Materialien 1988
Buntspecht im Mainstream
Der Linken sind Utopie und historisches Subjekt abhanden gekommen, der Rechten gehen lang-
sam die Symbolfiguren und Feindbilder aus, zusammen mit der Erosion von zur alten Produkti-
onsgesellschaft komplementären Werthaushalten und Lebensstilen. Schon bevor F.J. Strauß sich standesgemäß verabschiedet hatte, war er politisch im Abseits. Die heraufziehende Mischung aus ausgeschlafener Liberalität und unideologischer Effizienz war seine Sache nicht. Das viel besunge-
ne Bild eines gesellschaftlichen „neuen Konsens“ zwischen Öko, High-Tech und überhaupt Moder-
nität, Flexibilität und Unbehagen über hässliche Diktaturen am Kap und in Chile, medienmässig vom Hintergrundchor der mobilen Mittelschichten gesummt — ihm wurden ja seine negativen Säulenheiligen gegenübergestellt: 68er Utopisten, Fundamentalisten und eben Hardliner à la Strauß.
Der Rummel nach seinem Tod wirft noch einmal die Frage auf, wer brauchte ihn eigentlich mehr, die CSU, die Union, die Bayern, oder das progressive Lager mit publizistischem Hauptsitz in Hamburg. Für die Freunde des BRD-Pathos, die immer häufiger ausrufen mussten „Unser Ge-
meinwesen hat Schaden genommen“, um dann zu versichern, die Skandalaufdeckung selbst be-
zeuge seine Gesundheit, gehörte die Größe Strauß zur legitimatorischen Grundausstattung. Defi-
zite der Demokratie konnten mit der „Unberechenbarkeit“ von Politikern seines Schlages er-
klärt werden, nicht etwa in Nachfrage der realen Beteiligung von Menschen an politischen Ent-
scheidungen und gar der Frage, inwieweit diese in unseren Systemkonstruktionen grundsätzlich überhaupt möglich ist.
Über seine Politik und die der CSU muss man nicht streiten. Sie wurzelte fest im Nachkriegskon-
sens vom Primat der Ökonomie und des wirtschaftlichen Wachstums, rigider Zentralstaatlichkeit (inklusive der Fürsorge), gesellschaftlicher Werteverwaltung an der Front zur Roten Flut. Mit diesen zum Status quo ante verklärten Maximen gab ein politischer Konservatismus, der diesen Namen verdient hätte, seinen Geist auf (wie häufig von C. Amery überliefert). Straußens Stellung darin wird häufig mit seiner überragenden Intelligenz (die nur falschen Zielen diente) erklärt, was entweder ein Schlaglicht auf die Politikerkaste wirft oder aber den Stand seiner Eleven und Gegner erhöhen soll. In Wirklichkeit waren seine bundes- und weltpolitischen Aktionen eher wirr und er-
folglos, seine ökonomischen Kompetenzen nur Teil einer größeren Marschkolonne. Die objektive Dummheit, den Ast abzusägen, auf dem wir sitzen, teilte er brüderlich mit den gesellschaftlichen Mainstreams, wenn auch an hervorragender Stelle und mit besonderer Ausformung.
Nein, seine Faszination und gleichzeitig fast vom Horror getragene Ablehnung war aus anderem Holz. Eine Feministin traute sich einmal an diese Meta-Ebene seiner Wirksamkeit heran, als sie in der taz fragte, wie verdorrt eigentlich die politische Szene sein müsse, wenn seine pure Vitalität eine solche Ausstrahlung haben könne. Das Grollende, Verschmitzte, Maßlose seines Auftretens, die Unverschämtheit und Gewitztheit seiner Sprache überrollten die blassen Menagerien, verur-
sachten Gruseln und offene bis geheime Sympathien. Als Strauß nach der letzten Bundestagswahl die bedeutungsschwanger-banale „Elephantenrunde“ mit einer öffentlichen Demonstration vom Geist des Weines kontrastierte, wer konnte sich da schon einer klammheimlichen Freude entzie-
hen.
Das ganze Geheimnis seiner herausragenden Stellung lag in dieser persönlichen Statur plus der Hausmacht, deren scheinbar unverrückbare Stärke und unverschämtes Selbstbewusstsein stets ohnmächtiges Zähneknirschen verursachte: in Bayern also. Die überdimensionale Stellung als Stammespartei eroberte die CSU erst mit der Zerstörung der Bayern-Partei und einem Moderni-
sierungskonzept, das die alltagskonservativen Bedürfnisse einer traditionellen Bevölkerungsmehr-
heit berücksichtigt und gleichzeitig funktionalisierte. An dieser Mischung aus traditioneller Eigen-
ständigkeit und obrigkeitsfeindlicher Mentalität knüpfte keine andere politische Kraft Verbindun-
gen — ein Plus auf dem Konto der CSU im Selbstlauf. Noch heute freut sich Peter Glotz, dass Bay-ern rückläufig ist und als Subjekt die neuen Mittelschichten dominant werden, während Schöfber-ger mit ein wenig Folklore den Fehlern der Vergangenheit hinterherläuft.
Wenn man Mentalitäten überhaupt aufaddieren kann, dann ist der Mythos von Bayern als der rechten Ordnungszelle falsch. Es gibt im Alltag gerade auf dem Land eine Liberalität, die eher größer ist als anderswo. An diesem Mythos haben progressive Öffentlichkeit und Strauß ihren Anteil. Seine Profilierungsversuche als rechter Bundespolitiker waren in Bayern höchstens als Abgrenzungsritual beliebt, ihre Inhalte begeisterten eher den Schnapshändler aus Düsseldorf und den Baulöwen aus München als die Hinterwäldler. Die wohl negativste Leistung von Strauß lag gerade in dieser Vermischung von rechtem Populismus deutsch-nationaler Prägung mit einem bayerischen Untergrund, der ganz im Gegenteil anti-zentralistische Traditionen bewahrt hat. Wenn es stimmen sollte, dass seine Politik half, rechte Ränder in die Demokratie zu integrieren, in Bayern schwächte sie das Potential, das den Eskapaden des Deutschen Reichs bis zum Nationalso-
zialismus widerstanden hatte.
Die CSU bedankte sich gerade bei Strauß, dass er ihr mit seinem Tod einen neuen Schub in Rich-
tung Zukunft ermöglichte. Wir sollten uns dem anschließen und die in seiner Person auf vertrackte Weise präsenten und verdrehten positiven Elemente von Politik aufnehmen. Zum Beispiel indem wir auf einen radikalen Föderalismus setzen, der sich aus modernen Begründungen und traditio-
nellen Realitäten speist.
Achim Bergmann
Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 11 vom November 1988, 12.