Materialien 1969
Die Wandmalereien
in der Münchner Akademie der Bildenden Künste
Dokument eines Konflikts
Seit der Aufklärung wird die Akademie in immer stärkerem Maße die Instanz, die das Interesse des Bürgertums gegenüber der Kunst vertritt. Sie ist die „Bildungseinrichtung“, die die Kunst in das bürgerliche Erziehungssystem einfügt. Der Auftrag der Gesellschaft an diese Institution lautet: „… die Erhaltung und Fortpflanzung der Künste … sodann den Künsten ein öffentliches Daseyn, eine Beziehung auf die Nation und den Staat selbst zu geben …“1
Kunstträger sind berühmte Künstler, die Professoren der Akademie, deren Lehrinhalte an der griechisch klassischen Tradition orientiert sind. Seitdem die Entwicklung der Kunst, etwa mit dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderte, die Kunsttradition an den Akademien immer entschiedener in Frage stellt („Akademismus“), und sie sich schließlich im völligen Widerspruch zur Kunstentwicklung außerhalb der Akademien befindet, wird die Institution Akademie immer mehr zu einer Bewahranstalt klassizistischer Kunstorientierung und gerät zunehmend in eine Isolation von der Gesellschaft.
Einige Beispiele möchte ich hier anführen, aus denen sichtbar hervorgeht, dass die Kritik und der Protest der Studenten sowohl an dieser Institution, als auch an der von ihr vertretenen Ästhetik, unwirksam bleiben und auf den Kritisierenden als Ächtung zurückfallen.
# Studenten, die den Professor kritisieren oder sich ihm nicht unterordnen, werden aus den Klassen hinausgedrängt.
# Als sich die politische Hochschulgruppe HSK (Hochschulgruppe Sozialistischer Kunststudenten) an der Akademie gründet, bekommt sie von Seiten der Akademieleitung schärfsten Widerstand zu spüren. Der Präsident, Professor Nestler, fordert die Bekanntgabe der Mitgliedslisten und veranlasst die Professoren „scharf durchzugreifen“. Eine Informationstafel für die HSK wird zunächst nicht gestattet, – später deren Anbringung immer wieder verzögert.
# Die studentischen Gremien, AStA und Konvent, werden in ihrer Arbeit von der Akademieleitung lange Zeit hindurch behindert, gestellte Anträge werden nicht, oder ungenügend beantwortet, oder deren Antwort wird verzögert. Informationsplakate des AStA werden von der Verwaltung entfernt. (Darin ist auch ein Grund zu sehen, weshalb die Studentenschaft schließlich dazu übergeht ihre Informationen direkt an die Wand zu schreiben.)
Das politische Taktieren der Professoren und der Verwaltung, die in ihrem Verhalten immer versuchen, den Konflikt mit der Studentenschaft zu umgehen, führt schließlich zu den Handlungen eines „phantasiereichen Provokationismus“2 der Studenten.
Die Wandmalereien können wohl zu Recht als die wirkungsvollste dieser Provokationen angesehen werden, und sie sind gleichzeitig ein Dokument des Konflikts zwischen den Studenten und der Institution Akademie.
Auf die „Große Malaktion“ vom 14. Mai 1969 erfolgt der Strafantrag des Kultusministeriums gegen Unbekannt wegen Sachbeschädigung. Es betrachtet somit das Bemalen der Wände als kriminellen Akt.
