Materialien 2008

Rede am 30. April 2008

Liebe Freundinnen und Freunde, werte Münchnerinnen und Münchner,
Genossinnen und Genossen, sehr geehrte Damen und Herren!

Es ist dieser Tage viel die Rede von einem kleinen, unterdrückten Volk, dessen karges, aber beschauliches Leben im abgeschiedenen Hochland durcheinander gebracht und über alle Maßen erschwert wird von der zentralen Staatsmacht, die diese Menschen in den Bergen unterdrückt, ihnen ihre Traditionen nehmen und ihnen ihre Kultur austreiben will. Da brennen Barrikaden, da werden Geschäfte geplündert, da wird ein regelrechter Aufstand niedergeschlagen, empörte, protestierende Menschen reihenweise verhaftet und verprügelt und getötet, da rollen Panzer durch die Straßen, es herrscht der Ausnahmezustand. Da werden schnelle Prozesse gemacht, und die Ruhe und Ordnung wird auf brutalste Weise wiederhergestellt. Da hat man keinerlei Sympathien mit den Mächtigen, – und das Herz schlägt zweifellos und reflexartig für die Aufständischen.

Es ist wie beim gallischen Dorf und mit den Römern. Sie sind die Besatzungsmacht, und sie sind saublöd. Unsensibel, geschichtslos, dekadent. Sie sind nur deshalb mächtig, weil sie eine riesige durchorganisierte Militärmaschinerie auffahren und damit technisch überlegen sind. So befinden sich also gelernte Asterix-Leser, Medienkommentatoren und der allgemein menschliche Gefühlshaushalt und Erregungszustand auf einer Wellenlänge. Den offiziellen Verlautbarungen der Staatsregierung wird keinerlei Glauben geschenkt, während der Repräsentant des kleinen Volkes nicht müde werdend der Gewalt abzuschwören dafür als Friedensfürst, als Versöhnungsgott, als beliebter Talkshowgast ebenso wie als hoch verehrter Gastredner von Großveranstaltungen durch die westliche Hemisphäre gereicht wird.

Viele unserer hiesigen Politiker drängeln sich nach einem wahlkampfwirksamen Pressefoto mit ihm und suchen seine Nähe. Halt, sagt da der gewitzte bayerische Ministerpräsident, nicht ganz, nicht immer. Nicht mit jedem! Niemals würde er sich auf diese Gefängnisinsel begeben zum Handschlag bei einer Audienz mit Abdullah Öcalan. Niemals! – Eher werde er in diesem Fall zu einer chinesischen Lösung neigen und diese Terroristen, die diese PKK Anhänger nun mal alle per definitionem sind, mit härtester Gangart zur Ordnung zwingen, ihre seltsamen Sitten und Gebräuche wie Newroz-Feste polizeilich drangsalieren lassen, dem türkischen Staat Waffen, Polizeiausbilder und alle erdenkliche bayerische Amtshilfe angedeihen lassen zur brutalstmöglichen Unterdrückung von deren Autonomie- und Separationsbestrebungen.

Beckstein hat all die Jahre aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht und alle christlichen und sozialen Bedenken und Skrupel erst gar nicht aufkommen lassen, welche die Tibet-Sympathisanten heute so umtreiben. Beckstein hat als Innenminister immer die schärfstmögliche Linie gefahren gegen die Kurden und ihren Freiheitskampf, und hat mehrfach in Interviews betont, dass er auch jetzt als Ministerpräsident nicht gedenke den gütigen Landesvater abzugeben. Wer ihn kenne, wisse, welch harte Gangart er immer vertreten habe, und man solle sich in ihm nicht täuschen.

Da hat er ausnahmsweise einmal völlig recht. Man soll sich nicht täuschen lassen von Politikern. Auch nicht, wenn sie es mal opportun finden, mit tibetischen Mönchen zu sympathisieren, Straßenaufruhr gut und gerecht zu finden, oder die Albaner im Kosovo zu beglückwünschen zu ihrer einseitigen staatlichen Lostrennung von Serbien. Politiker finden es am nächsten Tag oder zur gleichen Zeit wieder völlig in Ordnung, wenn die Basken untergebuttert werden, und dann wieder super, wenn die Tschetschenen gegen Russland Selbstmordattacken durchführen und dann wieder böse, wenn Iraker dasselbe tun oder – noch schlimmer – Afghanen gegen die deutsche Besatzungstruppe.

