Materialien 2009
Fragwürdige Praxis bei der Asylantragstellung
Verhör oder Anhörung?
Die persönliche Anhörung nach dem Asylverfahrensgesetz ist für eine/n Asylsuchende/n die Gelegenheit, sich erschöpfend und substantiiert zu seinem Asylbegehren zu äußern. Dies hat das Bundesverfassungsgericht schon 1991 ausgeführt (BVerfG vom 29.01.09, 2 BvR 1384/90). Für die Bewertung von Äußerungen zuvor habe zu gelten, dass nur nachgewiesene und unaufklärbare Widersprüche oder Unrichtigkeiten Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden zulassen.
Man könnte den Eindruck haben, dass in jüngster Zeit mancherorts geradezu systematisch versucht wird, solche Widersprüche zu provozieren. Denn in Bayern, aber teilweise auch in Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, finden zusätzliche Anhörungen durch die Ausländerbehörden statt. Besonders rigoros ist das Vorgehen in Bayern. Dies ergibt eine von der Rechtsberaterkonferenz durchgeführte bundesweite Umfrage. Gleich nach einem in Bayern gestellten Asylgesuch landet der Flüchtling nämlich bei der »Zentralen Rückführungsstelle« und wird befragt. Auch wenn im Vordergrund die Personalien und sonstigen Identitätsdaten stehen, geht es nicht nur darum: Nach den Verwandten wird ebenso gefragt wie nach Verfolgungsgründen und vor allem nach Pässen und Dokumenten. Kann der Flüchtling solche – wie meist -nicht vorweisen, wird er aufgefordert, sie zu besorgen, zum Heimatkonsulat zu gehen und dort einen Passantrag zu stellen. Manchmal wird er auch genötigt, zu Hause anzurufen und die Eltern oder den zurückgelassenen Ehegatten zu bitten, die Pässe und Dokumente nachzuschicken. Um die Telefonnummern herauszufinden, werden Notizbücher und Telefonspeicher durchsucht. In Anwesenheit eines Dolmetschers muss der Betroffene dann in der Heimat anrufen – so jedenfalls wird es berichtet. Wer sich dem widersetzt, hat Nachteile zu befürchten. Er wird schriftlich belehrt, dass die Sozialleistungen gestrichen werden können. Wirksamer dürften aber die inoffiziellen Drohungen mit einer Verlegung in ungeliebte Unterkünfte in den Randlagen sein.
All dies geschieht vor der offiziellen Anhörung durch das Bundesamt (BAMF).
Von dieser Befragung finden sich manchmal, manchmal aber auch nicht, Protokolle in den BAMF-Akten – zum Teil auch nur Auszüge. In München schließt sich dieser Befragung oft eine weitere durch die »Zentrale Ausländerbehörde« an, in der es wiederum um die Identität, den Reiseweg, aber auch die Fluchtgründe geht.
Bevor es endlich zur Anhörung und Niederschrift der Asylgründe kommt, gibt es oft noch einen separaten Anhörungstermin beim Bundesamt: die so genannte Reisewegbefragung. Zwar hat der Reiseweg auch im Hinblick auf das Asylrecht Bedeutung – vor allem, um mit dem Argument des Transits über sichere Staaten die deutsche Zuständigkeit zu verneinen -, gleichwohl geht es hier wohl um anderes, nämlich das Aufspüren von Routen, auf welchen die Flüchtlinge nach Deutschland gelangen. Über diese Befragung gibt es kein Protokoll. Sie findet sich in den BAMF-Akten nicht wieder. Auch eine Rechtsgrundlage für diese eigenständige Reisewegbefragung existiert nicht.
Man könnte natürlich auf das Motto »Doppelt und dreifach genäht hält besser« verweisen und achselzuckend zur Tagesordnung übergehen, wenn die Asylbewerber nicht unter Druck gesetzt würden, wenn nicht dadurch Widersprüche im Vorbringen der Asylantragsteller/innen provoziert würden, und hieraus falsche Entscheidungen resultieren könnten.
Denn die wiederholte Befragung birgt die Gefahr unterschiedlicher Antworten – sei es auch nur aufgrund von Missverständnissen, Übersetzungsfehlern oder Unachtsamkeit – und damit von Widersprüchen. Möglich ist auch, dass der Betreffende, wenn es denn endlich zur Anhörung durch das Bundesamt kommt, detaillierte Auskünfte unterlässt, weil er ja glaubt, alles schon mehrfach erzählt zu haben. Wie groß die Gefahr ist, bei der – nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts entscheidenden – Anhörung auf die vergangenen Befragungen zurückzugreifen, zeigt sich in manchen Protokollen des Bundesamts selbst. In ihnen finden sich Eingangsbemerkungen wie »Sie haben ja schon bei der Regierung Angaben gemacht, ich habe jetzt nur noch ein paar ergänzende Fragen«. Selbst der am Beginn der Anhörung stehende 25-Fragen-Katalog wird nicht stets vollständig abgefragt, weil er ja schon beantwortet scheint. Nicht anders als der Anhörer reagiert der Flüchtling: Er wiederholt nicht unbedingt, was er schon zweimal gesagt hat. Falsche Entscheidungen werden so herausgefordert. Der Flüchtlingsschutz muss wieder einmal – schon vor der Prüfung der Asylgründe – hinter das Interesse einer raschen Rückführung in die Herkunftsländer zurücktreten.
Hubert Heinhold
7. Mai 2009