiker waren ja nach dem Krieg von diesen hehren Vorstellungen auch recht angetan. Aber man muss sich natürlich darüber im Klaren sein, dass man 189 Nationen nicht so schnell unter einen Hut bekommt. Also haben unsere Politiker, die diese Idee vertreten haben, sich gesagt: „Gut, wenn das politisch so schnell nicht geht, dann lassen wir das doch zuerst einmal die Wirtschaft machen.“ Die Wirtschaft hat das sofort aufgegriffen, hat also die Globalisierung auf wirtschaftlichem Gebiet herbeigeführt.
Toepsch: Das ist doch eine Chance, oder?
Klühspies: Ja, das wäre eine Chance. Aber indem die Wirtschaft diese Globalisierung durchgesetzt hat, bestimmt sie nun auch, dass die Politik sie dabei nicht mehr stören darf. Sie ist dazu leider auch in der Lage, denn die Macht unserer Regierungen – sei das die deutsche, die französische oder sonst eine Regierung – endet an den Grenzen des jeweiligen Landes. Die Wirtschaft jedoch agiert global. Das heißt, wenn wir heute eine Regierung hätten, die z. B. den Umweltschutz als oberste Priorität verkünden würde, dann würde die globalisierte Wirtschaft nur sagen: „So, aber das berührt uns gar nicht. Dann ziehen wir halt die Arbeitsplätze ab und gehen dorthin, wo es billiger ist.“
Toepsch: Das passiert ja.
Klühspies: Ja, das passiert am laufenden Band. Die Regierungen wären ja im Grunde genommen viel mehr bereit, in eine vernünftige Zukunft zu investieren. Aber sie werden gegeneinander ausgespielt von der Wirtschaft, die sich die Globalisierung unter den Nagel gerissen hat. Insofern ist diese Globalisierung ins Auge gegangen, denn sie hätte zuerst einmal politisch durchgesetzt werden müssen.
Toepsch: Sie sagen also, die Wirtschaft bestimmt die Spielregeln und die sind ins Auge gegangen. Warum?
Klühspies: Die Spielregeln sind nun der Shareholder-Value, das heißt, es geht nur mehr um die Gewinnabschöpfung. Die Betriebe, die international, also global firmieren, wollen den höchsten Gewinn haben, und zwar zum Tagespreis. Die interessiert nicht, was morgen ist.
Toepsch: Aber es wird doch dann auch immer von so genannten Selbstverpflichtungen gesprochen.
Klühspies: Ja, wir haben erst kürzlich wieder so eine Selbstverpflichtung entdeckt. Es wollte sich nämlich die Autoindustrie selbst verpflichten, gewisse Werte einzuhalten. Was ist herausgekommen dabei? Wenn ich dieses Wort „Selbstverpflichtung“ höre, dann stehen mir die Haare zu Berge!
Toepsch: Sie hatten innerhalb dieses Vortrags auch die Zwischenüberschrift „Ein Weltkrieg ganz anderer Art“. Was heißt das?
Klühspies: In dieser Auseinandersetzung, in der im Grunde genommen jeder gegen jeden steht, tritt folgende Situation ein. Wir werden nicht zukunftsgerichtet investieren und planen, sondern wir werden planen, wie es der betreffenden Wirtschaft zugute kommt. Wir werden also den Autoverkehr nicht so sehr reduzieren, wir werden auch die Rüstung nicht so sehr reduzieren. Wir bauen z.B. einen „Jäger 90“, der den größten Teil unseres Verteidigungsetats auffrisst: Das ist ein Kampfflugzeug, von dem mir noch kein Fachmann, noch kein Politiker sagen konnte, wer denn der mögliche Gegner wäre, gegen den wir dieses Flugzeug einsetzen müssen und gegen den die heute bereits vorhandenen Waffen nicht reichen würden. Aber diese Investition leisten wir uns. Dieses Geld wird also jedes Jahr immer wieder verpulvert, dabei würden wir es an anderer Stelle viel notwendiger brauchen. So wird also nicht gefördert, was richtig und notwendig wäre, sondern was ins System passt. Weil das so ist, wird, wenn ich das so pauschal sagen darf, der Westen seine Rüstung immer noch stärker vorantreiben. Wir sind ja gerade wieder in einer solchen Phase. Wir werden in der internationalen Auseinandersetzung unsere Mittel nicht einsetzen, um die groben Ungleichheiten zu beseitigen, sondern um unsere Sicht der Dinge mit Gewalt durchzusetzen. Denken Sie nur einmal an Afghanistan, an Pakistan: Wir verteidigen unsere Freiheit am Hindukusch und vergessen, dass wir sie eigentlich ganz woanders verteidigen müssten.
