Materialien 2008
Rede zum Ostermarsch am 22. März 2008 auf dem Marienplatz
Liebe Münchnerinnen und Münchner,
unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung wird seit spätestens dem 11. September 2001 ein massiver Abbau demokratischer Grundrechte betrieben, der inzwischen so weit geht, dass man bereits vom Phänomen von rechtsfreien Räumen sprechen muss.
Diese Diskussion dürfte es in einem Rechtsstaat, der seinen Namen verdient, eigentlich gar nicht geben. Dennoch stehen seither Menschenrechte, Freiheits- und Bürgerrechte, die Genfer Flücht-
lingskonvention und andere grundlegende Normen unseres Rechtssystems zur Disposition. Die Terrorbekämpfung in der Form, wie sie betrieben wird, führt zur Abkehr von Freiheits- und Bür-
gerrechten, zu immer mehr Einschränkungen von Grundrechten hin zu einer Demontage des Rechtsstaats unter teilweise Aufhebung rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien bis hin zu einem vollkommen rechtsfreien Raum. Regelmäßig erreichen uns die immer neuen Ideen aus dem Hause Schäuble, die zu den bereits existierenden Einschränkungen aus der RAF-Zeit über die sog. „Otto-Kataloge“ hinzukommen und in immer rasanterem Tempo geboren werden.
Die Tendenzen dieser Politik der inneren Sicherheit sind:
- Jedermannskontrollmassnahmen (Schleppnetz-, Schleier-, Rasterfahndung, Videoüberwa-
chung, Kfz-Kennzeichen-Kennung)
- Heimliche Ermittlungseingriffe (TKÜ, Lauschangriff, online-Durchsuchung)
- Inanspruchnahme öffentlicher Dritter (TK-Unternehmer, Post, Bank, Kreditkartenunter-
nehmen, Flugunternehmen)
- Aufhebung der Trennung von Polizei – Geheimdiensten – Militär (Antiterrordatei, BKA-Gesetz, Bundeswehreinsatz im Inneren wie z.B. Tornadoeinsatz)
- Es gibt umfassende Ausweitungen bei der Datenerhebung, Datenspeicherung, Datenweiter-
gabe und Datenverknüpfung verbunden mit Kompetenzerweiterungen und -verknüpfungen.
Regelmäßig sind Klagen gegen diese neuen Gesetze vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich.
Zumindest in Teilbereichen wird der Politik bescheinigt, dass sie in vollkommen unzulässiger Weise die Einschränkung von Grundrechten betreibt, die nicht mehr hinzunehmen ist. Erst vor wenigen Tagen wurde ein Teil des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesver-
fassungsgericht sogar in einem Eilverfahren gestoppt. Ein Instrument, das äußerst selten und nur bei ganz offensichtlichen Verstößen eingesetzt wird.
Aber was bewirken diese Entscheidungen des obersten deutschen Gerichtes? Dass sich Bundesin-
nenminister, Bundesjustizministerin und auch Bayerns Ministerpräsident hinstellen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sogar begrüßen, sich als Sieger gerieren, weil nicht gleich das ganze Gesetz in Bausch und Bogen für nichtig erklärt wurde, sondern zumindest in Teilbereichen hingenommen wurde, um anschließend sofort die nächste grundrechtswidrige Entscheidung vorzubereiten – vollkommen unbeeindruckt von den Rügen des Gerichts.
Aber auch das ist noch nicht genug:
Wenn der Staat mit Mittel, die ihm durch die Gerichte noch erlaubt wurden, nicht weiter kommt, dann findet angebliche Terrorbekämpfung auch in vielfältiger Form außerhalb jeglichen rechtli-
chen Rahmens statt.
Die offensichtlichste Form ist das Gefangenenlager der USA Guantanamo Bay auf Kuba, in dem seit Januar 2002 mehrere hundert Menschen festgehalten werden, zum einen unter vollkommen menschenrechtswidrigen Bedingungen, unter Folter in jeder Form, aber auch ohne jeglichen recht-
lichen Rahmen: ohne Anklage ohne Verteidigung, als „ungesetzliche Kombattanten“ einer Katego-
rie von Gefangenen, die in der GFK so nicht vorgesehen ist. Murat Kurnaz wurde 5 Jahre in diesem Lager festgehalten, obwohl die deutsche Regierung nachweislich die Möglichkeit gehabt hätte, Kurnaz mindestens 2 Jahre früher frei zu bekommen, wenn sie nur gewollt hätte. Statt dessen wurde ihm sogar die Aufenthaltserlaubnis entzogen, um eine Wiedereinreise zu verhindern, ob-
wohl sogar die USA ihm bescheinigt hatte, dass ein Terrorverdacht nicht besteht!
