Materialien 1983

Presseerklärung der Angehörigen der politischen Gefangenen in der BRD

Zum Ermittlungsverfahren (§ 129a) wegen der Ankettungsaktion der Angehörigen von RAF-Gefangenen (20. Juni 1983), Justizministerium München

Im Oktober hat die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht München gegen fünf Angehörige und acht andere Leute Ermittlungsverfahren wegen „Werbung für die RAF“ nach § 129a eingeleitet.

Kriminell soll sein, dass wir die Haftbedingungen der politischen Gefangenen öffentlich machen, besonders jetzt die Situation von Bernd Rössner, Gefangener aus der RAF, und dass wir die sofortige Verlegung von Bernd Rössner in die Gruppe von politischen Gefangenen in Celle fordern.

Mit dieser Forderung hatte sich am 20. Juni 1983 eine Gruppe der Angehörigen im bayrischen Justizministerium angekettet. Vor dem Justizministerium wurde die Öffentlichkeit durch Parolen, Transparente und Flugblätter auf die Aktion und unsere Forderungen aufmerksam gemacht.

Das Ermittlungsverfahren gegen uns, vier Monate nach der Aktion, wurde zur gleichen Zeit eingeleitet, als Bernd Rössner in die Psychiatrie verlegt wurde. Bernd Rössner ist der politische Gefangene, der am längsten isoliert ist: seit 8½ Jahren. Als die Gefangenen aus der RAF und dem Widerstand Anfang 1983 ihre Entscheidung öffentlich machten, dass sie von nun an ihre gemeinsame Zusammenlegung erkämpfen wollen, war Bernd Rössner der erste Gefangene, der im Rahmen dieser Initiative einen Antrag auf Verlegung in die Gruppe in Celle stellte.

Ihm wurde sofort der Hofgang gestrichen. Wenig später wurde er unter einem Vorwand in seiner Zelle von einem Rollkommando von zehn Beamten überfallen, gefesselt und mit gezielten Schlägen schwer misshandelt. Als ihm Mitte April mitgeteilt wurde, dass sein Antrag auf Verlegung nach Celle abgelehnt würde, trat er am 18. April 1983 in einen Dreckstreik. Während der Dauer dieses Dreckstreiks – 5½ Monate lang – wurde er in einer Bunkerzelle eingesperrt: eine Zelle ohne Fenster, ohne frische Luft, ständig grell neonbeleuchtet, völlig geräuschisoliert.

Die Folgen dieser extremen Folter – Bernd Rösner kann kaum noch Nahrung zu sich nehmen – benutzten die verantwortlichen Behörden, um Bernd Rössner in die Psychiatrie zu verschleppen, um ihn endgültig zu zerstören. Dies geschah klammheimlich: seine Anwälte wurden nicht informiert. Ihm wurde selbst verboten, beim einzigen Besuch im Monat den Besucher darüber zu informieren. Als er es dennoch versuchte, wurde der Besuch abgebrochen.

Weil wir dazu nicht schweigen, sollen jetzt auch wir Angehörigen kriminalisiert werden. Der Schutz, den wir durch unsere Informationsarbeit, Öffentlichkeitsaktionen und unsere Besuche in den Gefängnissen für die Gefangenen sind, soll ausgeschaltet werden.

Der Angriff gegen uns Angehörige ist ein Angriff gegen die Gefangenen und ist ein weiterer Schritt in den Versuchen der Bundesanwaltschaft, eine permanente und heimliche Kontaktsperre gegen die Gefangenen zu errichten.

Fast alle Leute werden von Besuchen bei den Gefangenen ausgeschlossen; systematisch werden fast alle Briefe beschlagnahmt. In vielen Fällen sind wir Angehörigen noch die einzigen Menschen, die direkt mitbekommen können, was in den Gefängnissen geschieht. In den vergangenen Monaten haben wir immer wieder miterlebt, wie die isolierten Gefangenen auch körperlich misshandelt werden.

Im November drohte die Bundesanwaltschaft das erste Mal einer Mutter – der Mutter von Adelheid Schulz – mit Besuchsverbot, weil sie nicht schweigend mitangesehen hat, wie ihre Tochter und Rolf Clemens Wagner im Gericht zu Boden geschlagen wurden, weil sie sich nebeneinander setzen wollten. Der vorsitzende Richter Arend lässt einen Justizbediensteten zwischen den beiden sitzen, der jedes Wort von ihnen kontrolliert und verhindern soll, dass sie über ihre Prozessführung reden. Die Angehörigen sollen schweigen zur Situation der Gefangenen. Das will auch der Richter Arend. Er hat jetzt in einem Beschluss gedroht, dass er gegen Adelheids Mutter ein Besuchsverbot aussprechen wird, wenn sie in Zukunft nicht stille hält. Aufgrund eines Ermittlungsverfahrens nach § 129 a (Werbung für die RAF) wegen eines Infos der Angehörigen der politischen Gefangenen wurde am 15. Dezember 1983 die Wohnung der Schwester von Helga Roos vom LKA und BKA durchsucht. Seit April 1983 geht die Bundesanwaltschaft sogar so weit, gegen Angehörige und Freunde der Gefangenen Ermittlungsverfahren einzuleiten und Hausdurchsuchungen anzuordnen, weil in Briefen und Besuchen über politische Themen diskutiert wird, die den Staat stören.

Weil die politischen Gefangenen trotz Isolationshaft weiterhin für ihre Ziele kämpfen, für ein freies Leben ohne Unterdrückung, Unmenschlichkeit und Kriege, sollen sie durch diese totale politische Informationssperre gänzlich mundtot gemacht werden.

Bernd Rössner steht für diesen Kampf der Gefangenen. Alle Maßnahmen gegen ihn haben das Ziel, seine politische Identität und ganz konkret auch seinen Kampf für die Zusammenlegung zu brechen.

Er soll jetzt exemplarisch für alle Gefangenen mit aller Gewalt und Brutalität zerstört werden. Der Kampf für die Zusammenlegung soll sinnlos und aussichtslos erscheinen. – Breite Öffentlichkeit und Solidarität konnte zwar erreichen, dass Bernd Rössner am 15. November wieder aus der Psychiatrie herausgelassen wurde. Seither ist er jedoch wieder in der sog. „Absonderungsabteilung“ isoliert, d.h. wiederhergestellt sind die gleichen Vernichtungsbedingungen, gegen die Bernd Rössner seit Jahren kämpft.

Wir fordern:

  • die sofortige Verlegung von Bernd Rössner nach Celle
  • Zusammenlegung der Gefangenen aus der RAF und dem Widerstand
  • Einstellung der Ermittlungsverfahren

23. Dezember 1983

Kontaktadresse:
Annelia Becker. Postlagerkarte Nr. 06 22 57 A. 6000 Frankfurt


Freiraum. Zeitung der anarchistischen Föderation Südbayern 0-Nummer vom Januar 1984, 16.

Überraschung

Jahr: 1983
Bereich: Bürgerrechte

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