Flusslandschaft 1969
Armut
„… Das mit Abstand älteste und bekannteste Projekt in der größten bundesdeutschen Unterkunfts-
anlage Hasenbergl-Nord wurde 1968/69 unter gemeinsamer Trägerschaft von Caritasverband und Victor-Gollancz-Stiftung eingerichtet. In dieser allgemein von Reformen geprägten Phase vollzog die Stadt München im Anschluss an viele andere Großstädte einen Richtungswechsel in der Ob-
dachlosenpolitik; sie ging von einer verwaltungstechnisch-polizeirechtlichen zu einer sozialpäda-
gogischen Lösungsperspektive über … Gemeinwesenarbeit wurde offiziell als Koordinationsinstanz sozialpädagogischer Maßnahmen (wie z.B. intensive Kinder- und Jugendarbeit), sowie als Lücken-
füller im städtischen Resozialisierungsprogramm (Reso-Programm) betrachtet. Der Victor-Gol-
lancz-Stiftung ging es jedoch darüber hinaus um die Weiterentwicklung der damals neuen ‚Metho-
de‘ progressiver Gemeinwesenarbeit. Der Trägerkonflikt mit dem Caritasverband war hier quasi vorprogrammiert, die Stiftung gab ihre Mitträgerschaft 1973 an den ‚Verein zur Förderung von Gemeinwesenarbeit‘ ab, welcher ebenfalls nach weiteren zwei Jahren, u.a. wegen einiger spektaku-
lärer Aktionen (z.B. versuchter Mietstreik), von der Stadt zum Ausstieg aus dem Hasenbergl-Pro-
jekt gezwungen wurde. Die Caritas wurde zum alleinigen Träger der GWA im Obdachlosenbereich. Im Verlauf dieser Turbulenzen wurde die Teamstärke dort von sechs auf zwei Mitarbeiter reduziert … Die ursprünglich hinter der Zusammenarbeit mit der Administration stehende Strategie aus der 68er Zeit, welche durch ein Einsteigen in die staatlichen Strukturen deren Demokratisierung und inhaltliche Umorientierung bewirken wollte … wurde jedoch von der Stadtverwaltung dahingehend unterlaufen und pervertiert, dass die Gemeinwesenarbeiter durch Partizipationsangebote in die kommunalpolitische Strategie eingebunden wurden und somit keinen großen Störfaktor mehr dar-
stellen konnten.“1
„Das Rationaltheater ruft zu einem großen ‘Klau-in’ in einem Kaufhaus am Stachus auf, um Weih-
nachtsgeschenke für die Kinder von strafgefangenen Eltern zu stehlen. Rund fünfzehn als Nikolaus verkleidete Männer, die dieser Aufforderung nachzukommen versuchen, werden mit einem Laden-
verbot belegt und von der Polizei vom Eingang des Kaufhauses ferngehalten. Das Rationaltheater hatte zuvor von den Münchner Kaufhäusern auf ultimative Weise je 1.200 DM in bar oder Waren gefordert, um die rund 300 Kinder von Gefangenen in Frankfurt-Preungesheim und Aichach be-
schenken zu können. Die Kaufhäuser hatten die Forderung abgelehnt. Gegen den Leiter des Thea-
ters, Rainer Uthoff, wird ein Ermittlungsverfahren wegen versuchter Erpressung eingeleitet.“2
1 Helmut Kreidenweis: „15 Jahre GWA in München. Längsschnittanalyse ihrer geschichtlichen Entwicklung und Folgerun-
gen für eine strategische Neuorientierung gemeinwesenbezogener Sozialarbeit“ in Materialien der AG SPAK (Arbeitsge-
meinschaft Sozialpolitischer Arbeitskreise) 71, Gemeinwesenarbeit Jahrbuch 3. Stadt- und Regionalplanung, hg. von Hillenbrand/Luner/Oelschlägel, München 1986, 167 – 196, hier: 169, 179.
2 Datenbank zum Literarischen Leben in den deutschsprachigen Ländern, www.literarischesleben.uni-goettingen.de/frame_einfachesuche.html