Materialien 2001

Wahlhilfe aus der Giftküche

Aus München bekommt die Frontstadt-CDU weitere Schützenhilfe für ihre Schlacht um Berlin. Nachdem schwarze Ritter von der Isar sich schon todesmutig auf dem Alex den mit Eiern bewaffneten bolschewistischen Horden entgegenstellten, aber schließlich den Rückzug antreten mussten, schickt jetzt die braune Traditionsabteilung aus der einstigen Hauptstadt der Bewegung zwar keinen Entsatz in Gestalt schlagkräftigen Saal- oder Platzschutzes, liefert aber propagandistisches Rüstzeug für den Endkampf gegen die Roten.

»PDS-Kommunist Gysi greift in Berlin zur Macht. Die SPD steht Schmiere. Höchste Zeit für ein aufrüttelndes Enthüllungsbuch: Der rote Judas. Das wahre Gesicht des Gregor Gysi.« So kündigt der »Freiheitliche Buch- und Zeitungsverlag«, mit dem der Chef der Deutschen Volksunion (DVU), Gerhard Frey, einige seiner vielen Millionen verdient, das jüngste Elaborat aus der umfangreichen Kollektion dieses Unternehmens an, das seit Jahrzehnten ungehindert alte und neue Nazis mit seinen Produkten beliefert; und verspricht: »Aufgedeckt wird, mit welch üblen Tricks Gysi die Wiedervereinigung sabotieren wollte, was er aus seiner Zeit als SED-Bonze im Stasi- und Mauermordsystem auf dem Kerbholz hat, wie seine Sippe, eine rote Dynastie, unter Ulbricht und Honecker an die Spitze des Terrorregimes kam.« Noch etwas direkter als Steffel & Co. fragt die Werbung des »Deutschen Buchdienstes«: »Was soll aus Deutschland werden, wenn dieser von Geheimzirkeln und alten SED-Seilschaften hochgejubelte gefährliche Typ nicht gestoppt wird?!«, um dazu geschäftstüchtig gleich noch ein weiteres Verlagserzeugnis anzupreisen: »Mehr über die Drahtzieher erfahren Sie übrigens im Lexikon der 1.000 Lebensläufe ,Prominente ohne Maske – Neu’.«

Für den Fall einer trotz alledem nicht verhinderten roten Machtergreifung in Berlin halten die »freiheitlichen« Münchner vorsorglich schon einen Trost bereit: »Von der Finsternis zum Licht: Der ,Deutsche Kalender 2002’ erscheint bereits im nächsten Monat. Mit 24 herrlichen Farb-Motiven aus großer deutscher Zeit, 48 Porträts genialer Deutscher, 2.500 Deutschen Gedenktagen, die sich nächstes Jahr runden. Auf dem Titelblatt: Freiheitsheld Theodor Körner.«

Der »großen deutschen Zeit« gedenkt Freys Verlag nicht zuletzt mit zahlreichen Büchern über »Helden der Wehrmacht« und »Die Wehrmacht als Befreierin«. Mit Memoiren selbst zu Wort kommen »geniale Deutsche« wie Karl Dönitz, Albert Kesselring und Erich Mende. (Wer erinnert sich? Der langjährige FDP-Vorsitzende und Minister im Adenauer-Kabinett trug bei besonderen Anlässen immer noch sein Ritterkreuz, das auch die Titelseite seines Erinnerungsbuches »Das verdammte Gewissen« schmückt.)

Dagegen zieren steckbriefartige Konterfeis der Angeprangerten den Umschlag zum »Verbrecheralbum der Sieger«, zu dem dann »hochbrisant und spannend!« ein Band »Jüdische Kriegserklärungen« passt.

Der »Deutsche Buchdienst«, der auch mit Videos und CDs aufwartet, bedient eine betuchtere Klientel zudem mit »Deutschen Medaillen« (Feingold 399 Mark, Reinsilber 99 Mark), auf denen neben Feigenblättern wie Ebert, Stresemann, Schumacher und Erhard unter anderen Rudolf Heß, Oberst Rudel, Marschall Hindenburg, Generaloberst Dietl, Kaiser Wilhelm II. und General Gehlen eingeprägt sind.

Apropos Gehlen: Zur beim »Deutschen Buchdienst« zu beziehenden Lektüre gehört auch Hubertus Knabes Stasi-Dossier »Der diskrete Charme der DDR« (s. Ossietzky 13/01).

Unter »Neuheiten und Spitzenreiter« Horst Mahlers und Franz Schönhubers »Schluss mit deutschem Selbsthass — Plädoyers für ein anderes Deutschland«. Während Mahler demnächst die NPD gegen den Verbotsantrag des Bundestages verteidigen wird, wartet man bisher vergeblich auf ein meines Erachtens noch dringlicheres Plädoyer für die Schließung der den rechtsradikalen Nachwuchs mit Schulungsmaterial versorgenden Münchner Giftküche des Gerhard Frey. Deren Hauptprodukt, die wöchentlich erscheinende, an vielen Kiosken erhältliche Deutsche National-Zeitung, kann übrigens inzwischen ihr 50jähriges Bestehen feiern. Das Blatt wurde unter Adenauer mit Bundesmitteln gegründet.

Heinz Kersten


Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft 15 vom 28. Juli 2001, 524 f.

Überraschung

Jahr: 2001
Bereich: Rechtsextremismus