Materialien 1983

Mit 80 noch Tag für Tag in Dachau

Mit rund 924.000 Personen hat die KZ-Gedenkstätte Dachau für 1983 einen neuen Besucherre-
kord registriert (1982 = 872.000). Etwa ein Viertel der Besucher kommt in Gruppen: Schulklassen, Jugendgruppen, Volkshochschulkurse u.a. Viele von ihnen haben den Wunsch nach einer Begeg-
nung mit einem ehemaligen Häftling. Aber davon stehen nur noch zwei regelmäßig zu Begegnun-
gen oder Führungen zur Verfügung: Unsere Kameraden Adi Maislinger und Ludwig Stark.

Adi Maislinger wurde im Dezember 80, Ludwig-Stark im Januar 73. Sie werden mit Anfragen überhäuft. Und wenn sie es vor lauter Andrang überhaupt nicht mehr schaffen können, springt manchmal unser Kamerad Sepp Aumüller ein, der auch schon 80 ist und im KZ-Museum den Verkaufsstand mit Dias, Katalogen und Karten betreut.

Kamerad Maislinger hat als Kommunist zehn Jahre Zuchthaus und KZ ertragen müssen. In einer DKP-Anzeige zu seinem 80. Geburtstag stand: „Adi gehört die Liebe und Achtung zahlloser junger Menschen, mit denen er auch heute noch im täglichen Gespräch steht, um ihnen seine Erfahrun-
gen im antifaschistischen Kampf – vor allem in Dachau – zu vermitteln.“

Von dieser Hochachtung zeugen auch die ungezählten Dankesschreiben, die Adi von Lehrern, Gruppenleitern und Schülern erhält.

„Unseren besonderen Dank möchten wir vor allem noch einmal den Herren Maislinger und Stark aussprechen, die es so gut verstanden, den Schülern in einer ausführlichen und sehr ansprechen-
den Führung einen wirklichkeitsgerechten Einblick in die damaligen Geschehnisse zu geben“, schrieben Lehrer aus Bayreuth.

Ein Lehrer aus Endingen: „Das KZ in Dachau ohne Ihre Führung besitzt nicht die Hälfte der Wir-
kung als mit Ihrer Führung.“

„Ihre Führung war um so beeindruckender, als Sie keinen Vortrag hielten, sondern als Augenzeuge erzählten“, heißt es in einem weiteren Brief.

Solche Zitate könnte man seitenlang fortsetzen. Ganz besonders erfreut unsere Kameraden, wenn sie einem Dankesbrief erfahren, dass sie auch etwas in Gang gesetzt haben. So z.B., wenn ihnen geschrieben wird, dass „unsere Bereitschaft gewachsen ist, aus Vergangenem zu lernen, damit so etwas nicht mehr geschehen kann. Seitdem erlebe ich ständig, daß mich Teilnehmer auf Zeitungs-
notizen aufmerksam machen, wo von Neonazis berichtet wird. Hoffentlich bleibt diese Wachsam-
keit erhalten oder kann noch geschärft werden.“

Eine schwere Krankheit konnte Adi Maislinger Ende vergangenen Jahres nur vorübergehend „außer Gefecht“ setzen. Jetzt ist er wieder täglich in der Gedenkstätte. Und da macht der 80jährige nicht nur eine Führung pro Tag. Oft sind es zwei oder gar drei, und eine allein dauert schon zwei bis zweieinhalb Stunden.

„Dem Adi fehlt nur noch ein Bett in Dachau“, sagte uns eine Münchener Kameradin, „dann würde er gar nicht mehr nach Hause kommen.“


antifaschistische rundschau 4 vom April 1984, 12.

Überraschung

Jahr: 1983
Bereich: Gedenken