Materialien 2009
Bayern verschärft die repressive Unterbringung von Flüchtlingen in Sammellagern
Deutschland Lagerland – Kategorie: Menschenrechte
Die Unterbringung von Flüchtlingen ist Ländersache. Entsprechend unterschiedlich sind die einzelnen Modelle und Vorgaben der Länder an ihre Kommunen und Landkreise. Bayern nimmt mit einem sehr restriktiven Unterbringungsgesetz einen Spitzenplatz ein. Doch seit der Landtagswahl 2008 kommt Bewegung in die Politik.
»In Bayern gibt es auch in Zukunft für Ausländer, die rechtswidrig in unser Land gekommen sind, Sammelunterkünfte und Sachleistungen«, deklamierte der ehemalige bayerische Ministerpräsident, Edmund Stoiber, am 12. Juni 2007 gegenüber den Medien und nannte das ein »wichtiges Signal der Gerechtigkeit«. Damit war die nächste Gruppe von Flüchtlingen – diejenige, die nach der bundesgesetzlichen Bleiberechtsregelung von 2007 eine Aufenthaltserlaubnis bekommen soll, ihre eigenständige Lebensunterhaltssicherung aber noch nicht nachweisen kann (§ 104a AufenthG) – in das bayerische Lagersystem eingeschlossen. Die weiteren Gruppen sind Asylsuchende, Geduldete, Flüchtlinge mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 25 IV) oder aufgrund einer Langzeitduldung (§ 25 V). In 118 Sammellagern leben 7.600 Flüchtlinge, das sind 88% der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Das bayerische Flüchtlingslagersystem fügt sich in die repressive, auf Ausgrenzung und Isolation zielende Flüchtlingspolitik der bayerischen Staatsregierungen der letzten Jahrzehnte ein. Selbst als Anfang dieses Jahrzehnts die Zahl der Asylsuchenden bereits ins Bodenlose sackte, erließ Bayern unter dem Regiment des damaligen Innenministers Günther Beckstein 2002 ein »Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz« – kurz Aufnahmegesetz. Vorrangig begründet wurde es als Erfordernis für die Einrichtung des Abschiebelagers in Fürth und mit einer Kostenentlastung der Kommunen. Doch durch die Hintertür wurden damit alle Flüchtlinge dem Zugriff der bayerischen Staatsregierung zugeführt, tausende Menschen aus ihren Privatwohnungen herausgeholt und erneut in Lager eingewiesen. So wurde mühsam erreichte Integration zunichte gemacht.
Verbesserung in Sicht
Nach jahrzehntelanger Alleinregierung der CSU in Bayern weht seit der Landtagswahl vom September 2008 ein frischer Wind durch den bayerischen Landtag. Der neue Regierungspartner FDP forderte bereits in den Koalitionsverhandlungen mit der CSU die Abschaffung der Flüchtlingslager in Bayern, und die Grünen erhielten plötzlich Unterstützung von einer sich neu formierenden SPD. So kam in Bewegung, was bis dahin fest zementiert schien.
Der Startschuss fiel bereits in der ersten Plenardebatte des neu gewählten Landtags, die von zwei Hauptthemen geprägt war: Der ruinösen Bayerischen Landesbank und der menschenunwürdigen Situation in zwei Münchner Flüchtlingslagern in Containerbauweise. Eines davon wurde bereits 2006 vom Menschenrechtskommissar des Europarates, Thomas Hammarberg, besucht und massiv kritisiert. Zwei Grünenpolitikerinnen hatten die mitten auf einer Verkehrsinsel, zwischen zwei dreispurigen Fahrtrichtungen einer Ausfallstraße befindliche Containerunterkunft im Vorfeld der Landtagsdebatte unangemeldet besucht. Mit Hilfe eines Handyvideos, in dem man Ratten durch die Küche der Unterkunft flitzen sah, wurden die unhaltbaren Zustände an die Öffentlichkeit gebracht. In einem Dringlichkeitsantrag forderten die Grünen die Schließung dieses und eines baugleichen Containerlagers. Einstimmig wurde die Schließung nach einer Debatte besiegelt.