Toepsch: Wo?
Klühspies: Wir müssten sie z.B. in der Frage verteidigen, wie man die Ungleichheiten dieser Welt einigermaßen in den Griff bekommen kann. Ich muss ja nur einmal daran denken, dass die USA jährlich 400 Milliarden für den Krieg in Afghanistan und im Irak ausgeben. Da frage ich mich doch: Das ist mehr, als sämtliche Nationen der Welt für den Umweltschutz tun und für die Entwicklungshilfe. Beim Umweltschutz und in der Entwicklungshilfe geht es immer nur um Millionenbeträge, während hier Milliarden verpulvert werden. Das zeigt doch, dass wir uns in einem Irrenhaus befinden. Wir glauben dabei auch noch, dass wir auf der anderen Seite der Mauer wären. Die Wahrheit ist jedoch, wir sind mittendrin.
Toepsch: Was kann da eine Bürgerinitiative tun?
Klühspies: Das ist der Gegenpol zur Globalisierung. Ich habe ja vorhin gesagt, dass es den nationalen Regierungen nicht mehr gelingt, die Globalisierung sozialverträglich zu gestalten, weil ihre Macht an den jeweiligen Staatsgrenzen endet. Das heißt, von dieser Seite brauchen wir uns keine Hilfe mehr erwarten. Was jedoch möglich wäre – und ich gebe zu, dass das nur eine schwache Hoffnung ist, weil das wirklich sehr idealistisch gedacht ist: mit den gleichen Waffen zu kämpfen, mit denen die internationale Industrie kämpft. Denn die Wirtschaft kann sich ja innerhalb von Sekunden z.B. über die Börsennotierungen und die entsprechenden Computer usw. weltweit verständigen. Jemand, der z.B. in China sitzt, kann an der New Yorker Börse spekulieren, weil er sofort alle Werte übermittelt bekommt. Diese Methode könnten sich Bürgerinitiativen ebenfalls zu eigen machen: z.B. durch einen internationalen Zusammenschluss, der auf einem gemeinsamen Nenner angesiedelt wäre. Dieser Nenner hätte mit Religion usw. nichts zu tun, sondern würde nur den Willen ausdrücken: „Wir wollen leben, wir wollen am Leben bleiben!“ Die Bürgerinitiativen könnten sich also ebenfalls weltweit zusammenschließen und sich über das Internet verständigen. Wenn z.B. wieder einmal irgendwo ein Tanker strandet und die ganze Küste verseucht, dann könnte sofort gesagt werden: „Dieses Produkt kaufen wir nicht mehr! Bei dieser Firma tanken wir nicht mehr!“ Auf diese Weise könnte jedes Mal ein Boykottverfahren zustande kommen, das selbst die größten Konzerne in die Knie zwingen könnte. Ich sage absichtlich „könnte“, denn ich bin mir durchaus bewusst, wie abgehoben das eigentlich von der Realität ist, von der allgemeinen Gleichgültigkeit, in der die Menschen leben, und ihrer Hoffnung, dass es schon irgendwie weitergehen wird.
Toepsch: Sie waren immer Ihrer Zeit voraus – wir jedoch sind mit unserer Sendezeit am Ende. Das war ein Aufruf zum Widerstand von Karl Klühspies. Herr Klühspies, vielen Dank für das Gespräch und für diese Anstiftung zum Widerstand.
Klühspies: Ich bedanke mich für die Einladung.
Toepsch: Das war das alpha-forum, heute war bei uns Karl Klühspies zu Gast, Architekt und Städteplaner. Auf Wiedersehen, auf Wiederhören, vielen Dank fürs Zuschauen und bis zum nächsten Mal.
Karl Klühspies, Stadtplaner, im Gespräch mit Gabi Toepsch
www.br-online.de/alpha/forum/vor0706/20070615.shtml, – α-forum, Sendung vom 15. Juni 2007, 20.15 Uhr.