Materialien 2008
Recht auf saubere Luft
Der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) urteilte am 25. Juli 2008, dass wer von Luftschadstoffbelastungen betroffen ist, die europarechtliche Grenzwerte überschreiten, dagegen vorgehen und von der zuständigen Behörde die Aufstellung eines „Aktionsplans“ zur Verbesserung der Luftqualität einfordern kann (Rechtssache C-237/07).
„So what?“ könnte man da fragen – immerhin sind Grenzwerte dafür da, um eingehalten zu werden. Das Besondere an diesem Urteil wird erst bei näherer Betrachtung des deutschen Rechtsschutzsystems klar: Das Bundesverwaltungsgericht war im Fahrwasser der bislang herrschenden Meinung davon ausgegangen, dass ein individueller Anspruch auf staatliche Planungstätigkeit nicht besteht. Allenfalls könnten BürgerInnen konkrete Maßnahmen wie die Sperrung bestimmter Straßen für den Schwerlastverkehr einklagen. Der Pferdefuß: Die Beweislast für Geeignetheit und Erforderlichkeit der entsprechenden Maßnahmen läge bei den KlägerInnen, die sich zudem von Straßenzug zu Straßenzug vorarbeiten müssten. Ein integriertes Gesamtkonzept wäre durch ein solches Vorgehen schon gar nicht zu erreichen.
Diese Auffassung hat der EuGH nun zurückgewiesen: Die Richtlinie 96/62/EG („Luftqualitätsrichtlinie“) sehe als Maßnahme die Aufstellung von Aktionsplänen vor – und diese Verpflichtung der Bundesrepublik könne auch von ihren BürgerInnen eingefordert werden.
Alles gut also – einE jedeR hat ein „Recht auf saubere Luft“? Nicht ganz. Bei aller berechtigter Freude darf man den zweiten Teil des Urteils nicht überlesen: Ein Anspruch auf Aktionspläne, die tatsächlich geeignet sind, die Einhaltung der Grenzwerte zu gewährleisten, besteht nämlich nicht. Die Gefahr einer Überschreitung muss zwar „auf ein Minimum“ reduziert werden – aber nur „unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und aller betroffenen Interessen“, was verkehrs- und industriepolitische Erwägungen einschließt. Das mag daran liegen, dass Aktionspläne eigentlich nur für kurzfristige Sofortmaßnahmen vorgesehen sind. Langfristig, das betont der EuGH, muss die Einhaltung der Grenzwerte gewährleistet werden. Angesichts der jahrelangen Untätigkeit der Behörden während der großzügig bemessenen Umsetzungsfrist der Richtlinie mutet es aber fast ironisch an, wenn nun von „kurzfristigen Maßnahmen“ die Rede ist.
Ein wichtiger Schritt ist dennoch getan – und zwar nicht nur für die Luftqualität an der Landshuter Allee in München, um die es im EuGH-Verfahren ging: Die deutsche Umwelthilfe (DUH) hat die Unterstützung von Musterklagen in vielen deutschen Großstädten angekündigt.
Thorsten Deppner
Forum Recht
19.03.2009