Materialien 1969

In München mussten die Kunststudenten ihre eigene Akademie stürmen

Am 15. Februar veröffentlichte die CSU-Fraktion im Bayrischen Landtag einen unglaublichen Gesetzentwurf, nach dem jeder Studierende, der eine Haftstrafe von mehr als zehn Tagen wegen Beamtenbeleidigung, groben Unfugs, Sachbeschädigung, Auflauf, Landfriedensbruch und ähnli-
chen – in der gegenwärtigen Situation an den Hochschulen unweigerlich politischen – Delikten zu verbüßen hat, vom Studium ausgeschlossen werden kann und zwar durch Regierungsbevollmäch-
tigte – also ohne irgendeine demokratische Kontrolle oder öffentliche Instanz. Das Gesetz wurde am Tage des Semesterschlusses bekannt, um dem zu erwartenden Widerstand die Massenbasis zu entziehen und sollte schon am 1. März beschlossen werden.

Da zu dieser Zeit nur noch die Münchner Akademie geöffnet war, funktionierten die Studierenden den üblichen Akademie-Fasching zu einem Polit-Fasching um, bei dem anstelle der Sexgemälde und internen Blödeleien politische Parolen gemalt und an den Wänden formuliert wurden („Haut den Huber in den Zuber, „CSSU“, „Huber ab nach Stadelheim“).

Kräftig unterstützt von der Münchner Presse, die plötzlich von einer „totalen Verwüstung“ der Akademie (Bild) von „15.000.- DM Sachschaden“, „Bergen von Exkrementen“ (Kunstkritiker Wolf-
gang Christlieb in der „Abendzeitung“) zu berichten wusste, ließ daraufhin der Kultusminister Hu-
ber die Münchner Akademie schließen.

Der ASTA der Universität und der Kunstakademie beschlossen am 21. Februar 1969, die von ihnen demokratisch mitverwaltete und durch Studiengelder des laufenden Semesters mitbezahlte Pro-
duktionsstätte zu besetzen. Da die Verwaltungsbeamten den rund 200 Demonstranten den Zutritt zu ihrer Hochschule verweigerten, wurden die Türen aufgebrochen und die ASTA-Räume besetzt.

Mit mehr als fünfhundert Polizeibeamten ließ die „Weltstadt mit Herz“ die Akademie von den Stu-
denten räumen. 123 Studenten wurden festgenommen und zum Polizeipräsidium gebracht, wo sie bis Mitternacht, teilweise bis zum anderen Morgen ohne Essen und Trinken bei drei- bis viermali-
ger Leibesvisitation festgehalten wurden. Nicht in einem einzigen Falle aber wurde Anzeige erstat-
tet – die Vorbeugehaft in Generalprobe.

Um die Groteske auf den Höhepunkt zu treiben, verfügte das Bayrische Verwaltungsgericht am 26. Februar 1969 gegen das Kultusministerium, dass die Schließung nicht rechtens, da gegen den Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit“ gehandelt worden sei – auf gut Deutsch – Huber und sein Ministerium bewegten sich wieder etwas außerhalb der Legalität.

Das sogenannte „Relegationsgesetz“ der CSU erlitt durch diese Ausfälle ihres Kunstministers schweren Schaden – die wachsenden Proteste (u.a. vom Journalistenverband und zahlreichen Ab-
geordneten, sogar zwei Christdemokraten) bewegten die „Falken“ innerhalb der Straußpartei zu Abstrichen und Abschwächungen.


tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 56 vom Juni 1969, 78.