Seitdem tobt auf Landtagsebene eine Diskussion über die Zukunft der Unterbringung von Flüchtlingen. Während noch vor einem Jahr selbst die geringste Entschärfung der Lagerunterbringung von der CSU-Mehrheit abgeblockt und ausgesessen wurde, ist inzwischen die generelle Abschaffung der Lagerpflicht greifbar. Für die bis zum Bezug einer Privatwohnung benötigten »Übergangsunterkünfte« sollen Mindeststandards eingeführt werden. So sollen nur Wohngebäude angemietet werden und pro Person mindestens 10 m2 ohne Gemeinschaftsräume zur Verfügung stehen (die genauen Regelungen standen bei Redaktionsschluss noch nicht fest).
Notwendiger Protest
Erreicht wurden diese Veränderungen nicht nur durch die jahrelange Skandalisierung der unhaltbaren Zustände in den Flüchtlingslagern durch den Bayerischen Flüchtlingsrat. Der Protest der betroffenen Flüchtlinge hat einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg geleistet: Esspaketeboykott in München, Demonstrationen gegen Lagerunterbringung und Arbeitsverbote in Neuburg an der Donau, Proteste gegen Residenzpflicht und Kleidergutscheine in Nördlingen, ein Gerichtsverfahren gegen den Hausmeister eines Nürnberger Flüchtlingslagers, der Bewohnerinnen vergewaltigt hat, sowie weitere Aktionen von Flüchtlingen in Bayreuth, Forchheim, Landsberg, Regensburg und vielen weiteren Städten brachten erst den nötigen Druck in die Debatte. Erst als Flüchtlinge mit ihrem Gang in die Öffentlichkeit dem Leiden an der Unterbringungssituation ein Gesicht gaben, gelang es, die Medien für diese menschenunwürdigen und menschenrechtswidrigen Zustände zu sensibilisieren. Der Protest der Flüchtlinge erforderte Mut, denn häufig müssen sie ernsthafte Konsequenzen für sich befürchten. Aber nur so konnten Landkreise und kreisfreie Städte dazu bewegt werden, sich politisch gegen die bayerische Staatsregierung zu positionieren.
Die Landeshauptstadt München forderte am 13. November 2008 »die regelmäßige Unterbringung von Flüchtlingen in Gemeinschaftsunterkünften zu beenden und statt dessen den Einzug in normale Wohnungen zuzulassen«. Konnte man das noch als Aktion der rot-grünen Stadtregierung abtun, war das bei der Resolution des Landkreises Neuburg-Schrobenhausen schon schwerer. Die Kreispolitiker/innen forderten die bayerische Staatsregierung mit ihrer Resolution auf, die Auslegungsspielräume der Bundesgesetze zu nutzen und die »private Wohnsitznahme« massiv auszuweiten. Das würde »nicht nur zu einer Verringerung der erforderlichen Unterbringungskapazitäten beitragen«, gerade bei geduldeten Flüchtlingen sei das aus sozialen Gründen auch geboten. Beide Beschlüsse wurden mit den Stimmen der Grünen, CSU, SPD, FDP und Freien Wähler einstimmig gefasst.
Es lohnt sich also, Flüchtlinge bei ihren Protesten zu unterstützen und die Kommunalpolitiker/innen zu motivieren, sich für die Belange von Flüchtlingen und gegen Flüchtlingslager einzusetzen. Am 25. und 26. November 2009 tagt im bayerischen Berchtesgaden die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister von Bund und Ländern. Eine Gelegenheit, den Druck auf die Politik zu erhöhen – letztendlich mit dem Ziel der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und aller Lagerunterbringung.
Alexander Thal
12. Mai 2009