Materialien 2011

Große Demo mit kleinen Rangeleien

Deutlich mehr Leute als erwartet beteiligten sich
an den Protesten gegen die 47. „Sicherheitskonferenz“
Von: Redaktion Luzi-M

Rund 4.000 Kriegsgegner_innen und Antikapitalist_innen beteiligten sich am vergangenen Wochenende an den Kundgebungen und der zentralen Demonstration gegen die „Münchner Sicherheitskonferenz“, zu denen mehrere Gruppen aufgerufen hatten. Die Polizei nahm neun Aktivist_innen vorübergehend fest.

Der Abwärtstrend bei den Teilnehmer_innenzahlen scheint gebremst. Bei besten Wetter konnten das Aktionsbündnis und andere Gruppen – wohl angesichts der neuerlichen Bundeswehrskandale und der Entwicklungen in Nordafrika – an die 4.000 „SiKo“-Gegner_innen mobilisieren (die Veranstalter_innen sprechen von „weit mehr als 5.000“, die Polizei von 3.200 (und schlamassel von 3.000 Teilnehmer_innen).

Das sah am Freitag noch nicht so gut aus. Keine 100 Leute beteiligten sich an den Gegeaktivitäten, die ab 15 Uhr am Marienplatz stattfanden. An der eher verschwörungstheoretisch geprägten Kundgebung der „AnaRKom“ vor dem Nobelrestaurant „Käfers“ am Prinzregentenplatz nahmen am Freitagabend nur ein paar dutzend Menschen teil.

Ganz anders am Samstag. Zwar sah es auch hier anfangs noch etwas leer aus am Marienplatz. Polizeisprecher Wenger hatte einige Mühe, von den anfangs auf „30“ taxierten „Gewaltbereiten“ auf die seit Jahren festgelegten und am Sonntag wieder genannten 400 zu kommen. Zwischen den üblichen Verdächtigen aus attac, DKP, Linken, Grünen, Gewerkschaften, Friedensgruppen und Autonomen fand sich in diesem Jahr auch eine große Gruppe von äthiopischen Oromo- und somalischen Ogaden-Aktivist_innen ein, die sich lautstark gegen die autoritären Regierungen ihrer Herkunftsländer wandten. Der DKP- und Bündnissprecher Walter Listl forderte in der Eröffnungsrede den sofortigen Abzug der Bundeswehr und aller NATO-Truppen aus Afghanistan.

Wie erwartet gab es auch in diesem Jahr ein paar Palästina-Freund_innen, für die die „Hauptfeinde“ die USA und Israel sind. In den offiziellen Texten, die sich schwerpunktmäßig mit dem Krieg in Afghanistan und den Revolten in Tunesien und Ägypten befassten, kam dies jedoch nicht vor. Das angebliche Verbot von Nationalfahnen seitend der Veranstalter_innen machte sich indes kaum bemerkbar. Am Rande der Auftaktkundgebung fiel ein Grüppchen mit der iranischen Flagge auf, das jedoch nicht für, sondern gegen das Regime demonstrierte. Sie fragten auf Plakaten, was noch alles passieren müsse, bevor die westlichen Medien über den brutalen Umgang mit der Opposition im Iran berichteten. Explizit wollten sie sich nicht als Gegendkundgebung verstanden wissen.

Gegen 14 Uhr setzt sich der Demozug in Bewegung. Die Spitze der Demonstration trug dabei deutliche karnevaleske, wenn auch politische Züge. Eine „Guttenberg“-Figur, die „weinenden Frauen in schwarz“, ein Panzer im handlichen Einkaufswagenformat und die vom letzten Jahr bekannte NAhTOd-Puppe setzten die Reihe der medienwirksamen Inszenierungen der letzten Jahre fort. Hinter dem Block der Bündnisdelegierten folgte der von der Polizei so gefürchtete „Schwarze“, der so genannte „internationalistische Block“.

Dieser verzichtete in diesem Jahr auf die Seitentransparente, die in den Vorjahren und immer wieder Anlass für Polizeiübergriffe waren. Auch sonst wirkte der Block lockerer und besser gelaunt als in den Vorjahren. Thematisch ging es hier „gegen Krieg und Krise“, also um die Verknüpfung von antimilitaristischen und antikapitalistischen Forderungen. Aber auch feministische Positionen und der Zusammenhang von Krieg und Migrationen wurden thematisiert. Der Antifaschist und KZ-Überlebende Martin Löwenberg zeigte sich erfreut darüber, dass sich so viele junge Leute „gegen diesen furchtbaren deutschen Militarismus“ engagierten.

Unnötige Auseinandersetzung

Anders sah dies freilich eine Gruppe junger Leute, die nicht nur ihre Solidarität mit Israel ausdrücken wollten, sondern gleich auch allen übrigen Demonstrant_innen Antisemitismus vorwarfen. Zumindest Einzelnen aus der Gruppe ging es dabei weniger um Kritik, als um Pöbeleien nahe der Demonstration. Anstatt dies(e) jedoch so stehen zu lassen, ließen sich in der Frauenstraße einige Leute aus dem internationalistischen Block provozieren. Ungeachtet der genervten Ordner_innen und der omnipräsenten Polizei kam es zu Rangeleien und in der Folge zu mindestens einer Festnahme. Am Viktualienmarkt nahmen Beamt_innen den Protestgegner_innen die Israelfahnen vorläufig ab, weil diese „die Demonstration provozieren wollten“.

Zu der Aktion schreibt „scitor“, an sich durchaus mit so genannten antideutschen Positionen sympathisierend, auf indymedia:

„Am Rande einer Demo wie der ‚SiKo-Demo’ Israelfahnen schwingend die Demoteilnehmer anzupöbeln ist dabei allerdings eine bemerkenswert sinnlose politische Praxis und Garant dafür, in die am negativsten besetzte antideutsche Schublade gesteckt zu werden. Man erreicht weder eine Reflexion über die innerlinken Abgründe noch unterstützt man damit Israel oder unterbindet antisemitische Parolen. Man erreicht dafür, dass man sich mal wieder davon ‚überzeugen’ konnte, wie wahnsinnig antisemitisch die Linke sei, weil man durch das eigene Auftreten einen Eklat auslöst. Die Eigendynamik wird nicht gesehen oder ignoriert.“

Gegen 16 Uhr kam die Demonstration am Marienplatz an, der sich während der Rede Eugen Drewermanns („Jeder weiß, dass die Sicherheit von Europa oder Amerika nicht von Afghanen bedroht wird …“) rasch leerte. Zwischen den jungen „Antideutschen“ und Antiimperialist_innen kam es nach übereinstimmenden Berichten beider Seiten auf dem Heimweg in einem Cafe zu einer erneuten Prügelei.

Am Ende zogen alle Beteiligten ihre positive Bilanz. Die Freund_innen der Israelfahne feierten ihre Aktion, denunzierten öffentlich ihre Kontrahent_innen und schrieben die Teilnehmer_innenzahl der Kriegsgegner_innen auf „900 – 2.000“ herunter; die Polizei hatte nach eigener Rechnung mehr Personal als Demonstrant_innen auf der Straße und freut sich über einen „friedliche Einsatzverlauf ohne besondere Vorkommnisse“ (bereits am Mittwoch hatten Polizist_innen eine Razzia im „Kafe Marat“ durchgeführt). Und auch das Aktionsbündnis spricht von einer „großartigen Demonstration der internationalen Solidarität“.


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