Flusslandschaft 1968

Medien

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Am 7. Mai findet eine Kundgebung vor dem Verlagshaus der Süddeutschen Zeitung statt, weil diese sich geweigert hat, ein Anti-Springer-Inserat abzudrucken.2

Als Reaktion auf die gegen die Springer-Presse gerichteten Studentenproteste hält Max Christian Feiler am 13. Juni einen Vortrag mit dem Titel „Gesetze gegen Verblödung durch Massenmedien“.

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Es ist nachvollziehbar, dass das noch recht junge Medium einen ganzen Strauß von Aufgaben zu erfüllen hat. Freilich stellt sich die Frage, ob sich eine Klassengesellschaft mit dazugehörender Un-
gleichheit der Vermögen und Kriminalität gegenseitig bedingen. Denn nicht alle, die unten sind, werden mit repressiven Zwangsmitteln, die dem Staat zur Verfügung stehen, am kriminellen Vor-
haben gehindert. Da ist es sinnvoll, bei denen „da unten“ Identifikation mit den Rechtsgrundsätzen des Staates nahezulegen. Seit 1967 läuft im ZDF „Aktenzeichen XY ungelöst“. Gebannt starrt die Nation auf True-Crime-Fälle und fühlt sich motiviert mitzuspielen. Natürlich auf der Seite der Gu-
ten. Zwar „stehen sich heute Polizei und Bevölkerung vielfach in einer gespannten Atmosphäre ge-
genüber. Eine Sendung aber, an der beide Seiten – Polizei und Publikum – intensiv mitarbeiten und die von beiden Seiten einmütig begrüßt wird, bietet sich als vermittelnder ‚Katalysator‘ gerade-
zu an.“ Der Zuschauer „erhält die Möglichkeit, zugunsten von Recht und Gesetz einzugreifen, er engagiert sich, und er stellt an Hand der greifbaren Erfolge fest, daß sein Engagement für die rich-
tige Seite Entscheidendes auszurichten vermag … In diesem Zusammenhang muß ein Problem an-
gesprochen werden, auf das auch einige Kommentatoren warnend hingewiesen haben: Die Gefahr, mit einer solchen öffentlichen Fahndung böswillige Denunziationen auszulösen. Tatsächlich mußte diese Gefahr von vornherein sehr ernsthaft bedacht und möglichst hundertprozentig ausgeschaltet werden. Die Erfahrung aus den ersten Sendungen hat mittlerweile eindeutig gezeigt, daß die einge-
bauten Barrieren (die Tonbandaufnahmen der Hinweise mit Namen und Adressen der Anrufer, die konkreten, fest umrissenen Fragen und die Anwesenheit erfahrener Kriminalbeamter im Studio) mögliche Denunzianten offenbar sehr gründlich abgeschreckt haben, ohne diejenigen Zuschauer zu entmutigen, die wirklich sachliche Hinweise zu geben haben.“ Auffallend ist, dass gerade Ge-
werkschaften diesen ersten großen Ansatz, das junge Medium in ein Blockwart-Fernsehen zu transformieren, befürworten: „All diesen Bemühungen des Zweiten Deutschen Fernsehens, der Polizei neue Wege für ihre Arbeit zu ebnen, dürfte schließlich ein nicht unerhebliches politisches Gewicht zukommen. Aus zahlreichen Zuschauerbriefen geht hervor, daß viele Menschen sich von Staat und Justiz im Stich gelassen fühlen. Jahr für Jahr vier Millionen Geschädigte allein durch Betrüger und Schwindelfirmen – Menschen, denen gewissenlose Verbrecher oft das Letzte abneh-
men und denen niemand in ihrer Verzweiflung hilft – bilden ein wachsendes Reservoir für radikale Gruppen, die versprechen, mit starker Hand Ordnung zu schaffen. Es gilt, dieser Gefahr zuvorzu-
kommen. Eine der Möglichkeiten hierzu könnte sich in den Fernsehsendungen von Eduard Zim-
mermann abzeichnen.“4

