Materialien 1988

Gottvater als Holzfäller

Den nostalgischen Kommune-Nachruf auf Strauß überließe ich gerne Matthias Beltz. Dieser wit-
zelte schon vor Wochen in einer kaum zu unterbietenden HR-Talkshow zum Thema „Zeitgeist“, dass die Politik nach Strauß völlig uninteressant würde. Das flapsig folgende Apercu zugunsten einer Monarchie mochte man dem albernden Kabarettisten noch abnehmen; den beifällig nik-
kenden Hedostammlern der gleichen Runde freilich nicht.

Auch wenn die Zeitgeist-Szene mit den oberflächlichen Polit-ÄsthetisiererInnen atavistischer Spannung gegenüber zivilisierter Langeweile den Vorzug geben mag — es bleibt die Frage, ob das seit der Wende nur noch pausenlos aufgelaufene Polit-Fossil aus Bayern zum billigen Vertreib politischer Langeweile überhaupt noch taugte. Selbst die notorischen linken Strauß-Feinde der 70er Jahre empfanden eher Mitleid als Häme, wenn der bajuwarische Kläffer stets im dumpfen Kanzler sein zähmendes Herrchen fand. Lieber hätten manche dem Freizeitjäger vor seinem Zapfenstreich noch die Großtat eines Fangschusses gegen Kohl gegönnt. Denn — Hand aufs Herz! — an dem Dauertriumph des Pfälzers über den senil gewordenen, ewigen Feind mochte sich trotz Wackersdorf, Memmingen und Gauweiler kaum ein kampferprobter Linker genüsslich weiden.

Zum Schluss war er als schrotladender Heckenschütze gegen den tumben Aussitzer nicht einmal mehr eine originelle Unterhaltungsnummer der vielbeschworenen Streitkultur. Eher wurde die billig auf dem Rücken eines Altersstarrsinnigen betriebene Profilierungssucht von CDU-Moder-
nisierern, besser: Zivilisierern, zum eigentlichen Ärgernis der Koalitionsgegner: ob bei Blüms Menschenrechts-Populismus in Chile, Geißlers Gauweiler-Schelten in der Aids-Politik, Kohls autoritärem Alleingang bei der doppelten Null-Lösung oder beim demonstrativen Schulterschluss mit Weizsäcker in der Begnadigungsfrage. Und bei der sinnlosen Flugbenzin-Nummer überließ man Strauß den letzten Pyrrhussieg mit erheblichen Loyalitätseinbußen unter den ansonsten so Willfährigen. Der plötzliche Tod bewahrte ihn vor der Peinlichkeit der Demontage.

Gott sei Dank blieb ihm langes Leiden erspart. Kaum auszudenken, welcher zusätzliche Führerkult mit jenem wochenlangen gerätemedizinischen Bulletinismus betrieben worden wäre, den man bei Franco und Tito als menschenunwürdigen Sensationssport erleben musste. Nichts trägt zur Hero-
enlegende oder zum Märtyrerstatus einer politischen Führergestalt mehr bei als lange Agonie oder ein finales Attentat.

Er habe wie eine Eiche gelebt und sei wie eine solche gefällt worden, zelebrierte Wojtilas Chef-Ideologe Ratzinger in Rott. Und der Bayernkurier trauerte: „Die Eiche ist gestürzt — und Bayern ist verwaist.“

„Gottvater als Holzfäller“, höhnte Ex-Kathole Joseph Fischer von den Grünen über derlei postmo-
dern anmutende Profanisierung des Allmächtigen.

