Materialien 1969

Protokoll

zum Akademie-Scheiß vom 20. Februar 1969

Um 12 Uhr und 13 Uhr hörte ich in den Rundfunknachrichten von der Schließung der Akademie. „Potzblitz“, sprach ich zu Boxer1, „da müssen wir mal nachsehen!“ Am Eingang der Aka angekommen, blickten wir kurz in die verkrampft-siegessichere Visage des Hausverwalters Bittlingmeier hinter der verschlossenen Türe, um uns dann dem Teach-in in der Uni zuzuwenden. Dort stellte sich im Nu heraus – nach Rücksprache mit dem Astavorsitzenden Sternagel – dass noch nichts „Immanentes“ gegen die Schließung unternommen worden war. Deshalb weihte ich in Blitzeseile H. Wächtler in die Schweinerei ein und wir wanderten frohen Mutes zurück zur Akademie, um das dort angebrachte paper auf seine juristische Fehlerhaftigkeit hin zu prüfen.

Das schallende Gelächter und die Bemerkung Wächtlers: „Da fehlt ja die Begründung, ha-ha-ha; die müssen ja die Aka schon wegen dieses formalen Fehlers wieder öffnen!“, stimmten mich heiter und wir gingen trotzig ans Werk und wieder zurück zur Uni.

Während des Teach-Ins formulierte Harmut Wächtler zuhause den Einspruch und kam just in dem Augenblick zurück, als etwa 300 Zengakuren2 zur Akademie marschierten. Vor dem Farben-Plattner unterschrieb Sternagel schnell noch den Wisch und rief uns noch zu: „Werft keine Fensterscheiben ein und alles …“

Als ich durch die Verspätung vor der Eingangstüre der Aka ankam, lächelte mich ein irgendwie-zustande-gekommenes Loch aufmunternd an, so dass ich nach Rücksprache mit meinem Über-Ich nicht widerstehen konnte und die Einladung, einzutreten, annahm, zumal wir bei der Gelegenheit gleich unseren Einspruch abgeben wollten (Zeuge: Wächtler und Sternagel). Außerdem ließ ich mich von dem schelmischen Hintergedanken leiten, dass das Betreten der Akademie völlig legitim sei, da ja die Schließung widerrechtlich erfolgt war usw.

Als etwa die Hälfte der Demonstranten drinnen war, versperrten die im Laufschritt antretenden Apollo-Menschen3 die Eingangstüre und machten sich so der Verbrechen und Vergehen des Landfriedensbruchs, schweren Nötigung, Auflaufs, der Aufforderung zu strafbaren Handlungen (Rädelsführerschaft) usw. schuldig.

Treffpunkt der 123 Eingeschlossenen war der AStA-Raum. Gegen 16 Uhr 10 wurden wir unverständlicherweise und ohne weitere Erklärung für festgenommen erklärt. Der Eingang war bewacht von den Raumfahrern des Herrn Schreiber, so dass man es nicht wagen konnte, zum Pinkeln zu gehen, ohne gleich einzeln festgenommen zu werden. Ich kann Euch sagen, das war ganz schön repressiv.

Später wurden wir dann einzeln hinausgetragen auf den Gang, photographiert, nach Waffen durchsucht und nach der Weigerung, unsere Personalien anzugeben, in die Zeiserlwagen verfrachtet und in die Ettstraße gebracht. Dort Angaben zur Person, zur Sache keine (wie üblich).

POA Pfannerer hat mich festgenommen, POM Brenner (!) führte das Protokoll in der Ettstraße. Beim Erkennungsdienst nur Lichtbilder und 1 Fingerabdruck.

Auf dem Hof in der Ettstraße habe ich beobachtet, wie ein Bulle einen Polizeihund so dicht an uns herangeführt hat, dass Thomas Schmitz-Bender von diesem erfasst werden konnte, und dabei sein Hosenbein zerrissen wurde.

Etwa ab 22 Uhr, also nach 6 Stunden, und in Abständen bis morgens um 6 Uhr verlangten wir vergeblich zu essen (Rufe: „Sau-, Sau-, Sauerkraut, Schwein-, Schwein-, Schweineschmalz und Es-sen, Es-sen..!“)

In Zelle 26: 16 Mann (Namen auf der Rückseite der Rechtsmittelbelehrung bei den Akten) Platz gerade ausreichend. Vergeblich Decken und Matratzen gefordert. Das Wasser war die ganze Zeit abgestellt (Begründung: In Zelle 1 hätten Genossen eine Überschwemmung verursacht)

Ich habe mehrmals gefordert, einen Anwalt anzurufen. Dies wurde mir verweigert (POM Köstler) mit der Begründung, es wären bereits RA Langmann und RA Kückelmann unterwegs zur Ettstraße, und mir wurde versichert, ich würde dann gerufen werden. Natürlich blieb es nur bei dem Versprechen.

Gegen 7 Uhr: Entlassung.

Fazit: Die Würde des Menschen ist unantastbar, jedoch der Mensch um so mehr!

Heinz Koderer


Protokollnotiz in: Birgit Rauscher: Die Münchner Kunstakademie 1968 bis 1970, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

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1 Koderers Freund.

2 Militante japanische Studentenbewegung.

3 Bezieht sich auf die Raumfahrer-Anzüge der US-amerikanischen Apollo-Mission.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: Kunstakademie