Heinz Huber erinnert sich: „Ein Bild, das seinerzeit durch alle Medien ging, war das von Napalm entsetzlich verbrannte vietnamesische Kind. Da dachten wir von der Internationale der Kriegs-
dienstgegner
(IdK), wir könnten dieses Grauen unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern etwas näher bringen, wenn wir ankündigten, einen Deutschen Schäferhund im Innenhof des Deutschen Museums mit Napalm zu verbrennen. Natürlich hätten wird das nie in die Tat umgesetzt, hatten aber einen Schäferhund und einen Kanister, gefüllt mit harmlosem Leitungswasser parat. Nach der öffentlichen Ankündigung der Verbrennung in den Medien aber brach der Sturm los. In unserer Geschäftsstelle klingelte ununterbrochen das Telefon. Es gab Beschimpfungen, Ausfälle und Mord-
drohungen. Ein Schäferhunde-Verein aus Schleswig-Holstein kündigte an, dass er uns besuchen wolle.“5 Wenn der Vietnam-Krieg oder der Krieg in Biafra gegen Zamperl geführt würde statt ge-
gen Menschen, hätte ihn der wütende Protest der Internationale der Tierfreunde schon längst ge-
stoppt, so die Münchner Sektion der Internationale studentischer Kriegsdienstgegner (IsK): „Die Hundeverbrennung soll dokumentieren, dass sich die Menschen über den Tod eines Hundes mehr aufregen als über den Tod zahlloser Menschen.“ Der Entrüstungssturm, der sich über IdK und IsK ergießt, beweist, was zu demonstrieren ist. Ein „Fraule“ bietet sich sogar an, man möge lieber sie verbrennen als so ein Viecherl anzünden. Und im Namen der fünfzehntausend Mitglieder des Münchner Tierschutzvereins erklärt der 1. Vorsitzende Alfred Zoll: „Wir warnen die hundertfünf-
zig Mitglieder der IsK vor der Welle der Empörung, die aus allen Kreisen der Bevölkerung gegen sie anrollt.“6 — Die Kriegsdienstgegner blasen die ganze Aktion ab, weil sie befürchten, dass es Tote und Verletzte gibt. Auf einer öffentlichen Diskussion im Lohengrin in der Türkenstraße 59 in der Maxvorstadt soll einige Tage später bewiesen werden, dass die Menschen „für das Leben von Tieren sehr viel mehr übrig haben als für das Leben der Menschen“. In einem Brief an die Münch-ner IsK erklärte der Psychoanalytiker Hans Kilian: „Das Gefühl der Tierliebe diene vielen Men-schen als Alibi einer Humanität, die es im menschlichen und gesellschaftlichen Leben faktisch nicht gebe … Der Menschenhass sei bei manchen friedlichen Zivilisten mit einer Tierliebe gekop-pelt.“7 — Natürlich fackeln die, die dann reden, keinen Dackel ab. Auch die nicht, die nicht davon reden. Ebenso wenig werden amoklaufende Ausnahmezündler bekannt. Einen Sinn aber haben diese provokativen Drohungen. Sie beweisen sich ihr Bild von der Gesellschaft und ihre eigene Handlungshemmung. Sie benutzen die Massenmedien in der Form, die diese selbst nur anbieten. Sie beweisen, dass Medienpräsenz immer plakativer und aggressiver, aber auch immer schneller vergänglich wird. Abgestumpfte Beliebigkeit und ununterbrochenes Bombardement von Versatz-stücken erfordern eine Massierung von Stimuli, die auf den Nährboden von Infantilität und Bru-talität der Rezipienten fallen, ohne dass diese auch nur ansatzweise mit dem Nachdenken begin-nen.8

Siehe auch „Militanz“.

(zuletzt geändert am 17.6.2024)


1 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

2 Siehe „Erklärung“; vgl. Süddeutsche Zeitung 110/1968.

3 werden 68. Jahrbuch für die deutschen Gewerkschaften, Köln-Deutz 1968, 136/137.

4 Peter Hohl, Fahndung auf dem Bildschirm, in: werden 68. Jahrbuch für die deutschen Gewerkschaften, Köln-Deutz 1968, 137 ff.

5 Heinz Huber in der Sendung „Nie wieder Barras, nie wieder Krieg“ des Friedensforums in Radio Lora am 7. September 1989.

6 Süddeutsche Zeitung 184 vom 1. August 1968, 13.

7 Süddeutsche Zeitung 187 vom 5. August 1968, 15.

8 Siehe „Aus dieser Straße …“ von Herbert Röttgen.