Materialien 1993
Klinkenputzen als Kriterium für künstlerische Qualität
Skandalöse Praktiken bei der Vergabe von Ateliers in München
Gratulation! Kultur- und Baureferat der Stadt München haben jetzt das Atelierhaus in der Dachauer Straße 110 g eröffnet. Ein Grund zur vorweihnachtlichen Freude – möchte man meinen, denn der offizielle Mietpreis pro Quadratmeter beträgt 6,20 DM.
In diesem Zusammenhang muss auch den Auserwählten gratuliert werden, denn sie haben es geschafft, in München einen Arbeitsraum zu ergattern. Nach welchen Kriterien wurden eben diese Ateliers vergeben? Insgesamt 144 Bewerber machten sich im Frühsommer Hoffnungen auf eines der 26 Ateliers, die vom Kulturreferat gefördert und von der Hypobank z.T. finanziert wurden. Berechtigterweise machten sie sich auch Hoffnungen auf ein objektives Auswahlverfahren durch Sachverständige, die in einer extra zu diesem Zweck zusammengestellten Jury über die Qualität von Kunst entscheiden sollten. Eine durchaus schwierige Aufgabe!
Um der Jury diese Arbeit netterweise zu erleichtern, nahmen dann die Verwaltungsbeamten und ein ebenfalls in der Verwaltung beschäftigter Plastiker eine offizielle Vorauswahl vor. Sie stapelten 100 Bewerbungsmappen im Abseits und räumten eigenmächtig 40 Malern eine reelle Chance ein. Man müsse schließlich auch an den Zeitaufwand denken, den so ein Verfahren fordert.
Natürlich wehrten sich die Herren vom Kulturreferat gegen den Vorwurf der Vorzensur, denn jede Mappe sei rein theoretisch zu jeder Zeit für die Juroren einsehbar gewesen. Man zeigte keinerlei Unrechtsbewusstsein und versicherte, auch in Zukunft in dieser Form wieder vorgehen zu wollen. Eine verantwortliche Stadträtin sagte dazu, dass sie das Atelierhaus besorgt habe und es deshalb auch natürlich sei, dass einige „meiner Leute“ dort unterkommen. Sie gibt zu, Bekannte bevorzugt zu haben. „Wer bescheiden im Hintergrund bleibt und sich nur auf dem Postweg bewirbt“, sagte sie dazu, „hat kaum eine Chance. Darum rate ich jedem Bewerber, sich die Hacken abzulaufen und die Jury-Mitglieder aufzusuchen, am besten ein- bis zwei Mal jeden Monat.“
Der geneigte Leser wird sich nun denken, dass die wahre Kunst das Klinkenputzen ist.
Eigentlich hätten die Verwaltungsbeamten vom Kulturreferat nur über technische und formale Mängel bei der Vorprüfung entscheiden dürfen, aber nicht über künstlerische Qualität. Das Preisgericht hätte zumindest alle eingereichten Bewerbungen anschauen müssen.
Hat es hier überhaupt einen Sinn, gegen den Behördenapparat anzukämpfen? Nach dem Gesetz müsste eigentlich jeder Bewerber gleich behandelt werden.
Damit dieser Skandal nicht einfach unter den Teppich gekehrt wird, hält es die Fachgruppe 7 (Kunst) der IG Medien für sinnvoll, dass alle betroffenen Künstler, die sich für ein Atelier in der Dachauer Straße 110 g beworben haben, bei der Fachgruppe, Schwanthalerstraße 64, 8000 München 2, Telefon 089/5309027, melden.
Vielleicht kann es zu einem Austausch über die herben Erfahrungen mit dem Kulturreferat kommen, zumindest aber zu einer Bündelung der Proteste. Schließlich kann eine Rechtsberatung durch den Anwalt der IG Medien die benachteiligten Künstler, die Mitglied der IG Medien sind, über rechtliche Möglichkeiten informieren. Zumindest muss dahingehend Druck auf die Politiker und Verwaltungsbeamten der Stadt München ausgeübt werden, dass eine Vetternwirtschaft dieser Art bei ähnlichen Auswahlverfahren nicht mehr angewandt werden darf.
Christoph Stafflangen
Publizistik & Kunst. Zeitschrift der IG Medien 2 vom Februar 1993, 41 f.