Materialien 1976

Rudel im Bürgerbräukeller

München, den 4.12.76 (Korrespondenz): 18.00 Uhr, Bürgerbräukeller. An dieser „historischen“ Stätte, wo Hitler am 8. November 1923 einen Putschversuch unternahm, fand eine neonazistische Großkundgebung der DVU (Deutsche Volksunion) statt. Stars waren der Obernazi Rudel und Frey, der Herausgeber der „Nationalzeitung“.

Wir hatten erst durch die Tagespresse davon erfahren und begaben uns spontan dorthin in der Annahme, mit Antifaschisten etwas gegen diese braune Brut tun zu können. Leider waren wir ziemlich auf uns allein gestellt: Außer ein paar Genossen war nur Polizei da, die allerdings in Scharen. Sie schützte den Versammlungsort gegen mögliche Demonstranten, sprich Antifaschisten. Uns war klar, dass wir als Einzelne nichts ausrichten konnten und so beschlossen wir, uns die Braunen mal genauer, d.h. von drinnen anzusehen.

Uns traf der Schlag: Fast 1.000 Leute im Alter von 6 bis 80 Jahren, Arbeiter und Intellektuelle, jubelten dem Obernazi Rudel zu, als dieser begleitet von einem Meer von Fahnen den Saal betrat. „Wenn der Oberst kommt, müssen wir alle aufstehen und tüchtig klatschen,“ meinte ein alter Nazi. Er kam und der Saal tobte. Wir blieben sitzen und es wurde uns immer mulmiger bei dem minutenlangen Beifall. „Der soll ein geläuterter Nazi sein“, wie der NeuCDUler Krupinski sagt, schoss es uns durch den Kopf. Wer das behauptet, macht mit den Braunen gemeinsame Sache.

Dann kam es zu einem Zwischenfall, als der jüdische Anwalt Klarsfeld verlangte, eine Gegendarstellung zu den Rudeläußerungen machen zu dürfen. „Kommunistensau, Drecksau, raus, raus!“, mit diesen Worten wurden er und seine Frau aus dem Saal gejagt, verfolgt von einer Meute von Ordnern. Biergläser und Flaschen flogen direkt hinter uns an den Kopf des Anwalts. Bevor er sich mit seiner Frau retten konnte, wurden noch schnell zwei Fotos von ihnen gemacht: Die Braunen sammeln schon wieder Material für schwarze Listen!

Nach einer Stunde hielten wir es dann nicht mehr aus und wir machten, dass wir raus kamen. Mit einer ziemlichen Wut im Bauch, verursacht durch unsere Ohnmacht an diesem Abend, wissen wir heute, dass die faschistische Gefahr größer ist, als viele Menschen glauben. Dass es notwendig ist, heute schon etwas dagegen zu tun. „Wehret den Anfängen!“ heißt für uns Kommunisten auch, verstärkt die Sammlungsbewegungen der Nazis zu beobachten und Aktionseinheiten dagegen zu schmieden.


Rote Fahne. Zentralorgan des Kommunistischen Arbeiterbundes Deutschlands — KABD 1 vom 6. Januar 1977, 7.

Überraschung

Jahr: 1976
Bereich: Rechtsextremismus