Deutsche Politiker dürfen keine Grundsätze haben. Sie dürfen Meinungen haben, Einschätzungen, das ginge gerade noch an, aber keine Überzeugungen, das machte sie politikunfähig. Das ist auch der Dreh- und Angelpunkt in den Vorwürfen gegen die Linke: sie sei wegen ihrer starren Haltung gegen jederlei Kriegspolitik eben politikunfähig. Politik sei nun mal leider ein schmutziges Geschäft, und die Ultima Ratio sei der Krieg. Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Jedenfalls im Verständnis jedes Imperialisten, seit Clausewitz. Wer gegen Krieg nicht nur mal ausnahmsweise, wenn mal grad nichts zu holen ist oder weils anders vielleicht sogar geräuschloser geht, votiert, sondern grundsätzlich gegen imperialistische Aufrüstung, gegen Waffenlieferungen, gegen Militärinterventionen, gegen die Entsendung von Folterspezialisten eingestellt ist, der gilt in diesem Land als nicht politikfähig bei den Herrschenden und ihren Geschäftsführern, bei Regierenden wie Parlamentariern.

Verpflichtet sind sie nur ihrem Gewissen. Und darum kümmern sich die Lobbyisten. Wie gut fühlt sich das an für den deutschen Gutmenschen, auf der Seite der kleinen, geschundenen Leute zu sein, und umso entschiedener gegen die starken, rücksichtslosen, mächtigen Herrschenden. Beide müssen nur weit genug weg sein, am liebsten außerhalb Europas. Obwohl auch das nicht grundsätzlich zutrifft. Bloß keine Grundsätze außer Profit! Bei ethnischen Konfliktlagen entscheidet die jeweilige politische Situation, also das so genannte deutsche Interesse, und das ist gewöhnlich das der Industrie, der Banken und Konzerne, ob es gerade in den Kram passt, ein guter Mensch zu sein und minderheitsfreundliche Überzeugungen zu vertreten oder andersherum eher der Aufrechterhaltung der Staatsraison die Stange zu halten, zumindest der vornehmen Nichteinmischung in innere Angelegenheiten das Wort zu reden. Und das bestimmt allein das Außenministerium, und in den Bundesländern, die (noch) keine ganz eigenständige Außenpolitik verfolgen (dürfen), ersatzweise das Innenministerium.

In Bayern war das Günter Beckstein. Der sensible Franke, der fern seiner Heimat inmitten des Großstadt-Dschungels der oberbayerischen Diaspora säuerlich zu beklagen wusste, sich auf dem Nockherberg wie in einer Veranstaltung von Menschenfressern gewähnt zu haben, als er derbleckt wurde. Tja, seltsame Rituale bei diesen Bergdeutschen! Und ausgerechnet noch derbleckt von einem Mönch! Nein, die Rede ist nicht von Tibet, obwohl die Beschreibung darauf passt. Die Rede ist von Kurdistan. Und da ist Herr Beckstein allemal und ohne Umschweife für Unterdrückung.

Dort herrscht nach wie vor der Ausnahmezustand, und gelegentlich wird die Verfolgungsjagd des türkischen Militärs bis auf irakisches Staatsgebiet vorgetragen, unter wohlwollender Duldung der NATO-Partner. Weil die Türkei schließlich der Südostpfeiler dieser NATO ist. Da darf es an der Grenze nicht bröckeln. Da darf es kein Kurdistan geben. Da werden sogar deutsche Panzer geliefert zur Aufstandsbekämpfung.

Tibet darf es, soll es, muss es geben. Gibt es ohnedies, aber sollte es möglichst ganz unabhängig geben. Kosovo, darf, ja muss es geben dürfen, aber ein Baskenland wieder nicht. Die Korsen stören auch nur, und die Iren in Nordirland schon seit langem und überhaupt: Wo kämen wir hin, wenn Flamen und Wallonen, Bayern und Preußen, … obwohl, das passte der offiziellen bayerischen Europa-Politik der Regionen wieder ganz gut ins Konzept. Also wird ausgewürfelt: die UCK wurde vom Westen unterstützt gegen die Serben, die Taliban wurden vom Westen finanziert, ausgerüstet und an die Regierung befördert – gegen die damalige Sowjetunion, Saddam Hussein wurde hofiert und waffentechnisch unterstützt – gegen den Iran. In Afrika, in Südostasien und in Südamerika gab und gibt es kaum einen Diktator, der ohne westliche Hilfe an die Macht gelangt wäre oder sich an der Macht gehalten hätte. Die Freundschaft zwischen dem König von Togo und dem ehemaligen CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten Franz Strauß ist legendär, ebenso sein freundschaftlicher Staatsbesuch beim chilenischen Junta-Chef Pinochet. – Jaja, die bayerische Staatsregierung macht ihre Außenpolitik – notfalls eben als Innenpolitik.