Die Studentenschaft dagegen sieht in den Malereien: „einen spontanen Akt der Solidarität innerhalb der Hochschule“.3
Der Senat der Akademie interpretiert die Malereien „als ein Symptom des komplexeren Problems studentischer Aktivität“.4 Übereinstimmend vertreten Senat und Studentenschaft die Auffassung, dass es sich bei den Bemalungen der Akademiewände um den Ausdruck einer inneren Entwicklung handele. So formuliert zunächst der AStA in einer Presseerklärung:
„Die Studentenschaft ist der Auffassung, dass eine Kunsthochschule kein Museum und kein Denkmal historischer Architektur sein kann, sondern eine lebendige Organisationsform, in der sich erarbeitete Denk- und Arbeitsmodelle praktisch, d.h. sichtbar niederschlagen.“5
Ähnlich formuliert der Senat in einer Resolution:
„Der Senat sieht in einer Kunstakademie eine lebendige Organisationsform, die nur dann existenz- und entwicklungsfähig sein kann, wenn die jeweils neu zu bestimmenden Denk- und Arbeitsmodelle in freier Selbstbestimmung zur Entfaltung kommen können.“6
Wir wollen uns a1so mit dem Begriff der Provokation befassen, mit dem, was sein Wesen ausmacht und was er bezweckt. Provokation definieren wir als die Herausforderung der Herausgeforderten, als die Eskalation der Ohnmacht, als das Mittel Aufmerksamkeit und Diskussion zu erzwingen. Was wiederum besagt, dass sich Provokation in Art und Ausmaß nach jenen richtet, gegen die sie sich wendet, also wird sie sich proportional zu dem Unverständnis und zu der Ablehnung der Angesprochenen verhalten. Auf die Situation der Studenten bezogen heißt das: je unnachgiebiger und ignoranter sich die Gesellschaft zu ihren Forderungen verhält, je aussichtloser der legale Weg, sich Gehör zu verschaffen, erscheint, desto häufiger und drastischer wird der sogenannte legale Weg überschritten werden. Das Schauspiel einer rebellierenden Jugend liefert der Presse Schlagzeilen und zerstört der Öffentlichkeit ihre Illusion von einer Harmonie in der Hochschule, die nie existiert hat. Der Ruf nach Ordnung lässt Schlagstöcke in Aktion setzen oder lässt kurzerhand Lehrstätten schließen. Wo es gilt, sich Argumenten zu stelle, verschanzt man sich hinter Bestimmungen, hinter einer überkommenen Struktur, bestenfalls hinter einem Ministerium, dessen Existenz ebenso nebulos und unnahbar ist wie das Schloss in Kafkas Roman. Jener Student, der es sich zur Aufgabe machen würde, mit Hilfe der parlamentarischen Struktur, d.h. also auf formal-legalem Wege seine Interessen zur Geltung zu bringen, der müsste sich in der gegenwärtigen Situation, in der Verflechtung parlamentarischer, wirtschaftlicher Interessengruppen (Lobbys) wie ein Don Quichotte ausnehmen, der gegen Windmühlen ankämpft.
Damit haben wir im wesentlichen den ersten Vorwurf bereite beantwortet, nämlich jenen, mit dem den Studenten angekreidet wird, sie würden sich in ihren Mitteln vergreifen, sie würden zu weit gehen. Man sagt, sie sollten versuchen in den vorhandenen Gremien ihre Probleme darzustellen. Das ist aber nun gerade der Weg, der nicht zum Erfolg geführt hat. Die Studenten sind sich der Gefahr bewusst, am grünen Tisch integriert, beschwichtigt, überstimmt und ausgeschaltet zu werden. Andererseits erscheint aber Provokation ohne den Versuch einer Diskussion, ohne eine Auseinandersetzung mit den herrschenden Kräften sinnlos; sie läuft dann Gefahr, sich von dem nächstliegenden praktischen Ziel zu entfernen und sich zu einer sturen, gefährlichen Maschinerie aufzuladen, deren Handhabung einem entgleitet. Deshalb erscheint uns nur jener Weg der richtige zu sein, der in zwei Richtungen gleichzeitig vorangetrieben wird: nämlich die Provokation mit dem Willen zum Diskurs zu verbinden.
