Materialien 1983
Kleintheater in München
Kleintheater können eine Alternative zum herrschenden Staats- und Stadttheaterbetrieb darstel-
len: während die großen Theater in München und anderen Städten vor allem „bewährte“ Stücke (Klassiker-Boom) spielen und oft nur im formalen Bereich „progressiv“ sind, sich also an Abon-
nentenpublikum und intellektuellen Insidern orientieren, können Kleintheater stärker experimen-
tieren, auch Stücke neuerer und weniger bekannter Autoren spielen, sich mit aktuellen politischen Themen auseinandersetzen und damit auch ein anderes Publikum ansprechen.
Gegenwärtig kann man in der sehr vielfältigen Kleintheaterszene in München einige Haupttenden-
zen unterscheiden:
₪ die Aufführung von Dramen der 40er bis 60er Jahre (Existenzialismus und absurdes Theater, US-amerikanische Autoren der 40er und 50er). Dabei besteht oft die Gefahr, dass die spezifischen Möglichkeiten des Kleintheaters vernachlässigt werden und versucht wird, die Stadttheater (die ja auch Stücke von Sartre, Beckett, Wilder spielen) zu kopieren.
₪ Produktionen mit politischem Leitbezug (Stücke neuerer Autoren, Produktionen, deren Vorla-
gen die Theatergruppen selbst erarbeitet haben, Kabarett)
₪ Kinder- und Jugendtheater
₪ surrealistische und rein „ästhetische“ Experimente
Es zeigt sich also, dass die Theatermacher ihre Arbeit mit sehr verschiedenen Zielstellungen ver-
binden.
Die Spielpläne werden jedoch auch immer stärker von den finanziellen Bedingungen, unter denen die Kleintheater arbeiten, mitbestimmt. Der Etat zur Subventionierung aller geförderten Münche-
ner Kleintheater (= 1 Million DM – zum Vergleich: die Kammerspiele bekommen über 20 Millio-
nen) ist seit fünf Jahren nicht mehr erhöht worden, obwohl die Kosten massiv steigen und die An-
zahl der subventionierten Theater weiter gewachsen ist. Bei den festen Häusern verschlingen die Festkosten (Miete, Strom etc.) den größten Teil der Subventionen, nur ein paar tausend DM blei-
ben für die Produktionen. Die Schauspieler, die prozentual an den Kasseneinnahmen beteiligt sind, müssen meistens nebenher arbeiten.
Daher werden Produktionen mit Stücken weniger bekannter Autoren und Experimente immer mehr zu einem Risiko. Viele Theatermacher sehen sich gezwungen, oft zu bekannten Stücken mit kleiner Besetzung, die auch von Stadttheatern gespielt werden, zu greifen, also stärker auf das tra-
ditionelle Publikum und z.B. Schulklassen zu setzen (Sicherheitsproduktionen). Im Zuge dieser Entwicklung ist auch das Kinder- und Jugendtheater zurückgegangen.
Mögliche Schwerpunkte einer Auseinandersetzung mit der Münchener Kleintheaterszene:
₪ die kritische Betrachtung der verschiedenen Tendenzen: Wird die Möglichkeit, von den Inhalten und Formen her eine Alternative zum Stadttheater zu schaffen, genutzt? Welches Publikum wird damit angesprochen?
₪ die Entwicklung der Kleintheaterszene unter dem Einfluss der Kulturpolitik (d.h. vor allem auch: Subventionspolitik). Im Rahmen einer sich verschärfenden Rotstiftpolitik im Kulturbereich sind hier weitere negative Entwicklungen zu erwarten.
Boris Heczko
Deutscher Freidenkerverband e.V. Ortsgruppe München, Veranstaltungs-Programm 1983, München 1982, 172 f.