So fiel es der Münchner Staatsanwaltschaft neuerdings ein, einem Staat, der, von Militärs beherrscht, allein die Erwähnung der Pogrome von 1921 gegen die Armenier als Beleidigung des Türkentums ahndet, in vorauseilendem Beistand bei der Kurdenverfolgung soweit behilflich zu sein, dass sie allein die Forderung nach Freilassung Öcalans mit seinem Konterfei als kriminellen Akt verfolgen lassen will – nicht in der Türkei wohlgemerkt, sondern in Deutschland, genauer gesagt in Bayern, hier in München.

So wurde kürzlich ein Straf-Ermittlungsverfahren eingeleitet gegen Träger eines solchen Posters. Die bayerische Staatsregierung macht türkischere Politik als sie einräumen will, wenn es um die EU-Mitgliedschaft der Türkei geht. Die lehnt sie lauthals ab, vor allem aus rassistischen, vorgeblich aus wirtschaftlichen und kulturellen Gründen. Aber unterdrückungstechnisch lässt sie sich nicht lumpen. Sowas könnte die türkische Justiz auch nicht eifriger verfolgen, allenfalls härter bestrafen. Die türkischen Gefängnisse sind voll von Menschen, die nichts anderes verbrochen haben als für die Rechte und Belange der KurdInnen einzutreten: Aktivisten, Journalisten, Politiker, auch gewählte Parlamentarier. Du musst nur den Namen Kurde oder Kurdistan erwähnen, und schon bist du im Konflikt mit dem türkischen Strafrecht. Kurden gibt es offiziell gar nicht, darf es gar nicht geben. Es gibt allenfalls einen Konflikt mit ihnen, aber es gibt sie nicht im öffentlichen Diskurs, schon gar nicht als Volksgruppe.

Vielleicht gibt es auch keine Armenier, keine Aleviten. Wahrscheinlich auch keine Tibeter. Man muss sich nur für einen Augenblick vorstellen, wie irrwitzig diese Rechtsauffassung ist, indem man sie gedanklich auf Deutschland übersetzt: Man stelle sich vor, es gäbe hierzulande ein Gesetz, wie Neonazis es sich wünschen würden: Wer vom Holocaust spricht, beleidigt das Deutschtum. Charlotte Knobloch säße im Gefängnis, weil sie die deutschen Verbrechen an den Juden angeprangert hätte.

Alle würden sagen, und vielleicht auch der Herr Beckstein: Unrechtsstaat – welch Schande – ein solches Gesetz! Weg damit! Würde er – will ich jedenfalls hoffen. Und er würde, als ausländischer Regierungschef, niemanden ausliefern oder abschieben in ein solches Land, in dem ein Jude derartige Verfolgung befürchten müsste. Würde er, hoffentlich.

Bei den Kurden tut er das nicht. Die lässt er gnadenlos kriminalisieren und abschieben, liefert sie aus. Obwohl er um die Rechtsordnung in der Türkei weiß und von den Zuständen in den Gefängnissen und von dem Justizwesen dort zumindest eine vage Ahnung haben könnte, und sei es nur aus der mitfühlenden Berichterstattung hiesiger Boulevardpresse über die immerhin dreivierteljährige Untersuchungshaft jenes spätpubertierenden deutschen Jungen, der angeblich mit einem etwas frühreifen britischen – amtsärzlich bescheinigt jungfräulichen – Mädchen intimen Körperkontakt gelegentlich eines Urlaubsflirts gehabt haben soll, der ihm von dessen allzu tugendhafter Mutter als Vergewaltigung angelastet wurde. Nein, Herr Beckstein weiß das sicher, was es heißt, den türkischen Justiz- und Militärbehörden in die Hände zu fallen, aber er schiebt seinen Rechtsorganen keinen Riegel vor. Er lässt weiter abschieben. Er könnte auch ein Moratorium verhängen, und Abschiebungen in Kriegsgebiete und in Folterstaaten generell aussetzen. Nein, das tut er nicht. Für Katholiken im Irak – vielleicht. Nicht aber für die Kurden.

Er wollte noch nie den Gutmenschen spielen, weder als scharfer Innenminister noch als Ministerpräsident, seine Ausländerpolitik war und ist weder christlich noch sozial, sondern ein einziger Skandal. Jetzt will die bayerische Justiz eine kurdische Familie auseinanderreißen und den Vater, der seit 27 Jahren in Deutschland lebt, in die Türkei abschieben. Dazu soll er von seiner Familie getrennt und in ein Lager eingewiesen werden, um ihn jederzeit in der Hand zu haben für eine Deportation. Und die Familie soll für seinen Lebensunterhalt in der staatlichen Unterkunft auch noch aufkommen. Welch ein Hohn! Und was sagt der soziale Christ Beckstein dazu? Sagt er irgendwas? Bisher ist mir nichts bekannt. Dabei müßte er lauthals aufschreien, der soziale Christ, der selbst so ungern unter die Menschenfresser gerät, vor Empörung, und müßte erklären: Unrecht! Niemals lasse ich meine Beamten so etwas exekutieren!

