Materialien 1969

„Rosy Rosy“

Frau Heinikel erwähnt heute mit vollem Recht, dass der hier zitierte EMMA-Artikel ergänzt werden muss, da er sonst inakzeptable Missverständnisse provoziert. Hier zunächst der Artikel:

Sie war keine Frau und schon gar kein Mensch, sie war ein Busen: „Rosy Rosy“, mit bürgerlichem Namen Rosemarie Heinikel, zieht Bilanz. Ab Mitte der 60er Jahre wurden ihre Maße von „Bild“ bis „Spiegel“ gleichermaßen hoch gehandelt, und noch 10 Jahre später galt sie als das „Busen-
wunder der Nation“. Was kaum jemand wusste und auch kaum jemand wissen wollte: Rosy Rosy hat in dieser Zeit nicht nur posiert, sie hat auch mit viel Phantasie Eigenes produziert: Drehbü-
cher verfasst, Bilder gemalt, Kinderfilme und einen Film für das ZDF gemacht. 1970 schrieb sie ihr erstes Buch: „Rosy Rosy“. Darin erzählt sie noch locker von ihrem Leben in der Schwabinger Szene und Münchens erster Kommune („Rosyland“), von ihren vielen Skandalen, die damals die Presse bewegten, und von der sogenannten „sexuellen Revolution“, die sie zusammen mit der Münchner Links-Schickeria propagierte und probierte.

Die anderen waren auch ganz locker. Beispiel: Gerhard Zwerenz, Schriftsteller. Er reiste 1969 in München an, interviewte Rosy und die Kommunarden und ließ dazu reichlich Fotos schießen von dem „schönen Fleisch“ für progressive „Pardon“-Leser. Rosy war an diesem Tag auf LSD-Trip und erkannte erstmals überscharf: was da mit ihr veranstaltet wurde.

Das war der Anfang vom Ende ihrer Busen-Karriere. Rosemarie in ihrem Buch „Ullysses, box die Kerle raus“: „Ich kam mir nicht nur zweitklassig, sondern wie das letzte Stück Dreck vor.“ Da-
mals, „an diesem Tag, der Tod und Geburt in einem war“ hat sie ein gutes Stück zu sich selbst zurückgefunden:

Rosemarie Heinikel wurde 1946 in Nürnberg geboren. Ehe sie 20 Jahre später Gipsabdrücke von ihrem Busen verkaufte und so gegen die „verklemmte bürgerliche Moral“ zu protestieren versuch-
te, erlernte sie den Beruf der Arzthelferin. Ihr Leben war von Anfang an nicht so, dass sie sich darin hätte ausruhen können: Fünf Wochen alt, wurde sie völlig verwahrlost in ein Waisenhaus gebracht und dann von Pflegeeltern aufgenommen. Mit fünfzehn kam sie zum zweiten Mal in ein Heim. Rosy war im Grunde immer eine Außenseiterin, als Kind ebenso wie später in der „Szene“. In ihrem zweiten Buch stellt sie nach einer Begegnung mit Mick Jagger plötzlich fest: „Mir schien, dass es da noch eine dritte Welt zu meiner, der der Genossen und der Spießer gab …“

Rosy ist eine Frau mit enorm viel Kraft und Humor, und aufgehört zu kämpfen hat sie nie: um diese „dritte“, also eigene Welt und ganz einfach um das Recht aufs Menschsein. In ihrem Buch beschreibt sie einmal eine ziemlich absurde Szene, wo sie vor ein paar Jahren mit dem Kehrricht-
eimer getarnt um den Häuserblock spazierte, um ja nicht mit einer Hure verwechselt zu werden. Inzwischen kann auch sie darüber lachen.

Heute lebt Rosy Heinikel in München. Alleine. Sie hat gerade eine Theater-Tournee mit Brechts „Dreigroschenoper“ beendet, arbeitet an einer Rundfunk-Pop-Sendung und — an einem neuen Buch.

♀Emma. Zeitschrift für Frauen von Frauen 10 vom Oktober 1980, 23.

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Oben genannter Emma-Artikel entstand im Zuge einer Vorstellung meines 2. Buches. Auch ein paar Seiten davon wurden abgedruckt, auf die die Rezension dann in besonderer Weise Bezug nahm, und in die der jetzige Leser (32 Jahre später), an der Stelle hier natürlich keinerlei Einblick hat.

Um also weitere Missverständnisse meine Person betreffend zu vermeiden, hier ein paar klärende Anmerkungen:

1.