Während „Gottvater als Holzfäller“ zur liturgischen Lobformel geriet, galt für die öffentlich-rechtli-
che Beweihräucherung eher Umgekehrtes: wie man einen habituellen Holzfäller zum politischen Gottvater verklärt. An Straußens präsidiale Monomanie — den dezisionistischen Wahnsinn von Wackersdorf und die Führerarchitektur der geplanten Residenz — überhaupt erinnert zu haben, gebührt dem konservativen Roderich Franz vom ZDF das einzige journalistische Verdienst. Dem-gegenüber übten sich bajuwarische ARD-Hofschranzen wie Burghart, Feller, von Lojewski oder Mertes nur in Heiligsprechungen. Die Nähe zu Wehner für ein Sakrileg haltend, verwahrte sich etwa Burghart kritisch-linguistisch gegen die Floskel vom politischen „Urgestein“.

Und Feller verpasste seinem gesprochenen Kondolenzschreiben folgenden ideengeschichtlichen Klecks: „Strauß galt als Konservativer, war aber vielmehr ein Liberaler, denn Liberalismus lässt sich eben nicht mit Sozialismus vereinen.“ Falls Antisozialismus per se ein Markenzeichen von authentischer Liberalität sein sollte, hätte Chiles Pinochet schon lange die goldene Theodor-Heuß-Plakette erhalten müssen!

Als Kommentator Mertes den historisch vorbelasteten Leichengang von der Feldherrenhalle zum Siegestor begleitete, konnte man sich des Eindrucks einer realnekrologischen Bestätigung all der linken Dämonisierung von Strauß nicht erwehren.

Dennoch hatte die Linke keinen Grund, in demonstrativer Gleichgültigkeit oder schäbiger Scha-
denfreude zu machen. Mit der unsäglichen Überzeichnung des am Ende nur noch als Gummilöwe Vorgeführten schoss sie ein hysterisches Eigentor nach dem anderen. Mit billigen Hitler-Verglei-
chen in „anachronistischen“ Umzügen während des Wahlkampfs 1980 leistete sie der geschichts-
schlampigen Verharmlosung des einzigartigen deutschen Faschismus Vorschub, an der man später während des „Historikerstreits“ so sehr Anstoß nehmen sollte. Gewiss haben die „Stoppt-Strauß“-
Kampagnen ihr Scherflein zur Verhinderung des Bayern als Kanzler beigetragen. Dies als Aufklä-
rungserfolg feiern zu wollen, wäre freilich vermessen. Eher wurden die Proteste als abschreckendes Fanal für eine mit Straußens Kanzlerschaft zu erwartende Polarisierung der Republik empfunden.

Trotz aller Affären — auf Strauß trifft am meisten jenes Urteil zu, das der Bayer gerne Willy Brandt zu bescheinigen pflegte: der am meisten überschätzte Bonner Spitzenpolitiker zu sein. Keine bun-desdeutsche Politgröße vergaloppierte sich mehr. 1962 zur Spiegel-Affäre unterschätzte er die Ge-genmacht einer kritischen Öffentlichkeit; ab 1970 übernahm er sich mit abstrusen Vorstellungen einer „nationalen Sammlungsbewegung“ gegen die sozialliberale Ostpolitik; sein Kreuther Tren-nungsbeschluss anno ’76 geriet zum Rohrkrepierer sondergleichen; von seiner aussichtslosen Kanzlerkandidatur 1980 versprach man sich sogar im außerbayerischen Lager der Union eine Schocktherapie auf ewig; als er 1983 mit dem Milliardenkredit an die DDR die Rolle des Friedens-engels probierte, wurde er im eigenen Lager zum Attackierten jener Geister, die er zuvor selbst ge-rufen hatte.

Man glaubte, ein Raunen unter den Trauergästen verspüren zu müssen, als der pfälzernde (!) Kar-
dinal Wetter beim Requiem in der Münchener Frauenkirche verkündete: „Nüchtern betrachtete er die weltpolitischen Zusammenhänge.“ Nie war uns Strauß sympathischer als bei der volltrunkenen Analyse während der Wahlnacht im Januar 1987.

Norbert Seitz


Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 11 vom November 1988, 13 f.

Überraschung

Jahr: 1988
Bereich: CSU