Ich würde mich gern eines besseren belehren lassen, was die Menschlichkeit der CSU-Regierung anbelangt, aber bisher hat ihre Politik eher das Gegenteil signalisiert: Härte, Macht, außenpolitisches Kalkül, vorbehaltlose Unterstützung der türkisch-nationalistischen Kurdenverfolgung ohne einen Funken von Kritik, und im humanitären Einzelfall auch gnadenlose Unmenschlichkeit. Es wird allerhöchste Zeit, dass diese CSU-Regierung verschwindet wie Transrapid und Rauchverbot.

Nicht, dass dann alles besser oder gar in Ordnung wäre. Aber es würde die Kampfpositionen verbessern für die Beendigung dieser rassistischen Staatsraison, die ja auch andere Nationalitäten betrifft und nicht zuletzt auch unsere. Denn wer den türkischen Nationalismus unterstützt und befördert, kann auch den deutschen Nationalismus nicht bekämpfen. Und dieser Nationalismus, dieses Drecksgebräu, das uns die Augen verkleben und die Ohren beträufeln soll, stopft uns auch selbst das Maul. Es lässt uns zu Schergen bei Pogromen werden oder tatenlos dabei zusehen, es entrechtet und entwürdigt nicht nur die Adressaten des rassistischen Terrors, sondern auch uns selbst, es führt uns in katastrophale Kriege und befähigt uns zu den schlimmsten Verbrechen.

Jeder, der vom Würgegriff des Nationalismus befallen ist, kann nicht nur zum Täter, sondern auch zum Opfer seiner eigenen Unmenschlichkeit werden. Wer sich zum Komplizen des Unrechts macht, wie sollte der sich selbst vor Unrecht schützen? Wer Menschen ihre Würde abspricht, entwürdigt sich damit auch. Wer seinesgleichen entrechtet, richtet sich selbst. Ist es nicht geradezu würdelos angesichts der eigenen Geschichte, wenn deutsche Behörden schon deshalb eine demokratische Entwicklung in der Türkei beobachtet haben wollen, weil der Strafparagraph über die Verunglimpfung des türkischen Staates zur Disposition steht? Während gleichzeitig die so genannte Beleidigung des Türkentums weiterhin unter strengste Strafandrohung gestellt bleiben soll?

Ich erspare mir historische Vergleiche. Es ist einfach menschenverachtend und politisch gewollt instinktlos, einem Folter-Staat Demokratisierungstendenzen zu attestieren, nur weil er einen der vielen Unrechtsvorwände fallen zu lassen beabsichtigt, um international besser dazustehen. Das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus hat – auch schon in den 90ern als Münchner Bündnis gegen Rassismus – immer solidarisch an der Seite der Kurdinnen und Kurden gestanden und gekämpft gegen die Kriminalisierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, und ist dadurch selbst öfter zum Gegenstand staatlicher Repression geworden. Wir stehen auch heute solidarisch an der Seite all jener, deren einziges Verbrechen ist, Kurden zu sein, und denen vorgeworfen wird, für die Kurden Partei zu nehmen.

Der 24. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hat in der Abweisung seiner Klage dem Familienvater Mahmut Yilmaz, 44, vorgeworfen: „Es mag durchaus sein, dass der Kläger – auch im Hinblick auf das drohende Ausweisungsverfahren – nicht mehr öffentlich für die kurdischen Vereinigungen in Erscheinung tritt, jedoch hat er selbst niemals erklärt, dass er sich von den Belangen der Kurden distanziere, und dass er sich von der früheren Unterstützung der Bestrebungen der oben genannten Vereinigungen abgewendet hat.“

Er soll sich also nicht nur nicht betätigen, sondern vielmehr abschwören, sich von den Belangen der Kurden distanzieren! Dass er das nicht tut (sich von seiner ethnischen Identität distanzieren), genügt dem Gericht zu unterstellen, dass (wörtlich!) „er sich auch weiterhin nicht an die Vorschriften im Bundesgebiet halten wird.“ Da fehlen mir alle weiteren Worte. Außer einem vielleicht: Auch nach langer Nacht kommt der Tag!

Wolfgang Blaschka
Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus


www.gegen-krieg-und-rassismus.de.