Es steht nirgends von mir geschrieben, dass ich in einem Waisenhaus gefunden und dann mit 15 zum zweiten Mal ins Heim gekommen wäre. Ob Eltern ihr 14-jähriges Pflegekind wieder zurück ins Heim schicken (am Schluss gar abschieben) oder – wie bei mir, damit es ’ne gute Ausbildung kriegt –, für ein Jahr auf ein hauswirtschaftliches Internat, macht natürlich einen Unterschied.

2.

Da der Buchabdruck nur die Trip-Geschichte betraf, werde ich ihren Verlauf hier mal als Mini-Fassung mit einigen Zeilen aus dem Buch wiedergeben:

Bevor ich mit der Guru-Band zum Proben fuhr (wegen eines Auftritts im PN), warf auch ich einen Trip. – Für die Jungs eher schon normal, die schienen zu wissen, was da so passieren konnte.

Nachdem ich die ganze Nacht dann nicht geschlafen – auch mir vollends unbekannte Horror-Ängste bei diesem Trip durchlebt hatte, ging ich morgens zu Georgi, mit dem ich in einer Zweier-
WG lebte. Denn nicht nur, woran ich bisher meinen Halt fand, war weg, auch all die Abwehrme-
chanismen, mit denen ich gelernt und mir angeeignet hatte mich zu schützen. Über dieses mir selbst noch gar nicht Erklärbare wollte ich also mit Georgi reden, und sagte:

„Ich hab Sachen in mir gesehen … ich bin kein guter Mensch.“

Und er:

„Aber sicher. Was glaubst Du, wenn man all die andern auf ACID schicken würde … Du wärst noch das graueste unter lauter tiefschwarzen Schafen … Komm, wir gehen frühstücken, Rosy, Du brauchst nur Kräfte.“

Mit wenig Erfolg versuchte er mich also aufzupäppeln und mit der Aussicht auf „frische Brezen“ abzulenken.

Wenig später hat’s geklingelt, und Zwerenz, der mich und ihn (meinem selbsternannten Manager Hans-Georg Behr), Tage vorher für Pardon interviewt hatte, stand mit einem Fotografen vor der Tür, um die noch ausstehenden Fotos zu machen.

„Unmöglich, die müssen ein andermal kommen!“, sagte ich zu Georgi. – Natürlich wollte ich vermeiden, dass sie rauskriegten, was mit mir los war. Daraufhin er:

„Der Fotograf fliegt morgen nach Amerika, wir müssen das heute machen.“ (Erst Jahre später fand ich raus, dass das gar nicht stimmte.)

Er verstünde gar nicht, was ich hätte. Zwerenz sei ein angesehener Mann, und ich hätte Publicity durch einen anerkannten Intellektuellen. Wir seien Profis, die sich solche Zicken nicht leisten könnten.

„Hast’n Taschentuch?“ Er gab mir eines.

„Jetzt zieh Dich schnell um, ich warte draußen, die werden sonst nervös. Ich bin doch bei Dir, was sollten die merken? Schau in den Spiegel. Nie war Dein Gesicht so offen und klar.“

Ich sah hinein, er hatte recht.

Ohne seine Überredungskunst und die Art und Weise, wie er mich dann in Szene setzte, wär’s also nie zu den Fotos gekommen.

Die Bewunderung und Anerkennung dieser drei mir an sich doch höchst stabilisiert und integriert wirkenden Herren meine nackte Wahrheit betreffend, ließ auch wieder diese erste, zarte Hoffnung in mir aufkeimen, doch mehr Wertigkeit zu besitzen, als mir das irgendwelche Stimmen in mir nachts einzureden versucht hatten. (Mini-Zusammenfassung Ende.)

3.

Und was den zitierten Satz aus meinem Ulysses betrifft: „Ich kam mir nicht nur zweitklassig, sondern wie das letzte Stück Dreck vor.“ Damals, „an jenem Tag, der Tod und Geburt in einem war“. Diese Wahrnehmung bezog sich allein auf ein Gespräch mit einem der Guru-Musiker, dem gegenüber ich mir plötzlich so vorkam. Sicher wäre es zu all dem nie gekommen, ohne die Erfah-
rungen meiner ersten Lebenswochen, die an dem Tag plötzlich unvermittelt reaktiviert wurden, ohne, dass ich da schon gewusst hätte, was für ’ne Art von Gefühlen das sind, und wie ich sie ein-
ordne. Das dauerte ein paar Jahre, um es im „Alleingang“ herauszufinden. Während die Presse-
medien heiß liefen, ohne sich auch nur einmal zu fragen, warum Kinder wohl so ausflippen?