Es ist also schlicht und einfach, zum Teil von Professoren, gegen die Provokationen an den Akademiewänden der Vorwurf der Infantilität erhoben worden. („Narrenhände beschmieren Tisch und Wände“ sagte Prof. Schaupp in der Senatsdiskussion über die Wandmalereien.) Die Wandmalereien, die Sprüche seien infantil, so wird behauptet. Wir sind uns bewusst, dass diese Äußerung ein häufiges, gern benutztes Instrument Lehrender, „überlegener“ Menschen ist, um sich mit einer Sache, der sie verständnislos gegenüberstehen, nicht befassen zu müssen. Es ist ein alter Trick, etwas als infantil oder auch pubertär zu bezeichnen, was sich eigenen Wert- und Bewertungsmaßstäben entzieht. Es setzt den Akzent der Auseinandersetzung auf eine alters- oder krankheitsbedingte Unterentwicklung seines Gegenüber und ist dann wiederum Provokation, nur leider eine sehr strapazierte, und wie wir glauben völlig unzutreffende Provokation. …
Zu untersuchen wäre, in wieweit das Bemalen der Akademiewände allein ein Angriff auf die Autorität der Professoren darstellt. Besondere die älteren Professoren betrachten das Bemalen als mutwillige Beschädigung von Werten, die sie selbst „mit eigener Hände Arbeit, aus dem Kriegsschutt, aus dem Nichts“ wiederaufgebaut haben (Prof. Nagel, Prof. Oberberger). Das Gebäude selbst repräsentiert die Institution, als deren Träger sie sich verstehen. Sie sind ein Teil der Akademie und die Akademie ist ein Teil von ihnen. Wird die Erhabenheit des Gebäudes durch „Schmiererei beeinträchtigt, sehen sie sich in ihrer persönlichen Erhabenheit und unantastbaren Autorität beschädigt.7
Das Ministerium ist nunmehr unverblümt, von den Studenten herausgefordert und in die Lage getrieben, seiner Auffassung von Ruhe und Ordnung, von Gleichschaltung und Borniertheit an den Hochschulen, durch die Schließung der Akademie gerecht geworden. Das Ministerium hat nach einer Phase der Ratlosigkeit und des Fehlens brauchbarer Alternativen in einem Gewaltakt von seiner Macht Gebrauch gemacht und gleichsam seine Zähne gezeigt. Es hat die Akademie geschlossen und sich durch sein massives Eingreifen einen Aufschub gewährleistet. Die Studentenschaft scheint gemaßregelt und in ihre Schranken verwiesen zu sein, ja es hat sich in ihr, ob der aussichtslos erscheinenden Situation, eine geradezu rückläufige Bewegung, eine Resignation, eine Gleichgültigkeit, ein Desinteresse breit gemacht, was die Vermutung nahe legen könnte, dass das Ministerium sein Ziel erreicht hat und die studentische Aktivität auf der Akademie erstickt sei. Die reformfreudigen Professoren fühlen sich geradezu von den Studenten in ihrer Ratlosigkeit allein gelassen, gegenüber den wieder erstarkenden konservativen Kräften!
Manuskript, 2 ff. In: Birgit Rauscher: Die Münchner Kunstakademie 1968 bis 1970, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.
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1 Friedrich Wilhelm Schelling, Gründungsurkunde zur Konstitution der Akademie München, 12. Mai 1808, in: E. v. Stieler, Festschrift zur Hundertjahrfeier der Akademie, München 1909, 19.
2 Jürgen Habermas, Protestbewegung und Hochschulreform, Frankfurt am Main 1969, 29.
3 Presseerklärung des AStA vom 30. Mai 1969, In: Birgit Rauscher: Die Münchner Kunstakademie 1968 bis 1970, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.
4 Senatsbeschluss vom 28.5.1969, In: Birgit Rauscher: Die Münchner Kunstakademie 1968 bis 1970, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.
5 Presseerklärung des AStA vom 30. Mai 1969, In: Birgit Rauscher: Die Münchner Kunstakademie 1968 bis 1970, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.
6 Senatsresolution vom 4. Juni 1969, In: Birgit Rauscher: Die Münchner Kunstakademie 1968 bis 1970, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.
7 Somit wurde die Unverletzlichkeit der weißen Wände zum Tabu im Sinne Freuds. Das Tabu ist ein uraltes Verbot, das von einer Autorität von außen aufgedrängt wurde. Die Lust, es zu übertreten, besteht in jedem unbewusst fort. Indem man das Tabu übertritt, führt man die anderen in Versuchung, seinem Beispiel zu folgen und wird selber tabu. Die Übertretung des Tabus verlangt aber Sühne oder Buße. (Eine Studentin, die schon früher einmal ohne Erlaubnis einen Nagel in eine Wand des Hausganges geschlagen hatte, wurde von der Akademieverwaltung mit einem Verweis bedroht.) Freud schreibt in seinem Buch „Totem und Tabu“, dass „der Sühne der Übertretung des Tabu ein Verzicht zugrunde liegt … So ist hierdurch der Beweis erbracht, dass die Befolgung der Tabuvorschrift selbst ein Verzicht war auf etwas, was man gern gewünscht hätte. Die Unterlassung des einen Verzichts wird durch einen Verzicht an anderer Stelle abgelöst. So bedeutet die Befolgung des Tabu andererseits auch wieder einen Schutz vor der Angst eines anderen Verzichts.“