Materialien 2008
Tagebuch-Auszüge
… 6. Februar …
„Ja sauber,“ sagt der Hasenbergler, der am Aschermittwochmorgen ins Ladenzentrum tappt, um sich seine Semmeln zu besorgen. Der „Mathäser“ ist weiträumig abgesperrt; Einsatzkräfte patrouillieren. Der Mann reibt sich verwundert die Augen. Weit weg vom Haupteingang der Gaststätte stehen etwa hundert Leute. Einige rote und schwarze Fahnen sind zu sehen. Der Hasenbergler brummelt: „Demonstrierts Ihr gegen den Abriss? Abreißen deans den greislichen Mathäser sowieso!“ Aber dann hört er Martin Löwenberg, der über Lautsprecher erklärt, dass im „Mathäser“ die NPD mit ihrem braunen Anhang tagt und dass man dagegen etwas habe.
Während dir die Füße von der Kälte gefühllos werden, kommst du ins Grübeln. Einerseits ist es richtig, Flagge zu zeigen. Und vielleicht wäre es auch sinnvoll, vor dem Gaststättenverband zu demonstrieren und ihn aufzufordern, seinen Mitgliedern klar zu machen, was es bedeutet, den Rechtsextremen einen Saal zur Verfügung zu stellen?
Andererseits werten wir die Rechtsextremen auf. Und wir beschäftigen uns mit Symptomen, nicht mit den Ursachen. Denn der Rechtsextremismus entsteht flankiert von den Interessen der politischen und wirtschaftlichen Eliten dieses Landes in der Mitte der Gesellschaft. Wir dagegen starren auf die NPD wie das Kaninchen auf die Schlange, stehen hier wie bestellt und nicht abgeholt, sind berechenbar und damit kontrollierbar und zeigen auch, wie hilflos unser Antifaschismus ist.
Grob geschätzt sind etwa fünfhundert Polizisten im Einsatz. Wir werden von vorne, von hinten und von den Seiten gefilmt und genießen große Aufmerksamkeit. Die Staatsorgane monieren die Länge von Fahnenstangen, schnüffeln in Einkaufstaschen von Hausfrauen herum, kommunizieren eifrig über Headphones, bewegen Einsatzkräfte in aparten grünen und schwarzen Uniformen.
Eine ältere Dame verteilt Leberkässemmeln unter den Autonomen.
Ganz weit entfernt kannst du einige NPDler sehen. Sie sind proper gekleidet, und doch empfindest du sie als unappetitlich.
Eine Hasenberglerin kommt zufällig vorbei, schaut sich die groteske Szenerie an und meint zu uns: „Ham die so eine Angst vor Euch, Respekt!“ Am Nachmittag um vier Uhr bauen die Einsatzkräfte die Sperrgitter wieder ab. Einige von uns gehen noch auf ein Bier. Nicht in den „Mathäser“.
… 8. Februar …
Langsam wird es dunkel. Absperrung am Promenadeplatz. Silhouetten von Scharfschützen auf den Dächern. Dunkle Limousinen gleiten auf den Platz, von blitzenden Blaulichtern umgeben.
Wichtige Personen kommen und gehen, umgeben von Bodygards und Dolmetschern, ab und zu stolziert ein imposanter General daher.
Vor der Absperrung stehen einige Männer, einer etwa 65 Jahre alt mit randloser Brille: „Dass die das vor unseren Augen machen können, zeigt, wie dumm wir sind, wie naiv, knechtselig, wir sind Untertanen.“ Neben ihm ein Herr in einem beigen Mantel: „Naja, es gibt einige, die sich was trauen.“ Der Brillenträger: „Wissen Sie, ich bin sauer. Das, was hier geschieht, das bezahlen wir auch noch.“ Der Herr im beigen Mantel: „Morgen gehe ich bei der Demonstration mit. Aber am Rand auf dem Bürgersteig. Ich will nicht verhaftet werden.“
Der etwa fünfundzwanzigjährige Polizist mit der dekorativ am Unterarm baumelnden Maschinenpistole schaut gelangweilt. Der Brillenträger: „Ich schreibe an den Bundeswehrverband. Und schauen Sie ins Netz unter www.bundeswehr.de. Da steht alles drin.
Wissen Sie eigentlich, dass wir auf einem Pulverfass sitzen? Dass wir in die nächste Rüstungsspirale einsteigen?“ Ein dritter Herr fragt: „Meinen Sie, dass die da drinnen wissen, was sie tun?“ Der Brillenträger: „Natürlich!“
Heimfahrt mit der U-Bahn. Viele gut aussehende, gut gekleidete Menschen. Prall gefüllte Einkaufstüten, leere Augen, ausdruckslos. Werde ich einmal mit euch Mitleid haben?
… 9. Februar …
Höre mir in „Phoenix“ die Reden an. Thema des Nachmittags: Abrüstung. Es redet Steinmeier.
Afghanistan betreffend meint er, man möge doch über die hardpower dort nicht die softpower vergessen. Man habe ja ein humanitäres Anliegen, die Bundeswehr sei schließlich eine Art bewaffnete Menschenrechtsorganisation. Ich denke: Das war die alte Wehrmacht auch. Deutsche „Schutztruppen“ haben schon vor hundert Jahren Schulen, Bahnhöfe und Krankenhäuser errichten lassen. Diese sind heute noch in den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika zu bewundern.
Es geht Steinmeier um Begrenzung von Atomwaffen und Ächtung von Streumunition. Er meint „schmutzige“ Bomben und natürlich den Iran. Zugleich sagt er damit aber auch, dass alles andere nicht nur so bleiben darf, wie es ist, sondern dass es auch weiter ausgebaut werden kann.
Natürlich hat kein Mensch etwas gegen die Ächtung von Streumunition. Aber was ist mit U-Booten, Eurofightern, Flugzeugträgern, Spionagesatelliten, Leopard-Panzern? Und mit weltweiten Militärstützpunkten?
Die Forderung nach Ächtung der Streumunition erscheint wie ein Alibi. Diese Rede ist eine Schaufensterrede garniert mit humanistisch klingenden Phrasen. Der Öffentlichkeit signalisiert sie: Er meint es gut. Den Zuhörern im Saal bedeutet sie: Keine Sorge, alles bleibt beim Alten, wir werden weiter unsere Interessen mit militärischer Gewalt durchsetzen.
Steinmeier zitiert Dwight D. Eisenhower. Das Entscheidende, was der US-Präsident in seiner Abschiedsrede 1961 sagte, lässt er aber weg: „Die Verbindung eines ungeheuren militärischen Apparates und einer großen Rüstungsindustrie ist neu in der amerikanischen Erfahrung. Ihr allumfassender Einfluss – wirtschaftlich, politisch, ja geistig – ist in der ganzen Regierung zu fühlen. Wir müssen uns gegen die Aneignung unberechtigten Einflusses durch den militärisch-industriellen Komplex schützen.“ Dass Steinmeier auf dieses Zitat verzichtet, ist logisch. Genau vor diesem Klüngel spricht er ja.
Teltschik dirigiert die Tagung mit dem sanften Grinsen eines Alligators. Als nächstes übergibt er das Wort an seinen „lieben Freund“, den republikanischen Senator Liberman. Dieser lässt gleich zu Anfang seiner Rede einfließen, es möge doch mit Gottes Hilfe John McCain, sein Favorit, neuer US-Präsident werden. Und dann kommt die bekannte Kriegsrhetorik. Mir reichts. Es gibt gute Gründe, auf die Demonstration zu gehen.
G. Gerstenberg
Münchner Lokalberichte 4 vom 20. Februar 2008, 8 f.