EMMA war die erste Zeitung, die für diese Thematik Interesse zeigte.

4.

Als eingangs erwähnte Fotos raus kamen und die in der Pardon-Redaktion (die ja von der Satire herkamen und auch nicht dabei waren) Zeilen wie: Soll das schöne Fleisch verrotten? darunter schrieben, wollte ich mich umbringen. Ich wusste einfach nicht, wie ich mit diesem Bild von mir öffentlich klarkomme und damit jetzt leben soll?

Plötzlich wieder diese Schwäche, dieses Ausgeliefertsein vor Augen zu haben!

Was sich – zumindest für die Öffentlichkeit – dann auch noch freiwillig in meinen Privaträumen abgespielt haben soll!

Um damit weiterleben zu können, bleibt dir nur eins: zu lernen, dich davon abzugrenzen. Ich jedenfalls hatte irgendwann Null-Bock mehr, mich mit so was überhaupt noch zu identifizieren!

Jedes einigermaßen zurechnungsfähige Kind an meiner Stelle hätte nicht anders reagiert. Insbesondere jene spektakulären Aktionen betreffend, die mich danach erst so richtig berühmt machen sollten.

Wie diese dann von Zeitungen vermarktet wurden – auch dafür noch die Verantwortung zu übernehmen? Also ich meine … zu einigen Berichten hab ich dann ja im zweiten Buch ‚korri-
gierend’ Stellung bezogen. Was auch entsprechende Konsequenzen nach sich zog, denn der ‚Machtblock’ saß nun mal am längeren Hebel.

Plattformen wie hier oder Wikileaks lagen da ja noch in weiter Ferne.

Als es 1988 schließlich auch noch auf Existenzbedrohung für mich hinauslief, die sogar von ganz oben, nämlich im Namen des Volkes, befürwortet wurde, war natürlich klar, was das in Zukunft für mich bedeuten würde.

Und für solche Spielchen war mir mein Leben wirklich zu kostbar.

5.

Nachdem ich mich also vollends aus der Öffentlichkeit zurückzogen hatte, was inzwischen auch schon wieder 24 Jahre her ist, kamen immer mal wieder Anfragen:

Wieso man so lange nichts mehr von mir hörte, und wieso ich keine Interviews mehr geben will?

Aber wem nützte es denn, wenn Journalisten ehrliche Texte schrieben, die über ihre Köpfe hinweg dann doch nur für reißerische Schlagzeilen benutzt werden, um die Auflage zu steigern?

Und warum – wenn wir hier schon mal dabei sind – nicht gleich die Frage beantworten, wie ich über den ganzen Wirbel um mich heute so denke?

Nun, das setzte natürlich einiges an Entwicklung meiner bisherigen Standpunkte voraus. Denn
es fühlt sich ganz anders an, ob du gerade mitten in der oder sonst einer Sache drin steckst, dich empörst oder über andere aufregst, oder irgendwann einfach darüber stehst.

Wie auch vor drei Nächten wieder, was mir jetzt schon mehrmals passierte, wenn ich mich mit dieser Thematik auseinander setzte. Na, und diesmal passierte es, nachdem Punkt 4 geschrieben, vom Bedürfnis der Seele nach Selbstausdruck bisher aber noch gar nicht die Rede war. Wie sie sich in dem ganzen sieht.

Und das war so ein Genuss plötzlich! Ja, diese Großzügigkeit, diese plötzliche Milde! Auch Unab-
hängigkeit von Umständen und Bedingungen. – Schuldzuweisung kommt auf der Ebene erst gar nicht mehr vor. Auch nichts von beleidigt sein und sich verletzt fühlen. Das ist so ein geiles Gefühl von Macht! Du schwebst nur noch – glücklich – und kommst dir schon wie im Himmel vor.

Auch all unsere Probleme – wenn wir uns den Zustand des Planeten so ansehen, würde durch dieses neue, spirituelle Bewusstsein zum Verschwinden gebracht. Hungernde Menschen zum Beispiel, und Obdachlosigkeit.

Hier jetzt auch noch auf die alten, zusammenbrechenden Systeme einzugehen, würde ja restlos den Rahmen sprengen.

Rosy R. Heinikel, München, Oktober 2012

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: Frauen