Guantanamo ist jedoch kein Einzelfall, sondern nur eine besonders krasse Ausgestaltung von einer Vielzahl von illegalen Maßnahmen, die unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung nicht nur von den USA sondern auch mit Unterstützung europäischer Regierungen und Behörden, u.a. der BRD durchgeführt werden. Illegale Festnahmen, Verschleppungen und Entführungen, Folter, Abschöpfen von Vernehmungsergebnissen, die unter Folter zustande gekommen sind, sind nicht länger Machenschaften von Diktaturen im fernen Afrika, sondern sind inzwischen Mittel einer angeblichen Terrorbekämpfung in den Vorbild-Rechtsstaaten Europas und der USA.
Vollzogen wird das durch das sog. rendition-Programm der CIA, den Überstellungen, die die Ent-
führung von Menschen und Verbringung an geheime Orte bedeuten, zur Informationsgewinnung, zu deren Zweck sie verhört und gefoltert werden.
Das in Deutschland prominenteste Opfer dieses Programms ist wohl Khaled el Masri, ein deut-
scher Staatsangehöriger, der im Dezember 2003 in Mazedonien verhaftet und von der CIA über Bagdad nach Kabul gebracht wurde. Im Juni 2004 kehrt er nach Deutschland zurück. Bis heute hat sich die deutsche Politik geweigert, ihre Verantwortung an dieser Tat zu übernehmen und versuch-
te dem Untersuchungsausschuss Lügen über Lügen aufzutischen. Erst nach langen Ermittlungen und viel Druck wurden gegen die CIA-Agenten, die dieses Entführung durchgeführt hatten, Haft-
befehle ausgestellt. Auf die Auslieferungsbegehren an die USA warten wir aber bis heute noch.
Aber auch Khaled el Masri ist kein Einzelfall. Vermutlich mehrere 100 Personen sind vom rendi-
tion-Programm der CIA betroffen. Am Vollzug sind auch europäische Staaten – auch Deutschland – in unterschiedlicher Weise beteiligt. Auf europäischen Flughäfen und im europäischen Luftraum – auch im deutschen – sind Menschen ungesetzlich verhaftet und verschleppt worden. In Polen und Rumänien sollen CIA-Geheimgefängnisse betrieben worden sein. In Italien wurde Hassan Mustafa Osama Nasr entführt. In Schweden wurden zwei Asylbewerber abgeschoben in dem sie amerikanischen Spezialeinheiten übergeben werden, die sie dann misshandelt und weiter ver-
schleppt haben. Die Länder reagieren unterschiedlich. Bislang hat lediglich Bosnien-Herzegowina zugegeben, an einer Rendition-Aktion beteiligt gewesen zu sein. In Italien wurden Haftbefehle ausgestellt. In Deutschland ein Untersuchungsausschuss eingerichtet.
Das was in den letzten Jahren mit tatkräftiger Unterstützung der Presse in mühevoller Kleinarbeit scheibchenweise ans Licht gekommen ist, hätte sich wohl niemand von uns auch in den kühnsten Verschwörungstheorien vor fünf Jahren noch träumen lassen und man kann sicher sein, dass es sich dabei nur um die Spitze eines Eisbergs handelt.
Dabei handelt es sich um Entwicklungen, die dringend unseren Widerstand benötigen, die wir nicht einfach hinnehmen dürfen. Aber auch das sollen wir künftig nicht mehr dürfen:
Mit einem Entwurf zum neuen Versammlungsgesetz möchte Bayern eine Vorreiterrolle spielen in der weiteren Einschränkung von Grundrechten. Unsere Rechte, gegen diese Zustände zu protes-
tieren und zu demonstrieren sollen massiv eingeschränkt werden. Hier muss der angebliche Kampf gegen Rechtsradikale herhalten, dem angeblich die Einschränkungen des Versammlungsrechts dienen soll. In Wahrheit aber sollen wir mundtot gemacht werden, sollen wir noch weiter einge-
schränkt werden und nicht mehr eingreifen und stören.
Stören in einem Staat, dem rechtsstaatliche Garantien, Menschen- und Bürgerrecht, Freiheitsrech-
te nicht mehr wichtig sind, sondern nur ein Hemmschuh auf dem Weg zum Sicherheits- und Über-
wachungsstaat.
Das werden wir uns nicht gefallen lassen.Wir werden auch weiterhin demonstrieren und protes-
tieren – lautstark und umfassend.
Vielen Dank
Angelika Lex, Rechtsanwältin